# taz.de -- Karneval der Kulturen: Ein Fest, das das Leben verändert | |
> Der Eisvogel ist das Mottotier beim Kinderumzug an diesem Samstag. Hinter | |
> der bunten Parade und dem Fest im Görlitzer Park stecken viele | |
> HelferInnen - und die besten pädagogischen Absichten. | |
Bild: Genauso bunt soll es am Sonnabend zugehen - auf dem Kinderkarneval | |
Öffnet man die Tür zum Nähzimmer in den Etagen des Vereins "Kreuzberger | |
Musikalische Aktion" (KMA) am Mehringplatz, dann ist es, als ob man eine | |
andere Welt betritt. Aus einem kahlen Betonflur, in dem Neonlicht dicke | |
Lüftungsrohre beleuchtet und harter Noppenbelag aus Plastik den Fußboden | |
schützt, tritt man in einen Raum, der einen wie eine weiche Glitzerwolke | |
umfängt. Wände und Schränke sind kunstvoll bemalt, Vorhänge verschönern die | |
Fenster, die Nähmaschinen sind unter bortengeschmückten Hauben verborgen. | |
Vor allem aber die deckenhohen Kleiderstangen voll bunter Kostüme machen | |
den Raum zu einem Kinderparadies. | |
Aus einer Ecke glitzert es grün und blau. Hier hängen die bereits | |
fertiggestellten Kostüme für die Gruppen, die am diesjährigen Kinderumzug | |
des Karnevals der Kulturen teilnehmen: Schimmernde Gebilde aus Federn und | |
Tüll, Samt und Satin in teils winzigen Größen. Sie stellen den Eisvogel | |
dar, der in diesem Jahr das Mottotier des Kinderumzugs ist. Die Jüngsten | |
derjenigen, die die aparten Kostüme an diesem Samstag tragen werden, sind | |
noch keine fünf Jahre alt. | |
Seit zwölf Jahren ist der Kinderumzug vom Kreuzberger Mariannenplatz zum | |
Görlitzer Park fester Bestandteil des Karnevals der Kulturen. 25 Gruppen | |
mit über 800 TeilnehmerInnen werden diesmal teilnehmen - insgesamt laufen | |
aber doppelt so viele Leute mit, schätzt Vassiliki Gortsas, die den | |
Kinderkarneval von der KMA aus organisiert und betreut: "Denn es schließen | |
sich immer noch ganz viele andere an: Eltern und Kinder aus Berlin und dem | |
Umland, oder Zuschauer, die sich den Zug erst ansehen und dann zum Fest im | |
Görlitzer Park mitlaufen." Die 31-Jährige, deren Familie aus Griechenland | |
stammt, wird von Mitarbeiter- und TeilnehmerInnen des Karnevals liebevoll | |
Vassoula genannt. Hauptberuflich arbeitet die Diplompolitologin am | |
Schöneberger Kinder- und Jugendmuseum. | |
Seit drei Jahren kümmert sie sich auch um die Organisation des | |
Kinderkarnevals. Der besteht neben dem Umzug am Samstag und dem | |
anschließenden Fest im Görlitzer Park aus dem Malwettbewerb, der dem | |
Karnevalswochenende vorausgeht. Dabei geht es immer um das Mottotier des | |
Kinderkarnevals: In diesem Jahr also um den Eisvogel, der auch Vogel des | |
Jahres 2009 ist. Auch die Libelle sei als Maskottchen für dieses Jahr im | |
Gespräch gewesen, sagt Vassoula Gortsas. Doch die hübschen Insekten seien | |
Kannibalen, die ihre Artgenossen fressen: Sich damit zu befassen, wollte | |
sie den jungen TeilnehmerInnen lieber nicht zumuten. | |
Denn ganz ohne pädagogische Absichten kommt der Kinderkarneval nicht daher: | |
Die teilnehmenden Kinder- und Jugendgruppen oder Schulklassen setzen sich | |
in der Vorbereitung ihrer Kostüme für den Umzug, ihrer Auftritte beim Fest | |
oder beim Malen der Bilder für den Wettbewerb auch mit dem Mottotier | |
auseinander. In einem ohrwurmverdächtigen Eisvogelrap mit dem coolen Titel | |
"Ich sag Eis, und ihr sagt Vogel" haben in diesem Jahr Kinder der | |
Kreuberger Charlotte-Salomon-Grundschule den schillernden kleinen und in | |
seinem Lebensraum bedrohten Vogel sogar besungen: "Ich bin der Vogel des | |
Jahres 2009, und ich bin gekommen, um mich mit euch zu freuen", haben sie | |
zu einem flotten Elektrosound getextet, und weiter: "Damit ich nicht | |
aussterbe, müsst ihr endlich mal handeln - sonst werdet ihr die Erde in | |
einen grauen Klotz verwandeln!" | |
Warum das traditionell eigentlich eher anarchistische Karnevalsfest für | |
Kinder mit pädagogischem Anspruch versehen wird: Die Frage überrascht den | |
Theaterpädagogen Karl-Heinz Haase. Dann muss er lachen. Er mache nun eben | |
schon seit so vielen Jahren Kinder- und Jugendarbeit: "Da kann man den | |
Pädagogen wahrscheinlich nicht mehr verleugnen!" Dass die Kinder bei den | |
Vorbereitungen für das Fest auch etwas lernten - "das ist doch prima!", | |
sagt Haase. Die Idee, jedes Jahr ein Tier zum Maskottchen des | |
Kinderkarnevals zu machen, sei entstanden, denn "Tiere interessieren alle | |
Kinder - egal welche Muttersprache sie sprechen oder ob sie überhaupt schon | |
reden können". Gemeinsam mit KollegInnen hat Haase 1997 die Idee des | |
Kinderkarnevals entwickelt. Es sollte ein Fest sein, auf dem vor allem | |
Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sich und ihre Arbeit vorstellen | |
können. | |
Dass immer noch die Mehrzahl der teilnehmenden Gruppen aus diesem Bereich | |
kommt, liegt nicht nur daran: Die Zusammenarbeit mit Schulklassen sei zwar | |
sehr erwünscht, aber nicht einfach, sagt Vassoula Gortsas. Das hat | |
finanzielle wie organisatorische Gründe: "Freizeiteinrichtungen haben in | |
der Regel einen eigenen kleinen Etat, aus dem sie Kosten für die | |
Materialien für Kostüme oder Wagen decken können", sagt Gortsas. "Zudem | |
gibt es dort pädagogisches Personal, das mit den Kindern nähen oder | |
Tanzvorführungen einstudieren kann." | |
Bei Schulen sei das schwieriger. "Wir beantragen deshalb Extragelder für | |
Projekte mit Schulklassen", sagt Gortsas. "Ob das klappt, ist aber immer | |
unsicher. Wir können den Schulen dann keine Zusagen machen. Das ist für | |
Lehrer schwer planbar", bedauert Gortsas. Zwei Schulprojekte seien in | |
diesem Jahr abgelehnt worden: Das eine, weil es für zu kurz und damit nicht | |
nachhaltig genug befunden wurde, ein anderes, längeres wurde auch | |
abgelehnt. "Das ist schade", sagt Gortsas. | |
Der Etat, den sie für den Kinderkarneval zur Verfügung hat, kommt aus | |
Geldern des Bezirks, von Stiftungen, aus Projekttöpfen und von Sponsoren. | |
Viel ist es nicht: "Sechsstellige Höhe haben wir bisher noch nicht | |
erreicht", sagt Gortsas. Dabei kommt es durchaus vor, dass Firmen | |
großzügige Spenden anbieten - verbunden mit entsprechenden Erwartungen, wie | |
sie sich auf dem Karneval präsentieren können. So habe etwa ein | |
Autohersteller Geld geboten und wollte dafür auf dem Kinderfest eine Bahn | |
mit kleinen Elektroautos aufbauen. Gortsas hat abgelehnt: "Wir wollen | |
Spiele, die die Kinder fordern, ihre Fantasie anregen - nicht solche, wo | |
man auf einen Knopf drückt, und dann bewegt sich was." Zudem solle das Fest | |
möglichst unkommerziell bleiben: Werbestände von Limonade- oder | |
Spielzeugfirmen passen nicht. | |
Auch ein Projekt mit einer Kindergruppe aus Belgien, die als einzige aus | |
dem Ausland zum Kinderkarneval kommt, musste deshalb abgesagt werden. Das | |
tat Vassiliki Gortsas besonders leid: "Als die belgischen Kinder zum ersten | |
Mal da waren", erzählt sie, "haben sie uns nachher Briefe geschrieben, weil | |
es ihnen so gut gefallen hat." Eines der Kinder - kaum im Grundschulalter - | |
schrieb da: "Der Karneval hat mein Leben verändert!" Auch ohne Projekt sind | |
die Belgier deshalb in diesem Jahr wieder da. | |
29 May 2009 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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