# taz.de -- Kolumne Lexikon des Fußballs: Hackentrick, der | |
> Der Hackentrick ist keine Rarität mehr. An einem normalen Spieltag der | |
> Champions League sieht man heute mehr Zuspiele per Hacke als früher in | |
> einer ganzen Bundesligasaison. | |
Bild: Mitspielender Torwart: René Higuita hat diese Disziplin ausgereizt wie k… | |
Hacke, Spitze bringt nichts", sagt Timo Rost, der seine besten Jahre bei | |
einem Klub verbracht hat, der sicherlich unverdächtig ist, die Kultur des | |
Hackentricks besonders enthusiastisch zu pflegen. Bei Energie Cottbus wie | |
auf dem Betzenberg ehrt man eher die Kämpfer als die Künstler, weshalb auch | |
Wolfgang Wolf sagt: "Hacke, Spitze, eins, zwei, drei: Wir haben zu | |
kompliziert gespielt." Als Trainer hält der Alt-Lauterer die Behandlung des | |
Balls mit der Ferse für eine Abirrung mit Symbolwert, die er seinen | |
Spielern bei den Offenbacher Kickers beharrlich auszutreiben versucht. | |
Leicht hat es der "Ferserl", wie der Österreicher ungleich liebevoller | |
sagt, hierzulande nie gehabt. Hackentricks waren immer was für diese Poser | |
auf dem Platz, die das Hemd nicht in die Hose steckten und sich die | |
Sonnebrille in die Haare schoben, wenn sie im Cabrio vom Training | |
wegfuhren. | |
Oder um es ganz klar zu formulieren: Der Hackentrick war unseriös, weil er | |
eine so riskante Angelegenheit ist. Also erlaubten sich das bestenfalls | |
Spinner oder Exoten - und Fritz Walter nur in einer Notlage. Im Oktober | |
1956 schoss er in Leipzig für den 1. FC Kaiserslautern einen komplett | |
unlauterischen Treffer, der eigentlich das Tor des Jahrhunderts sein | |
müsste. Jedenfalls wäre es als solches sicherlich in Erinnerung, wenn | |
damals beim Freundschaftsspiel gegen Wismut Karl-Marx-Stadt Kameras | |
aufgebaut gewesen wären. | |
In seinem Buch "So habe ichs gemacht …" schreibt Fritz Walter: "Der von | |
rechts kommende Flankenball senkte sich hinter meinem Rücken. Da ließ ich | |
mich nach vorne fallen, fast in den Handstand, und schlug mit der Hacke zu. | |
Aus zwölf, fünfzehn Metern Entfernung flog der Ball haarscharf ins obere | |
Toreck." | |
Ein verwaschenes Foto davon gibt es auch, und man kann sich die Szene als | |
einfüßige Offensivvariante des legendären "Scorpion Kick" von René Higuita | |
vorstellen. Der kolumbianische Torhüter hatte bei einem Länderspiel im | |
Londoner Wembleystadion eine Hereingabe gemütlich über seinen Kopf segeln | |
lassen und sie per Doppelhacke ins Feld zurückgeschlagen. | |
Wie gesagt, ein normaler Spieler kam nicht auf solche Ideen. Deshalb konnte | |
es auch nur ein Algerier sein, der den FC Bayern 1987 im Finale des | |
Europapokals der Landesmeister so besiegte. Rabah Madjer schob den Ball für | |
den FC Porto über die Torlinie, und hierzulande rauften sich Trainer die | |
Haare, wenn einer seiner Jungs das versuchte. | |
Doch irgendetwas muss in den letzten Jahren passiert sein, was die Ferse zu | |
einem im Fußball nun doch weithin akzeptierten Körperteil gemacht hat. | |
Dabei geht es gar nicht um spektakuläre Auftritte wie beim Tor des | |
Brasilianers Grafite, mit dem er in der letzten Saison die Verteidigung des | |
FC Bayern ins Leere taumeln ließ und den VfL Wolfsburg zum Deutschen | |
Meister machte. | |
Heute sieht man an einem normalen Spieltag der Champions League mehr | |
Zuspiele per Hacke als früher in einer ganzen Bundesligasaison. Der | |
Hackentrick hat sich von einer Rarität zwar noch nicht zur Massenware | |
entwickelt, aber er ist auf dem Weg dahin. | |
Das High End des Fußballs hat längst etwas Tänzerisches, und "Hacke, | |
Spitze, eins, zwei, drei" ist schließlich nichts anderes als die Ansage von | |
Tanzschritten. Aber warum das so gekommen ist, dazu gibt es nur unbewiesene | |
Thesen. Es mag an den vielen Spielern im Spitzenfußball liegen, die aus | |
Fußballkulturen stammen, bei denen der Hackentrick nie etwas Anrüchiges | |
hatte. | |
In den guten Tagen der TSG Hoffenheim jauchzten die Zuschauer einfach nur, | |
als Vedad Ibisevic, Demba Ba und Chinedu Obasi den Ball in einer Szene | |
gleich dreimal hintereinander per Hacke weiterspielten. Vielleicht hat aber | |
auch ein ehemaliger Bundesligaspieler recht, der seinem Sohn über die | |
Schulter geschaut hat und feststellte: "Die kennen das von der | |
Playstation." Und wenn sie mal ihre Kinder fragen, werden vielleicht auch | |
Rost und Wolf ihren Widerstand gegen die Hacke aufgeben. | |
28 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Christoph Biermann | |
## TAGS | |
Kolumne Kulturbeutel | |
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