| # taz.de -- Klappe halten und wahrnehmen | |
| > Bei den Tanztagen Potsdam bot das Stück „Monstres – On ne danse pas pour | |
| > rien“ ungewöhnliche Interpretationen von Rassismus | |
| Bild: Tänzer in „Monstres – On ne danse pas pour rien“ | |
| Von Astrid Kaminski | |
| Backe, backe Kuchen: Rébecca Chaillon verknetet eine Schicht Weißmehl und | |
| Weißbier mit ihrem fülligen Körper und singsangt dazu den Kinderreim. | |
| Worauf bei der Eröffnung der Potsdamer Tanztage auch als Erstes ein Kind | |
| reagiert. Plötzlich gluckst es heraus. Kurzzeitig gehen die Blicke, um das | |
| Glucksen zu orten, von der Bühne des Hans-Otto-Theaters in den hinteren | |
| Zuschauer*innen-Raum. Es kommt von einem Mädchen, das eine kleine | |
| Kicherlawine ob des scheinbar Obszönen ausstößt. Die Lawine erfasst das | |
| Publikum. Ein indirektes Luftablassen. | |
| Ohne das Kind wäre ein Lachen an dieser Stelle der Tanz-Performance | |
| „Monstres – On ne danse pas pour rien“ (Monster – Man tanzt nicht umson… | |
| ein Lachen an der falschen Stelle gewesen. Auch wenn es ein paar Windungen | |
| braucht, um zu verstehen, um was es geht, ist es anhand der Zutaten | |
| irgendwie klar. Rébecca Chaillon hat für die Deutschlandpremiere des in der | |
| Republik Kongo (Brazzaville) und Frankreich entstandenen Monster-Stücks von | |
| DeLaVallet Bidiefono und der Compagnie Baninga extra eine deutsche Passage | |
| eingebaut. Und damit gibt sie eine Kostprobe darauf, warum sie sich in | |
| Frankreich einen Namen als provokante Performerin gemacht hat: Auch im | |
| Deutschen findet sie Betonungen und idiomatische Setzungen, die es in sich | |
| haben. | |
| „Sind Sie der Bäcker?“, fragt sie einen Mitperformer, um sich selbst gleich | |
| darauf als Josephine Bäcker vorzustellen und damit auf jene US-Tänzerin | |
| anzuspielen, die Anfang des 20. Jahrhunderts für ihre Bananenröckchen auf | |
| ansonsten entblößtem Körper bekannt wurde. Angereichert mit Statements wie | |
| „Meine Mutter sagt, Brot kann man aus Staub und Regen machen“ wird so | |
| Kolonialismus- und Exotismuskritik zur Foodperformance. Werden aus | |
| „Schwarzen“ Körpern Weißbrötchen. Um zu wissen, dass die kannibalistisch… | |
| Akte der Ausbeutung, bei denen selbst der Tod der „Arbeitskraft“ in Kauf | |
| genommen wird, nicht mit dem Kolonialismus endeten, reicht der Gedanke an | |
| das eigene Handy. | |
| Anders als die meisten der zurzeit hierzulande gezeigten Tanz-Performances | |
| aus afrikanischen Ländern wurde die Entstehung von „Monstres“ – das | |
| gleichzeitig die Entstehung eines Theaters in Brazzaville thematisiert – | |
| nicht durch das TURN-Programm der Kulturstiftung des Bundes (KdB) | |
| gefördert, sondern durch französische Regierungsprogramme. Auch die sind | |
| vor Chaillons Zynismus nicht sicher. Es solle sich niemand einbilden, ein | |
| paar infrastrukturelle Unterstützungsprogramme würden jemanden dazu | |
| bringen, bei Malaria, Ebola und HIV zu bleiben. Oder auch: „Hast du | |
| geglaubt, dass wir dafür Stileis und Polizistenschwänze lutschen?“ | |
| Vielleicht war das der Grund, warum die französische Botschafterin sich | |
| nach der Vorstellung ruckzuck Richtung Ausgang aufmachte. Vielleicht war es | |
| aber auch einfach ein bisschen Show. | |
| Wie reagieren, wie präsentieren, wie überhaupt wahrnehmen, das sind zurzeit | |
| jedoch nicht nur Fragen, die sich die französische Botschafterin stellen | |
| könnte. Nachdem das KdB-Programm TURN 2012 anlief, war der | |
| Auseinandersetzungs- und Aufarbeitungswille von Kulturinstitutionen, | |
| Publikum und Presse groß. Dass es so etwas wie Postcolonial Studies und | |
| Critical Whiteness gibt, hat sich auch im Tanz- und Theaterkontext | |
| rumgesprochen. Groß waren aber auch die Blessuren, die bei der | |
| Auseinandersetzung entstanden. Vieles dreht sich um blinde Flecken in der | |
| Wahrnehmung des deutschen Publikums. Unverständliches hingegen beruft sich | |
| auf das Recht auf Opazität – ein Begriff, den der karibisch-französische | |
| Schriftsteller Édouard Glissant geprägt hat und der für Undurchschaubarkeit | |
| als Antwort auf westliche Rationalität steht. Andere Stücke wollen wiederum | |
| überhaupt nicht für postkoloniale Diskurse vereinnahmt werden. Die Ansicht, | |
| dass es als „Weiße“ besser sei, eine Zeitlang die Klappe zu halten und | |
| einfach wahrzunehmen, setzte sich zum Teil bei Journalist*innen durch. | |
| Aber, wie sich in der derzeitigen Dichte von Arbeiten aus afrikanischen | |
| Kontexten zeigt, ist es so einfach vielleicht doch nicht. Ob in Potsdam, in | |
| Berlin beim Hebbel am Ufer, im Gorki Theater, in den Sophiensaelen oder an | |
| der Akademie der Künste Arbeiten von und mit Performer*innen aus | |
| afrikanischen Ländern gezeigt werden: Sie sind kuratiert, das heißt, nach | |
| Unterscheidungskriterien aus einem breiten Angebot herausgefiltert – meist | |
| von „weißen“ Kurator*innen oder zumindest von „Schwarzen“ Kurator*inne… | |
| die von „weißen“ Direktor*innen bestellt wurden. Eine ausbleibende | |
| Auseinandersetzung mit der Auswahl würde gleichzeitig eine ausbleibende | |
| Institutionenkritik bedeuten. | |
| Die Begegnung bleibt also notwendig spannend. „Monstres – on ne danse pas | |
| pour rien“ trifft auf den Tanztagen Potsdam, die inzwischen zu einem der | |
| größten und interessantesten deutschen Festivals geworden sind, einen Nerv. | |
| Es scheint an der Mischung aus Chaillons Zynismus-Salven, | |
| Thrash-Metal-Sound und gegen Ende immer dynamischer werdenden (wenn auch | |
| recht simpel gestrickten) Tanzeinlagen zu liegen. Der Applaus wäre im | |
| diskursfixierten Berlin wahrscheinlich intellektueller ausgefallen. In | |
| Potsdam schallt unmittelbare Solidarität durch, die stellenweise fast ins | |
| Grölen umschlägt. Nicht die beste der möglichen Massen-Reaktionen, nicht | |
| die schlechteste. | |
| 1 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Astrid Kaminski | |
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