# taz.de -- Jubiläum beim antifaschistischen Archiv: Engagierte Feindbeobachtu… | |
> Seit 20 Jahren sammelt das "antifaschistische pressearchiv" apabiz alles | |
> über Rechtsextremismus. Aktuell sind die Dienste der Kreuzberger | |
> besonders gefragt. | |
Bild: Seit den jüngsten Ermittlungen zur Mordserie von Neonazis sind Aktivitä… | |
Das Telefon steht nicht mehr still. Ununterbrochen rufen gerade | |
Journalisten an, sagt Ulli Jentsch. Selbst aus dem Ausland hätten sich | |
Medien gemeldet. Jetzt, da bekannt wurde, dass drei untergetauchte | |
Thüringer Neonazis über Jahre neun Migranten und eine Polizisten erschossen | |
haben. Die Redakteure wollen Fotos der Rechtsterroristen, Hintergründe, | |
alte Weggefährten. "In den allermeisten Fällen können wir weiterhelfen." | |
Jentsch - Kapuzenjacke, leicht verwuschelte Haare - gönnt sich eine Pause. | |
Raucht eine Zigarette durchs offene Fenster, auf dem Tisch steht Tee. Der | |
Blick des 46-Jährigen fällt auf überbordende Regale, acht Reihen bis zur | |
Decke. Darin Bücher, Ordner, Zeitschriften, graue Pappkartons - eine ganze | |
lichtdurchflutete Fabriketage voll, mitten in Kreuzberg, in der Lausitzer | |
Straße. Es ist das größte Dokumentationszentrum über Rechtsextremismus in | |
Deutschland, das "antifaschistische pressearchiv" (apabiz). Seit 20 Jahren | |
arbeitet Jentsch für den Verein. Von Anfang an. Am Freitag feiert das | |
apabiz sein Jubiläum (siehe Kasten). Es könnte nicht turbulenter ausfallen. | |
Fast alle zehn ehrenamtlichen Mitarbeiter würden gerade die Archive | |
sichten, um Spuren des mordenden Neonazi-Trios zu finden, erzählt Jentsch. | |
Bis spätabends würden Fotos, Flugblätter und alte Presseberichte | |
durchforstet. Auch Eike Sanders recherchiert mit, neben Jentsch die einzige | |
Festangestellte im apabiz. | |
## 15.000 Bücher, Broschüren, CDs und Videos | |
Die 32-Jährige mit den kurzen Haaren und der schwarzen Brille führt durch | |
die engen Gassen zwischen den Regalen, zeigt auf Bücher über | |
neugermanisches Heidentum, NPD-Postillen, Landser-CDs, Ordner mit | |
Kameradschafts-Aufklebern in Klarsichtfolien. Rund 15.000 Bücher, | |
Broschüren, CDs und Videos, einige alte VHS-Kassetten, umfasst das Archiv. | |
"Vieles haben wir selbst bestellt, anderes über Umwege zugesteckt | |
bekommen", erklärt Sanders. Einen Raum füllen allein die Bücher des | |
früheren FU-Rechtsextremismusforschers Richard Stöss. Sanders geht zurück | |
in den Leseraum, weist auf ein Regal: "Unsere Kinderbibliothek." Das | |
Anne-Frank-Tagebuch, Comics gegen rechte Gewalt. In einer anderen Ecke | |
stehen vier Kisten mit schwarzen Neonazi-Shirts. "Da hat ein Aussteiger | |
ausgemistet." | |
Sanders ist über eine Uni-Arbeit zu Esoterik und extremen Rechten ins | |
apabiz gekommen, hat dann ein Praktikum im Büro gemacht. Seit fünf Jahren | |
arbeitet sie im Archiv. Nicht untypisch: Es sind neben Journalisten viele | |
Studenten sowie Lehrer und Schüler, Mitglieder von Vereinen und linken | |
Initiativen, die ins apabiz kommen. Jentsch erzählt von einer | |
Soziologie-Professorin aus New York, die hier gerade zu Lifestyles von | |
rechten Jugendlichen in Deutschland forscht. Auch fast alle Parteien seien | |
schon mal dagewesen - inklusive CDU. Beraten werde jeder, der mit | |
Rechtsextremismus konfrontiert sei, betont Jentsch. "Unabhängig von seinen | |
politischen Standpunkten." Man wolle keine Ideologie verkaufen, sondern | |
Aufklärung. | |
Seit Jahren besucht das Team um Jentsch und Sanders jede größere, | |
öffentliche Neonazi-Veranstaltung, erstellt danach akribische Dossiers über | |
Reden oder aufgetretene Bands. Gut 100 Vorträge halten die Mitarbeiter im | |
Jahr, quer durch die Republik. Die apabiz-Broschüre "Versteckspiele" über | |
Symbole und Modemarken der rechten Szene bringt es inzwischen auf zwölf | |
Auflagen und 105.500 verteilte Exemplare. 2005 war es das Archiv, das als | |
Erstes berichtete, wie die "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) Kinder von | |
Rechtsextremen in Zeltlagern ideologisch drillte. Vier Jahre später wurde | |
der Verein verboten. | |
Es gebe Spaßigeres, als sich durch Nazi-Pamphlete und Hetzreden zu wühlen, | |
räumt Jentsch ein. "Manchmal ist dieser geballte Schwachsinn die Hölle." | |
Jentsch lacht sein ausgedehntes Lachen. "Das macht es aber wett, wenn man | |
am Ende etwas verändert." Lässt die Arbeit abstumpfen? Jentsch überlegt, | |
schüttelt den Kopf. "Es entsteht Distanz, ja. Die ist aber auch nötig." | |
Dass das apabiz mehr als ein staubiges Archiv ist, liegt schon in seinen | |
Anfängen begründet. Mit ein paar Berliner Antifa-Leuten gründete Jentsch | |
den Verein 1991, im Hochjahr neonazistischer Nachwende-Pogrome. Erst habe | |
man Nachtwachen in Flüchtlingsheimen geschoben. Tags darauf Zeitungsartikel | |
zu Übergriffen ausgeschnitten und abgeheftet - in Ordner des Papiertigers, | |
einer linken Kreuzberger Bibliothek. | |
Erst der Aufstand der Anständigen 2000 brachte breite politische | |
Aufmerksamkeit für das Thema Rechtsextremismus - und dem apabiz erste | |
Fördergelder sowie den Umzug in die Lausitzer Straße. "Wir haben lange | |
überlegt, ob wir das annehmen sollen", erinnert sich Jentsch. Er war am | |
Ende dafür. "Wir hatten etwas zu sagen und wir wollten viele erreichen." | |
## Finanziell unabhängig | |
Bis heute finanziert sich das apabiz hauptsächlich über seine | |
Fördermitglieder. Immer knapp an der Grenze, aber mit einem Vorteil, so | |
Jentsch: "So können wir unabhängig auch mal die Klappe aufreißen." Zur | |
verfehlten Extremismusklausel etwa oder zu fragwürdigen Schulbesuchen von | |
Verfassungsschützern. | |
Heute sagt Franz Schulz, Grünen-Bürgermeister in Friedrichshain-Kreuzberg, | |
das apabiz bekomme noch gar nicht die Bedeutung in der Öffentlichkeit, die | |
es verdiene. Linken-Fraktionschef Udo Wolf attestiert eine "großartige | |
Recherche- und Beratungsarbeit". Auch Wowereit-Berater Björn Böhning (SPD) | |
lobt, das Archiv habe sich "um den Antifaschismus verdient gemacht". | |
Von Nazis sei man in den 20 Jahren im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen | |
worden, erzählt Jentsch. Nur einmal, 2002, standen einige Kameradschaftler | |
vor der schweren, grauen Metalltür zum Archiv: Sie würden gerne einen Blick | |
in ein paar Bücher werfen. "Pech für die Nazis." Jentsch grinst. "Wir | |
kennen eben deren Gesichter." Die Rechtsextremen wurden schnurstracks der | |
Tür verwiesen. | |
16 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
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