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# taz.de -- Kampf der Ethnien in Kenia: Die traurige Tradition der Milizen
> In Kenias Nach-Wahl-Chaos veranstalten Gangs Hetzjagden auf andere
> Volksgruppen. Die Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich laut UN
> verdoppelt.
Bild: Menschenrechtsaktivistinnen erinnern mit Blumen an die Toten der letzten …
NAIROBI taz Wer von Nairobi nach Nyeri ins kenianische Hochland fährt,
landet kurz vor der Stadtgrenze bei einem Kreisverkehr, an dem sich von
morgens bis abends Prediger tummeln. Im Moment steht dort nur ein Mann. Wer
ihn versteht, spricht Kikuyu, die Sprache der Volksgruppe, die ursprünglich
aus dem Hochland stammt, so wie der umstrittene Präsident Mwai Kibaki. "Der
predigt nicht nur Rassismus, das ist Aufruf zum Mord an allen anderen
Ethnien", empört sich ein Geschäftsmann aus Nairobi, der auf dem Weg zu
seiner Familie an dem Prediger vorbeigefahren ist.
Gegen das, was ihn zu Hause in Nanyuki erwartete, war die skurrile
Scharfmacherei in Nyeri noch harmlos. In der fast ausschließlich von Kikuyu
besiedelten Region werde überall offen für den Mord an anderen Volksgruppen
gesammelt: "Die gehen von Haus zu Haus und sagen: Habt ihr gehört, was
unseren Brüdern und Schwestern rund um Eldoret zugestoßen ist? Gebt uns
Geld, damit wir die Übeltäter umlegen können", berichtet der Geschäftsmann.
Die da von Haus zu Haus gehen, sind Anhänger einer der berüchtigtsten
politischen Sekten, der Mungiki, die sich auf einen mythischen Hintergrund
und das Erbe der Mau-Mau berufen, die Kenia von der Kolonialherrschaft
befreiten. Viele halten sie inzwischen für kaum mehr als eine mafiöse
Organisation. Doch in den Unruhen der Zeit nach den Wahlen, wo viele Kikuyu
zu Opfern geworden sind, haben die Mungiki Oberwasser bekommen. Sie drohen,
jeden umzubringen, der einen Kikuyu von seinem Hof vertrieben hat. Auch
neue Angreifer wollen sie fernhalten - gegen ein hohes Schutzgeld, versteht
sich. Bei manchen Kikuyu-Flüchtlingen aus Eldoret kommt das gut an, und
auch bei einigen Kikuyu, die die Unruhen aus sicherer Ferne beobachten.
Denn im Hochland leben kaum ethnische Minderheiten.
Anders ist das im Rift Valley, das sich westlich des Hochlands von der
Grenze zu Tansania bis nach Äthiopien erstreckt. Hier, zwischen dem
Hochland im Osten und dem Viktoriasee im Westen, leben unterschiedlichste
Ethnien zusammen. Eldoret liegt in der nördlichen Hälfte des Rift Valley -
hier sind die Kikuyu in der Minderheit. Seit der Verkündung des Wahlsiegs
von Präsident Mwai Kibaki werden sie von Milizen der Mehrheitsethnie, den
Kalenjin, verfolgt. Im südlichen Rift Valley, wo die Mehrheitsverhältnisse
genau umgekehrt sind, verfolgen Kikuyu-Milizen Kalenjin, Luo und andere
Minderheiten, die mehrheitlich für Oppositionsführer Raila Odinga gestimmt
haben.
Die ethnischen Milizen haben eine traurige Tradition. Seit langem sind sie
der verlängerte Arm politischer Hardliner. Die Mungiki etwa benutzte schon
2002 der damalige Autokrat Daniel Arap Moi, um in Nairobis Slums Angst und
Schrecken zu verbreiten. Knapp ein halbes Jahr vor dem Wahltermin wüteten
sie in Armenvierteln, wo Luo zu Hause waren. Ihre Morde begingen sie
möglichst grausam: Mit Macheten wurden die Opfer niedergemetzelt, sie
wurden angezündet oder lebendig begraben. Die gleichen Szenen wiederholen
sich in diesen Tagen im Naivasha und Nakuru im südlichen Rift Valley. Die
Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich in Kenia binnen eines Monats
verdoppelt, warnen die UN. "Es ist immer das gleiche: Wenn es Unruhen gibt,
sind die Schwächsten die ersten Opfer", erklärt Rahab Ngugi, die in
Nairobis Frauenhospital arbeitet. Von 140 Frauen, die hier seit Anfang
Januar eine Vergewaltigung gemeldet hatten, war gut die Hälfte unter 18
Jahre alt.
Nicht nur die Opfer, auch moderate Kikuyu fürchten die Mungiki, die ihre
Mitglieder mit düsteren Riten auf unbedingte Treue einschwören. "Sie gehen
von Haus zu Haus", berichtet ein Kikuyu aus Naivasha. "Wenn du ein Luo
bist, dann töten sie dich. Wenn du ein Kikuyu bist, nehmen sie dich mit.
Wenn du dich weigerst, töten sie dich auch."
Extremisten haben derzeit in Kenia Konjunktur - die Gerüchte mehren sich,
dass einige von Kibakis Ministern die Mungiki mit Geld und Waffen
unterstützen. "Die Polizei lässt die Mungiki walten", sagt ein Augenzeuge
aus Nakuru. Kurz vor den Wahlen wurde ein Auto mit Regierungskennzeichen in
Naivasha angehalten, bis unter das Dach voll geladen mit Macheten. Zwei
Tage stand der Wagen an einer Polizeiwache, dann war er verschwunden. Was
mit den Waffen geschehen ist, weiß niemand.
Politiker aus Regierung und Opposition geraten wegen der Angriffe der
Milizen zunehmend unter Druck. US-Staatssekretärin Jendayi Frazer verglich
die Kämpfe im Rift Valley am Mittwoch mit "ethnischen Säuberungen",
Großbritanniens Afrikaminister Mark Malloch Brown machte "Drahtzieher im
Hintergrund" aus. Der UN-Sonderbeauftragte zur Verhinderung von
Völkermorden, Francis Deng, kündigte an, einen Ermittler nach Kenia zu
schicken.
Unterdessen haben die ethnischen Milizen die Hauptstadt Nairobi ins Visier
genommen. Im Norden von Nairobi brannten am Mittwochmorgen Hütten von
Nicht-Kikuyu. "Die Mungiki haben sie abgefackelt", sagt Roger, der als
Gärtner im nahen Villenviertel arbeitet. Von der nahen Polizeiwache sei
niemand gekommen, um zu helfen. Diesen Vorwurf hört man immer wieder. Zwar
versichert Polizeisprecher Eric Kiraithe, man habe die Lage unter
Kontrolle, doch das kann nicht ganz stimmen. Von einem Todesschussbefehl
war am Mittwoch die Rede, auch das wies er zurück. "Aber wir können nicht
zulassen, dass weiterhin Menschen auf offener Straße erschlagen werden",
verteidigte Kiraithe ein künftig noch härteres Durchgreifen. Doch ob die
Polizei gegen die Milizen eine Chance hat oder haben darf, war vier Wochen
nach Beginn der Unruhen in Kenia völlig unklar.
31 Jan 2008
## AUTOREN
Marc Engelhardt
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