# taz.de -- Junge Menschen auf Kuba: Und das nennt ihr Sozialismus! | |
> Mit romantischem Che-Bild im Herzen kommt Ruth in Havanna an. Sie findet | |
> ein Kuba, das sich verloren hat. | |
Bild: Montechristo-Zigarren hat auch el Che schon geraucht, heute können sich … | |
Von [1][RUTH FUENTES] | |
[2][taz FUTURZWEI], 11.01.2023 | Fast dreißig Grad Celsius hat es heute, | |
die Klamotten kleben salzig am Körper. Winter in La Habana, Kuba. In frisch | |
lackierte Cadillacs lassen sich reiche Amerikaner am Malecón entlangfahren. | |
Vor einigen Tagen, an Neujahr, haben sie den 64. Geburtstag der Revolution | |
gefeiert. Die Kubaner natürlich, nicht die Amis. Die Ray-Ban im Gesicht | |
laufe ich durch die touristische Innenstadt. Die Brille secondhand, | |
natürlich. Aber sie schützt wenig vor Blicken, und sie hält auch nicht zwei | |
Kinder davon ab, mich nach ein paar Pesos zu fragen. | |
Immer schön darauf achten, wo man hintritt, denke ich, um nicht auf dem | |
seit Jahren nicht mehr erneuerten Gehweg zu stolpern. Halb eingestürzte | |
Villen, daneben neueste Hotelbauten. Die will ich nicht sehen. Sondern das | |
echte Kuba. Das Kuba, das sich gegen die Amis gestellt hatte. Gegen den | |
Kapitalismus. Und für die Unabhängigkeit. | |
Ich laufe in eine Nebengasse, es riecht nach Müll. Tatsächlich; zwei Hunde | |
und drei Kubaner wühlen in einem riesigen Müllberg, der sich in, auf und um | |
eine blaue Tonne herum anhäuft. Ich laufe weiter, nehme meine Ray-Ban jetzt | |
ab, aber ich falle trotzdem auf. Touristin, das heißt Geld. Geld aus dem | |
Ausland. „Hey, where are you from? Where are you from?“ rufen sie mir | |
hinterher. | |
Ich treffe Naldo in einem dieser kubanischer Cafés, in denen sechs Kellner | |
rumstehen, um drei Gäste zu bedienen. Sozialismus-Style, wie ich es nur aus | |
DDR-Erzählungen kenne. Immerhin gibt es kaltes Bier. Aus Spanien. | |
„Können wir auch Kroketten dazu haben?“ | |
„Haben wir heute nicht“, sagt der Kellner. | |
„Okay, dann eben nur Bier.“ | |
## Arbeit ohne Ansporn | |
„Du fragst dich vielleicht, warum die so viele Kellner einstellen. Kriegt | |
eh jeder nur 20 Dollar im Monat. So wie wir alle hier.“ Naldo nippt an | |
seinem Bier. Dafür, dass er noch so jung ist, wirkt er ziemlich gelangweilt | |
vom Leben. Er arbeitet in einem wissenschaftlichen Labor. Eigentlich von | |
neun bis fünf. Um zwölf geht er dann normalerweise. Interessiert niemanden. | |
Da macht er lieber stattdessen seine Musik. | |
Der immer gleich klingende Beat des Reggaeton und eine Autotune-Stimme, die | |
von Herzschmerz singt, füllen die Stille. | |
„Dieser Scheiß-Reggaeton betäubt die Leute“, grummelt Naldo. „Techno ist | |
mir lieber.“ Er erzählt, dass er selbst produziert. Am Laptop, Controller, | |
um selbst aufzulegen, hat er nicht. Gibt es nicht oder nur sehr teuer. Und | |
wer einen hat, teilt ungern oder arbeitet für den Staat. | |
„Dann solltest du unbedingt nach Berlin – Hauptstadt des Techno.“ | |
Naldo schaut mich resigniert über das Bier hinweg an. Ich schweige. Kuba | |
hat er nie verlassen. Wie auch? Selbst in die Lobby des staatlichen Hotel | |
Nacional kommt man als Kubaner schwer. Bringen ja keine Dollars ein, die | |
Einheimischen. | |
„Ihr Touris kommt alle hierher, um euch den beispielhaften Sozialismus | |
anzuschauen, was?“ Bei dem Wort Sozialismus malt er Anführungszeichen in | |
die Luft. | |
„Ich bin hier, um die Kubaner kennenzulernen. Und das Land.“ Ich weiß, dass | |
ich lüge. Ich bin froh, mein Che-Shirt daheim gelassen zu haben. Von Che | |
Guevaras „Motorcycle Diarys“, die ich gerade lese, erzähle ich wohl lieber | |
nicht. | |
## Che oder Scarface? | |
Hinter ihm auf der anderen Straßenseite prangt das altbekannte Portrait des | |
Che. Der „Guerrillero Heroico“ – der Heroische Krieger. „Venceremos!“… | |
da groß in geschwungener Schrift: „Wir werden siegen!“ Ein Kubaner mit | |
Fake-Goldkettchen und einem Scarface-Hemd läuft daran vorbei, ohne es zu | |
beachten. „Taxi, Geldwechseln?“ ruft er auf Englisch ein paar Touris | |
hinterher. | |
„Ist ja mehr Kapitalismus als Sozialismus“, sage ich zaghaft. | |
Naldo schüttelt den Kopf. „Ist alles nur wegen des Embargos.“ Wieder die | |
Anführungszeichen in der Luft. „Und warum wehrt ihr euch nicht?“ | |
„Wie willst du dich wehren?“ Er lacht verbissen. „Ich mache lieber meine | |
Musik und halte mich da raus … Wer was sagt, kommt in den Knast, | |
verschwindet, was weiß ich, kommt gebrainwashed zurück.“ | |
Er erzählt mir, dass seine Mutter bald seine Tante in Brasilien besuche und | |
dass er hoffe, dass sie einfach nicht wiederkomme. | |
„Aber …“ Ich will irgendetwas sagen über Verantwortung. Über Freiheit, … | |
die es zu kämpfen lohnt. Lieber frei sterben, als auf Knien leben. Irgend | |
sowas. Und, dass Kapitalismus auch nicht unbedingt besser sei. Ich komme | |
mir aber nur intellektuell und überheblich vor und deshalb halte ich lieber | |
den Mund. | |
## Keine Kraft zum Widerstand | |
Naldo schaut mich müde an: „Wenn du den ganzen Tag damit beschäftigt bist, | |
in Schlangen zu stehen, um das Essen für den Tag zusammenzubekommen, hast | |
du kein Bock mehr auf Stress mit dem Regime. Du hast nicht mal Zeit dafür.“ | |
Es muss eine Lösung geben, denke ich. Fühle schon bei dem Gedanken ans | |
tägliche Schlangestehen eine Mischung aus Ohnmacht und Wut in mir | |
aufsteigen. Die Freiheit, einfach zu sagen, was einem gerade so durch den | |
Kopf geht. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, nein, eine Pflicht. | |
Das zu sagen, fühlt sich zu pathetisch an. Ich erinnere mich sogar daran, | |
dass ich den Klimastreik im September verschlafen habe. Und mein | |
politisches Engagement der letzten Monaten sich auf eine Spende an | |
Sea-Watch beschränkt. | |
„Das ist kein Leben hier. Die Freiheit zu denken gibt es, die Freiheit, | |
sich zu äußern, nicht.“ erklärt mir Naldo noch das kubanische Konzept von | |
Meinungsfreiheit. Wo bleiben die heroischen Guerrillas in diesem Land? Weil | |
mir keine gute Antwort dazu einfällt, verschwinde ich auf die Toilette. Und | |
flüchte gleich wieder; es stinkt mörderisch nach Pisse. | |
„He! Sie müssen für das Urinieren bezahlen!“ höre ich eine Frau rufen, a… | |
ich wieder raus laufe. | |
Ich stocke, laufe weiter. Sie ruft nochmal, ich drehe mich in Gottes Namen | |
um. | |
„Drei Pesos.“ Sie zeigt auf einen grünen Schein. Das Bild von „el Che“, | |
einsam und vergilbt, schaut mir entgegen. | |
Jetzt bloß nichts sagen, Ruth, halt einfach die Fresse und leg da was rein, | |
denke ich. Und schaue wieder in Ches Augen. Ich frage mich, ob ich schon | |
eine Paranoia entwickle, weil ein Mann in weißem T-Shirt langsam aus einer | |
Ecke des Cafés auf mich zu kommt. | |
## Das Privileg des Touristen | |
„Sorry, aber ich seh' nicht ein, wofür ich zahlen muss. Die Spülung geht | |
nicht, es gibt keine Türen in den Kabinen, kein fließendes Wasser, ich kann | |
mir nicht mal die Hände waschen … Außerdem denke ich, dass Urinieren ein | |
Menschenrecht ist.“ Ich zahle selbst bei Sanifair nie, will ich sagen. Aber | |
das würde sie ja wohl kaum umstimmen. | |
„Geben Sie einfach was“, sagt eine Stimme hinter mir. | |
Ich finde nur eine Ein-Euro-Münze in meiner Hosentasche und werfe sie in | |
die Schale. | |
„Und das nennt ihr Sozialismus“, sage ich noch. Niemand reagiert. Die | |
Kellner starren weiter geradeaus. | |
„Ist das dein erstes Mal hier in Kuba?“ Der Typ im weißen T-Shirt ist jetzt | |
ganz nahe. | |
Ich nicke. | |
„Studentin?“ | |
Ich nicke wieder. Fragt er mich gerade aus? Ich bin richtig froh, dass | |
Naldo in dem Moment nach mir ruft. Und, dass ich Touristin bin, keine | |
Familie auf Kuba habe und das Land verlassen kann, wann immer ich möchte. | |
Das privilegiert mich, an der Toilettentür rumzupöbeln. Und jetzt auch noch | |
meine Meinung hier aufzuschreiben. Aber eine „guerrillera heroica“ bin ich | |
noch lange nicht. | |
Und was den „Heroismus“ der kubanischen Revolutionäre anbelangt, damit | |
sollte ich mich auch nochmal näher auseinandersetzen. Mein Che-Shirt werde | |
ich jedenfalls dem nächstbesten Touri andrehen, der gerade erst angekommen | |
ist und noch so verblendet, wie ich es bis vor wenigen Tagen war. | |
Die Recherchereise unserer Autorin wurde finanziert von der [3][taz Panter | |
Stiftung]. | |
11 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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