# taz.de -- Keine Ausnahme für Autos | |
> Das Verwaltungsgericht Hannover hat die Fahrradstraßen der | |
> niedersächsischen Landeshauptstadt gerügt. Damit sie diesen Titel tragen | |
> dürfen, müssten Kraftfahrzeuge weg | |
Bild: Vom Steintor in einem Rutsch über die Fahrradstraße bis zur Uni: Aber a… | |
Von Reimar Paul | |
Fahrradstraßen sind eigentlich eine feine Sache. Im Prinzip sind sie für | |
Kraftfahrzeuge gesperrt, Autos, Motorräder und Lastwagen dürfen dort nicht | |
fahren. Auch für Fußgänger, Rollerfahrer oder Inline-Skater sind die | |
Fahrbahnen theoretisch tabu. Doch in – gar nicht so seltenen – | |
Ausnahmefällen erlauben Zusatzschilder, dass andere Verkehrsteilnehmer doch | |
die Fahrradstraßen nutzen dürfen. Das gilt dann etwa für Autos, Motorräder | |
oder Anlieger. Und wenn Autos dort fahren dürfen, dürfen sie unter | |
Beachtung der üblichen Vorschriften auch dort parken. | |
Um Signale für eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik zu senden, hat die | |
niedersächsische Landeshauptstadt Hannover 23 Fahrradstraßen ausgewiesen. | |
Und für alle 23 gilt die skizzierte Ausnahmeregel: Autos dürfen trotzdem | |
überall fahren und parken. Mit dieser Praxis könnte allerdings bald Schluss | |
sein. Das Verwaltungsgericht Hannover entschied nämlich, dass die | |
Einrichtung von Fahrradstraßen mit echten Verbesserungen für Radlerinnen | |
und Radler einhergehen muss – ein Auftrag an die Stadt Hannover. | |
Das Gericht befasste sich am vergangenen Freitag bereits zum zweiten Mal | |
mit der Kleefelder Straße im Hannoverschen Zooviertel, die zwischen dem | |
Michael-Ende-Platz und der Gneisenaustraße als Fahrradstraße deklariert | |
wurde. Nach einer ersten juristischen Pleite im Sommer 2019 hatte die Stadt | |
die Zahl der Parkplätze bereits von 30 auf 18 vermindert und den | |
entsprechenden Abschnitt zur Einbahnstraße umgewidmet, um den Autoverkehr | |
weiter zu reduzieren und die Verbindung sicherer für Radfahrer zu machen. | |
Ursprung war eine Anwohnerklage. | |
In dem neuerlichen Urteil wird die Stadt nun dazu verpflichtet, die | |
Bedingungen für Radfahrer weiter zu verbessern. Dem Gericht zufolge | |
bedeuten vor allem die parkenden Autos ein Risiko für Radfahrer. An diesen | |
Stellen nämlich sei die Fahrbahn nur noch 3,50 Meter breit – viel weniger | |
als die 4,75 Meter, welche die Richtlinie für Fahrradstraßen vorschreibt. | |
Werde der Sicherheitsabstand zu den parkenden Kraftfahrzeugen | |
berücksichtigt, bleibe für die Radler nur noch ein Breite von etwa drei | |
Metern. „Wo Fahrradstraße draufsteht, muss auch Fahrradstraße drin sein“, | |
zitiert die Hannoversche Allgemeine Zeitung aus der Urteilsbegründung von | |
Richter Arne Gonschior. | |
Dass die Stadt Konsequenzen aus dem Urteil ziehen muss, scheint | |
unausweichlich. Welche das konkret sind, steht aber noch dahin. Die Kommune | |
könne sich erst zu dem Richterspruch äußern, „wenn uns das Urteil in | |
schriftlicher Form zugestellt wurde“, sagte Stadtsprecherin Michaela | |
Steigerwald zur taz. Dies werde frühestens im September geschehen. | |
Tiefbauamtschef Andreas Bode räumte gegenüber lokalen Medien ein: „Wir | |
werden uns Gedanken machen und die Fahrradstraßen noch einmal nachprüfen | |
müssen.“ Dabei hat Stadtjustiziar Jörn Gerken nach Medienberichten bereits | |
in der Verhandlung eine Lösung angedeutet. Man könne auf „die Idee kommen, | |
das Parken rauszunehmen“, zudem könne man die Kleefelder Straße „zu einer | |
Anliegerstraße machen“. Durchgangsverkehr wäre dort dann verboten. | |
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) begrüßt das Urteil. Die Stadt | |
habe es sich bei der Ausweisung von Fahrradstraßen lange Zeit viel zu | |
einfach gemacht, in der Praxis seien damit kaum Verbesserungen für Radler | |
erreicht worden. Das Gericht habe noch einmal deutlich gemacht, dass Autos | |
in Fahrradstraßen grundsätzlich nichts zu suchen hätten. Wenn sie doch | |
zugelassen würden, müsse es dafür sehr gewichtige Gründe geben. | |
Beim Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC) sieht man das | |
erwartungsgemäß anders. Der Verband fordert eine Lösung, die auch die | |
Bedürfnisse des Autoverkehrs berücksichtige. Wenn Parkplätze wegfielen, | |
stiegen Parkdruck und Sicherheitsrisiken an anderer Stelle. Allerdings sei | |
auch der Automobilclub für eine weitere Beruhigung des Verkehrs in der | |
Straße, hieß es. | |
Kurios an den beiden Verwaltungsgerichtsprozessen ist, dass die ihnen | |
zugrunde liegenden Klagen in eine ganz andere Richtung zielten. Der Kläger, | |
ein Anwohner, hatte schon 2019 argumentiert, dass die Kleefelder Straße | |
seit ihrer Ausweisung zur Fahrradstraße eine „Rennbahn“ geworden sei. | |
Als dort noch mehr Autos parken durften, sei es sicherer gewesen, die am | |
Straßenrand stehenden Fahrzeuge hätten den Verkehr verlangsamt. Durch den | |
Abbau von zwölf Parkplätzen habe sich die Situation weiter verschlimmert, | |
begründete der Anwohner seine zweite Klage. | |
Prozessbeobachtern zufolge hat Richter Gonschior den Kläger in der | |
Verhandlung darauf hingewiesen, dass das Urteil anders ausfallen könnte, | |
als er es sich wünsche. Der Anwohner habe sich auf eine Rücknahme der Klage | |
aber nicht einlassen wollen, sondern auf dem „Status quo“ der Kleefelder | |
Straße bestanden. Und zwar den Status quo vor der Ausweisung als | |
Fahrradstraße. | |
20 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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