# taz.de -- Jamaikas Sprint-Brigade: Der Erleuchtete | |
> Er ist der schnellste Mann der Welt und weiß sich in Szene zu setzen: | |
> Usain Bolt flirtet mit Journalisten, gibt den Arroganten und sieht sich | |
> selbst schon als Legende. | |
Bild: Leider schnell: Usain Bolt gewinnt das 100 Meter Finale | |
Was für ein Sieg! Usain Bolt ist wieder der [1][Größte über 100 Meter]! Was | |
für ein Finale! Bis auf den verletzten Asafa Powell liefen alle Finalisten | |
schneller als zehn Sekunden. | |
Was für ein Sieger! Nach dem zweitschnellsten Lauf in der Geschichte des | |
100-Meter-Sprints (9,63 Sekunden) gibt er eineinhalb Stunden lang | |
Interviews, lacht, freut sich und sagt sie Sätze, die er schon zehn mal | |
gesagt hat, so als wären sie ihm gerade durch den Kopf geschossen. Er | |
spielt mit den Journalisten: „Ein paar von euch Typen haben an mir | |
gezweifelt, haha. Und ich musste der Welt beweisen, dass ich der Größte | |
bin, haha.“ | |
Was für ein Entertainer! Das Pistolerogetue vor dem Start ist nichts gegen | |
das, was er in der Mixed Zone abzieht. „Haha. Ich bin auf dem Weg, eine | |
echte Legende zu werden.“ „Hey Yohan, das ist doch so, oder?“ Er schreit … | |
Richtung des Olympiazweiten Yohan Blake, der in der Interviewzone schon | |
zehn Meter weitergekommen ist als der Dominator. „Haha!“ Usain Bolt gibt | |
der Welt, was sie will – eine große Show. Die Welt himmelt einen | |
25-Jährigen an und der Meister genießt. Der Sprint der Männer wird zum | |
größten Fest der Spiele. | |
## Der Rest heult | |
Zwei heulende Amerikaner können den Fans die Party nicht vermiesen. Tyson | |
Gay weint und weint und weint. Er kann nicht verstehen, wie es möglich sein | |
kann, dass einer, der so schnell läuft wie er, am Ende doch nur Vierter | |
wird. | |
Und der Dritte des Rennens, Justin Gatlin kann die Tränen auch nicht | |
zurückhalten, als er über seine Gefühle spricht. Er ist wieder da. Der | |
Olympiasieger von 2004 war vier Jahre wegen Dopings gesperrt. Jetzt darf er | |
wieder und staunt nicht schlecht darüber, wie sich der Sprint verändert | |
hat. „Da sind coole Typen draußen und der schnellste ist einfach eine große | |
Schau.“ | |
Auf Twitter sei er der Bösewicht der Szene, der die üble Vergangenheit | |
einer kaputten Disziplin wieder heraufbeschwört, aber hier im Stadion da | |
gehört er einfach wieder dazu. Aus Bahnlaufen, wie er es kannte, ist ein | |
Unterhaltungsbusiness geworden. „Und es ist unglaublich, dass ich dazu | |
gehöre.“ Schluchz. | |
Die schnellsten Männer der Welt haben sich freigelaufen. Sie reden von den | |
Opfern, die sie bringen, als würden sie in Straflagern gehalten, um ein | |
paar Mal im Jahr auf die Laufbahn gelassen zu werden. Sie fühlen sich wie | |
Gladiatoren und können sich darauf verlassen, dass keiner sie schlachten | |
will, wenn ihre Zeit einmal abgelaufen ist. | |
## Körper aus Gold | |
Ihre Körper werden beschrieben, damit sie angehimmelt werden können. Der | |
große Bolt, der starke Blake und, ja, auch Gatlin mit seinen kräftigen | |
Stampfern. Sie gelten als schön. Wenn sie laufen, dann stehen im Ziel die | |
Agenten und verhandeln über Werbeverträge. Usain Bolt soll im Jahr 12,5 | |
Millionen Dollar verdienen. Keine Bewegung, an der er nichts verdient. | |
Wenn er nach dem Rennen Kopfhörer aufsetzt, dann macht er das gewiss nicht | |
nur, um Musik zu hören. Bolt hat sie selbst designed – in den | |
jamaikanischen Farben. „Das ist auch ein wichtiger Tag für Jamaika“, hat er | |
nach seinem Sieg gesagt. Auch dieser Satz soll sich lohnen. Der | |
Bolt-Kopfhörer ist für 350 Dollar zu haben. Laufen lohnt sich, auch weil | |
sich die Geschichte der großen Sprintermedaillen für das kleine Jamaika so | |
gut anhören | |
Am Tag vor Bolts Triumph war es [2][Shelly-Anne Fraser-Pryce], die vom | |
karibischen Wunder erzählen sollte, hinter dem ein überaus professionelles | |
Trainingssystem steht – die Bahn, auf der Bolt 2009 in Berlin Weltrekord | |
gelaufen ist, wurde in Kingston nachgebaut. Fraser-Price ist zum zweiten | |
Mal nach Peking 2008 Olympiasiegerin über 100 Meter geworden, indem sie die | |
favorisierte US-Sprinterin Carmelita Jeter in Grund und Boden lief. Hinter | |
der wiederum holte mit [3][Veronica Campbell-Brown] eine weitere | |
Jamaikanerin die Bronzemedaille. | |
Fraser-Pryce sagt, dass sie sich wohl fühlt im Schatten von Bolt. Wenn sie | |
in Jamaika erkannt wird, werde sie eigentlich nur nach Usain gefragt. Süß | |
fanden das die meisten und legten sich ihr zu Füßen. Dass sie ein halbes | |
Jahr gesperrt war, weil sie ein verbotenes Schmerzmittel benutzt hatte, | |
wenn interessiert das schon, wenn man man Zeuge werden kann, wie eine | |
Sportlerin zum Star wird. | |
## Die böse D-Frage | |
Wo sind nur all die Zweifel geblieben, die der Leichtathletik so lange | |
zugesetzt haben? Als Bolt in Peking die Sportwelt mit seinem irrwitzigen | |
ersten Weltrekord (9.69) erschütterte, da sollte er erklären, was er seinem | |
Körper zuführt. Über irgendein jamaikanisches Wurzelgebräu wurde dann | |
spekuliert. Fragen, die im Raum stehen, will sich nun kaum einer mehr | |
stellen. | |
Lange wurde in Jamaika übers Jahr gar nicht kontrolliert. Trainingspartner | |
von Bolt wurden gesperrt. Auch Yohan Blake musste einmal drei Monate | |
aussetzen, weil er sich mit einem Stimulanzmittel aufgeputscht hatte. Die | |
Show soll laufen. Als Bolt lange nach seinem siegreichen Lauf, nach einem | |
fast zweistündigen Interviewmarathon endlich zur Dopingkontrolle abgeholt | |
wird, gibt es kein Bangen. Egal was der schnellste Mann der Welt genommen | |
hat, er wird sowieso nicht überführt. | |
Mit einem Schock rechnet niemand. Den gab es 1988 bei den olympischen | |
Spielen in Seoul. Auch damals sollte das 100 Meter-Finale die ganz große | |
Show werden. Olympia war gerade dabei, sich dem großen Markt zu öffnen. Die | |
Tennisspieler wurden in die Olympische Familie aufgenommen, die | |
Leichtathleten sollten die ersten Superprofis werden, die sich die | |
olympische Bewegung selbst baut. | |
Der Amerikaner Carl Lewis, der bei den wertlosen Boykott-Spielen von Los | |
Angeles 1984 vier Mal Golg gewonnen hatte, wurde von Ben Johnson | |
geschlagen. Dessen Lauf elektrisierte die Welt. Jeder wusste schnell, wie | |
diese unglaublichen Muskelpakete, die am Körper des Kanadiers hingen, | |
aufgebaut sind. Es wurde spekuliert, wohin die Reise gehen könnte, wie | |
schnell ein Mensch laufen kann. | |
## Gedopt durch grünen Tee und Dauersex | |
Johnsons 9,79 Sekunden wurden als ein Rekord für die Ewigkeit gefeiert – | |
zwei Tage lang. Dann kam der positive Dopingbefund und der Sprint schien | |
dem sicheren Tod entgegenzustreben, als nach und nach bekannt wurde, dass | |
sechs der acht Finalteilnehmer von 1988 irgendwann einmal gedopt haben. | |
Es ist eine irrwitzige Liste des Sportbetrugs: Carl Lewis, der zweite des | |
Rennens und später zum Sieger von Seoul gekürt, wurde vor | |
US-Meisterschaften drei mal positiv getestet. Er wurde freigesprochen, weil | |
er angeblich nichts dafür konnte. | |
Der Brite Linford Christie, der in Barcelona Gold holen sollte, schob einen | |
positiven Dopingbefund auf Ginseng-Tee. Dennis Michel, auch er im | |
Seoul-Finale, schob seine irrwitzigen Testosteron-Werte auf Dauersex mit | |
seiner Freundin. Desai Williams soll die selben Mittel bekommen haben wie | |
sein Landsmann Johnson. Und Ray Steward gab irgendwann zu, jahrelang | |
beschissen zu haben. Seitdem lag ein Schatten auf dem Sprint – bis Usain | |
Bolt die Szene 2008 erlöst hat. | |
Der Messias des Sprints hat auch in London eines seiner Wunder vollbracht. | |
Er ist dabei ein neues Testament zu begründen. Der Sprint ist die heilige | |
Messe einer neuen Sportreligion, in der nicht mehr gezweifelt, sondern | |
einfach nur geglaubt wird. Für den Zweifel haben wir die Chinesen, der Gott | |
heißt Bolt. Lightning Bolt wird er genannt – der Erleuchtete. | |
6 Aug 2012 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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