# taz.de -- Kommentar Kahn-Abschied: Wie Kahn uns humanisiert | |
> Kahn startete als neoliberaler, gefühlloser Erfolgsgorilla. Dann | |
> scheiterte er bei der WM 2002 an einem absurden Torwartfehler - und | |
> entwickelte als Ersatzkeeper gar soziale Intelligenz. Ecce homo! | |
Der langjährige Fußball-Nationaltorwart Oliver Kahn gab in dieser Woche | |
bekannt, dass er lange Jahre in einem Tunnel gelebt habe, ausschließlich | |
beschäftigt mit dem Ziel, der weltbeste Torhüter zu sein. Interessierte | |
Medien schufen das Bild vom "Titanen". Da war er, der deutsche Übermensch, | |
der kraft seines Willens alles schafft. | |
Heute macht Kahn sein letztes Profispiel, und da ist es Zeit, die wahre | |
Symbolik zu benennen: Der Aufstieg des gnadenlosen Individualisten ab Mitte | |
der 90er-Jahre schien die maximale neoliberale Erfolgsgeschichte zu sein. | |
Was immer sich dem von "Rambo"- und "Rocky"-Filmen geprägten Kahn auf dem | |
Weg zum Erfolg entgegenstellte, beförderte er per Ellbogen oder | |
Kung-Fu-Tritt ins Jenseits. Oder zumindest aus dem Weg. Oder er biss es | |
weg. Auch die eigenen Kollegen, denn wer nicht gut genug war, war sein | |
Feind. | |
Aber dann wurde er nicht Weltmeister (was bis dahin der Sinn und die | |
Begründung seiner Arbeit und Existenz war). Dem Torhüter auf der maximalen | |
Höhe seines Handwerks und seiner Annahme, dass er allein alles könne, | |
unterlief im WM-Finale 2002 ein absurder Torwartfehler. Danach, sagt Kahn, | |
"kippte das System". Wenn Erfolg um jeden Preis nicht mal den Sieg erlaubt, | |
läuft etwas schief. Kahn ging auf neue Sinnsuche, wechselte - klassisch - | |
erst mal die Frau, verlor seine Eindimensionalität - und auch einen Teil | |
der daraus resultierenden fachlichen Qualität. Er war nicht mehr der | |
gefühllose Erfolgsgorilla. Irgendwann merkten es die Leute und hörten auf, | |
Bananen nach ihm zu werfen. Als Ersatzmann Kahn im WM-Viertelfinale 2006 | |
dem Kollegen und vormaligen Feind Jens Lehmann Glück für das | |
Elfmeterschießen wünschte, tat er etwas, was bei einem Minimum an | |
Zivilisation und Gemeinschaftssinn selbstverständlich ist. Dass diese | |
Sekunde der sozialen Intelligenz die Nation noch heute bewegt, zeigt, wie | |
wenig man noch dem neoliberalistischen Credo vertraut und wie sehr man sich | |
nach Menschlichkeit sehnt. | |
Was passiere, wenn ihn nach dem heutigen Spiel die Rührung übermanne, das | |
fragt man ihn seit Tagen. Kahn antwortet stets: "Dann weine ich halt." Ecce | |
homo! Die frohe Botschaft lautet: Wenn selbst Kahn Mensch werden konnte, | |
dann schaffst du das auch. | |
16 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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