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# taz.de -- schlagloch: Jenseits von Ankara
> Zwischen Ethnisierung und Identitätsbehauptung: Wie kann ein neues
> deutsches Muslim-Sein jenseits einer (Selbst-)Ghettoisierung aussehen?
Kann es einen „deutschen Islam“ geben, der nicht vom Innenministerium
definiert wird? Sondern der im Gegenteil ein Ausdruck von Selbstbewusstsein
und Emanzipation wäre? Die Debatte darüber wird hitzig geführt, nicht ganz
zufällig just vor dem Besuch von Präsident Erdoğan – aber keineswegs nur
deswegen.
Das Deutsch-Islam-Projekt wird von einem Kreis jüngerer Intellektueller um
die Alhambra-Gesellschaft vorangetrieben; dazu zählen der Publizist Eren
Güvercin und die Islamwissenschaftlerin Nimet Şeker, auch zwei aktive Grüne
sind dabei, sowie der Rechtsanwalt und Blogger Murat Kayman, allesamt
bekannte Namen in der muslimischen Zivilgesellschaft jenseits der großen
Verbände.
Zunächst: Von einem deutschen Islam zu sprechen ist nicht neu. Denn der
Islam kam entgegen landläufiger Mythen nicht mit den ersten Gastarbeitern.
Die Anfänge der „Deutschen Muslim-Liga“ reichen in das Jahr 1949 zurück;
einheimische Muslime, sogenannte Konvertiten, sprachen in der alten
Bundesrepublik über zwei Jahrzehnte für den Islam – etwa der
Volkshochschulleiter Wolf Ahmed Aries. Muslime wie er würden heute kaum
mehr zu Islam-Debatten geladen, schreibt Aries, weil die Öffentlichkeit
lieber mit denen streite, die zur Projektion von Fremdheit und
Andersartigkeit taugten.
Zu den herkunftsdeutschen Muslimen zählen Pionierinnen eines feministischen
Islam wie die Theologin Rabeya Müller und die Initiatoren der „Islamischen
Zeitung“: Mitte der 1990er Jahre in Weimar gegründet und stets die
ethnische Struktur des hiesigen institutionellen Islam kritisierend.
Herausgeber Abu Bakr Rieger sieht die Muslime heute in einer
„Identitätspolitik“ verfangen, die mit jener auf Seiten der Rechten
Gemeinsamkeiten habe. Das ist nun die Nahtstelle zur jüngsten Debatte.
Sie wird mit Schärfe geführt und einer doppelten Dringlichkeit, denn es
gilt auf den Rechtspopulismus ebenso zu antworten wie auf den Machtanspruch
des türkischen Staates über hiesige Muslime. Ein gewachsener Anteil von
Türkischstämmigen fühlt sich der Türkei heute näher als Deutschland: Das
zeigt, was sich verändert hat. Eren Güvercin vom Vorstand der
Alhambra-Gesellschaft nennt es „eine massive Reethnisierung“.
Zunächst geht es dabei um die Rolle des größten Moschee-Verbands, die
„Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (Ditib). Wenn
Präsident Erdoğan am Sonnabend deren neue Zentralmoschee in Köln eröffnet,
markiere das den Status der Ditib als bloße Deutschland-Filiale der
türkischen Religionsbehörde, schreibt der Blogger Murat Kayman. AKP-nahe
Medien werfen ihm und der Alhambra-Gesellschaft vor, die Muslime zu spalten
und sich dem deutschen Staat an die Brust zu werfen. Die Veröffentlichung
unabhängiger „Freitagsworte“ durch die Alhambristen ist aus dieser Sicht
bereits ein Delikt.
„Dass jemand sein Gesicht der deutschen Gesellschaft zuwendet, ist für sie
nur ein Zeichen der Anbiederung, der Gefallsucht oder der
Selbstverleugnung“, schreibt Murat Kayman. „Sie kennen das Gefühl nicht, in
Deutschland eine Heimat gefunden zu haben, ohne die türkische Heimat
aufzugeben oder zu verleugnen. Diese Mehrdeutigkeit ist ihnen suspekt …“
Wer heute von einem deutschen Islam sprechen möchte, ringt vorrangig nicht
mit bosnischem oder marokkanischem Einfluss, sondern mit türkischem. Dass
in Deutschland 800 Imame predigen, die vom türkischen Staat bezahlt werden,
wäre auch unter einem anderen türkischen Präsidenten bedenklich. Aber was
kann man sich darüber hinaus unter einem deutschen Islam vorstellen?
Eren Güvercin spricht von einem „entghettoisierten Islam“, der die
geistigen ethnischen Ghettos überwinde. Spiritualität solle sich in
deutscher Sprache ausdrücken, damit für die Mehrheitsgesellschaft
nachvollziehbar sei, „warum es für deutsche Muslime schön ist, Muslim zu
sein.“ Ein drittes Beispiel: Die Zakat, die muslimische Vermögenssteuer,
solle nicht als Almosen ins Ausland transferiert werden, sondern ihrer
religiösen Bestimmung gemäß zur Verantwortung für Bedürftige im eigenen
Gemeinwesen genutzt werden – was ja nicht notgedrungen Muslime sind.
Entscheidender als solche Beispiele ist jedoch: Die Debatte über einen
deutschen Islam hat heute ein anderes Umfeld als vor zwei Jahrzehnten. Weil
die Frage „Was ist deutsch?“ zunehmend anders beantwortet wird. Es ist kein
Alleinstellungsmerkmal von Muslimen, wenn sie als Staatsbürger Gleichheit
reklamieren und zugleich auf einer Verschiedenheit bestehen, die wie im
Fall des Kopftuchs auch sichtbar sein soll. In einer pluralen Gesellschaft
gibt es eben mehr Verschiedenheiten als nur die religiösen. Es kann also
gerade in der gegenwärtigen Atmosphäre eine sinnvolle Strategie sein, das
Deutsche zu reklamieren – so wie sich Migranten-Bündnisse als „Neue
Deutsche Organisationen“ bezeichnen.
Spirituell betrachtet ist Islam hingegen nicht national zu definieren. Das
Attribut „deutsch“ kann also keine religiöse Praxis von Seehofers Gnaden
meinen, auch wenn sich manche so etwas vorstellen mögen: den
weichgespülten, topsäkularisierten Reformmuslim. Dafür stehen die
Alhambristen nicht. Sie wollen sich aber auch nicht als People of Color
definieren, was das progressive Gegenangebot darstellt: Behaupte Dich als
Muslim, indem Du ein intersektional diskriminierter Migrant bist.
Derart auf die rechte Rassifizierung von Muslim-Sein zu antworten, ist
letztlich defensiv. Wer Religion ernst nimmt, könnte fragen: Was tragen
Muslime bei zu den großen Debatten der Zeit? Wie betrachten sie die
Allmacht der Ökonomie? Wie definieren sie Solidarität? Wer so debattiert,
wäre vermutlich ein deutscher Muslim, eine deutsche Muslima.
26 Sep 2018
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
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