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# taz.de -- Interview zu Two and a Half Men: "Es geht darum, in Würde zu alter…
> Trinker, Spieler, Chauvinist: Charlie Sheen prägte als Charlie Harper die
> erfolgreiche US-Sitcom "Two and a Half Men". Eine Psychoanalyse zum
> Abschied.
Bild: Adios Charlie Sheen: die neue Besetzung.
Seit Charlie Sheen nach einem Streit mit dem Produzenten Chuck Lorre aus
der US-Sitcom "Two and a Half Men" geworfen wurde, streiten sich die Fans
in den Internetforen: Macht die Fortsetzung ohne den Lebemann Charlie
Harper Sinn?
Ob Sheens Nachfolger Ashton Kutcher ein adäquater Ersatz ist, können
deutsche Fans ab Dienstag (ProSieben, 21.15 Uhr) entscheiden. Vorher lässt
die taz zum Abschied von Charlie Harper dessen Verhalten psychologisch
analysieren
taz: Frau Lebiger-Vogel, Charlie Harper ist charmant, chauvinistisch, etwas
oberflächlich, dabei nicht böswillig, sondern liebenswürdig. Reicht das für
eine Einordnung in eine psychoanalytische Kategorie?
Judith Lebiger-Vogel: Es handelt sich wohl eher um einen spezifischen
Charakter. So wie er angelegt ist, fällt es ihm wohl eher schwer, erwachsen
zu werden im Sinne von Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft oder
auch für nachfolgende Generationen. Das sind aber persönliche Eigenschaften
der Serienfigur, ich würde da keinen Sozialcharakter draus machen.
Werfen wir einen Blick auf exemplarische Szenen.
Charlie Harper ist stark erkältet, sein Bruder Alan rät ihm kürzerzutreten,
weil das Alter nicht spurlos an ihm vorbeigehe. Charlie entgegnet: "Du bist
nur so alt wie die Frauen, die du fühlst. Und neuerdings fühle ich mich wie
24."
Gibt es typische Charakterzüge eines Mannes mit ständig wechselnden, meist
deutlich jüngeren Sexualpartnerinnen?
Das ist etwas, das man kontextualisieren muss. Da könnte man etwa
spekulieren, wie das Verhältnis zu den Eltern ist, das wäre eine klassisch
psychoanalytische Sichtweise: Was für Auswirkungen hat das darauf, wie
dieser Mensch seine eigenen Beziehungen gestaltet?
Die Frauen, mit denen Charlie Harper bedeutungslose sexuelle Abenteuer
eingeht, sind jung, hübsch, oft Callgirls. Welche Rolle spielt dabei der
Moment der Macht?
Mein Eindruck ist eher, dass der Charakter überfordert ist, sich auf eine
Beziehung einzulassen. Es gibt da durchaus ein reziprokes Verhältnis, viele
seiner Frauen sind auch oft nicht an längeren Beziehungen interessiert.
Nach einem Streit mit seiner Haushälterin Berta muss Charlie die Wäsche
seiner Freundin selbst waschen – zum ersten Mal. Er bittet seinen Bruder
Alan um Hilfe: "Woher wissen wir, wann sie fertig ist?" – "Keine Sorge, die
Waschmaschine ruft dich auf deinem Handy an." – "Echt?"
Harper ist ein Mann um die 40, der im Alltag oft eine kindliche Naivität
offenbart. Konsequenzen seines Handelns sind ihm fremd. Sind das typische
Verhaltensmuster für einen Menschen, der sich das Altern nicht eingestehen
will?
Es gibt den Begriff der verlängerten Adoleszenz. Das ist kennzeichnend für
Menschen, die nicht vollständig ins Erwachsenenleben eintreten, weil sie
einen bestimmten Entwicklungsschritt nicht vollziehen können. Man kann bei
ihm spekulieren, dass er nie gelernt hat, eine bestimmte Art von
Verantwortung für sich zu übernehmen. Der Punkt des Nichtalternwollens hat
wohl auch eine gesellschaftliche Komponente: Es geht darum, wie man
heutzutage in Würde altern kann.
Und die individuelle Komponente?
Die Hamburger Soziologin Vera King hat ein Konzept geprägt, das auf Erik
Erikson zurückgeht, das Konzept der Generativität: Nach gelungener
Adoleszenzentwicklung, in der sich die Adoleszenten im psychosozialen
Moratorium ausprobieren können, durchaus unter sogenannter fürsorgebereiter
Begleitung der Elterngeneration, übernehmen sie Verantwortung.
Man könnte sagen, dass das weitgehend fehlt bei der Figur Charlie Harper.
Der lebt vor sich hin und hat seine Affären. Da wird er kontrastiert zu
seinem Bruder Alan, der versucht, sich verantwortungsvoll seinem Sohn
gegenüber zu verhalten. Der verzichtet auf eine bestimmte Leichtigkeit,
wirkt aber auch weniger orientierungslos als Charlie. Werte verfolgen, sich
für etwas einsetzen, Verantwortung übernehmen, das kann auch etwas sein,
woraus man Selbstwert bezieht. Dieser Komponente beraubt sich Charlie ein
Stück weit.
Charlie versteht sich sehr gut mit einem schwulen Freund seines Bruders
Alan. Er sucht seine Psychologin Dr. Freeman auf: "Glauben Sie, dass ich
vielleicht schwul bin, ohne es zu wissen? Ich meine, ich achte nun mal
wirklich auf mein Äußeres, ich hab Mutterprobleme und ein Faible für
Innenarchitektur. (…) Aber wenn es um Penisse geht, will ich nicht, dass
mir von einem anderen zugeblinzelt wird als von meinem eigenen." – "Wen
wollen Sie hier überzeugen, mich oder sich selbst?" - "Sie. Und dann sollen
Sie mich überzeugen."
Die Sorge, mithilfe sexueller Abenteuer mit Frauen eine latente
Homosexualität zu verdrängen, wie nah ist das an der Realität?
Nach dem klassischen Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung kann man
sagen, dass jeder Mensch auch homosexuelle Anteile hat. Als wichtig wird
meist angesehen, sich schließlich für ein Geschlecht als Liebesobjekt zu
entscheiden. Homosexuelle Anteile sind gesellschaftlich tabuisiert, gerade
bei dem Männerbild, das in dieser Serie vertreten wird. Die Serienmacher
nutzen das, denn Homophobie ist nach wie vor verbreitet, und es kommt gut
an, wenn damit Witze gemacht werden.
Charlie zu seiner Mutter Evelyn: "Ich hab mir alles über Beziehungen von
dir abgeguckt. Ich hab gelernt, dass Männer, die sich auf Gefühle
einlassen, niedergemacht werden. Ich hab gelernt, dass Männer entmannt
werden, wenn sie heiraten, und dass man sich nur davor schützen kann, sein
Herz gebrochen zu kriegen, indem man so tut, als hätte man keins." - "Das
hast du alles von mir?" - "Ja!" – "Schatz, ich war noch nie so stolz auf
mich wie in diesem Moment."
Charlies Mutter hatte zahlreiche Ehemänner und Affären, ihre Söhne mussten
öfter hinter ihren eigenen Bedürfnissen zurückstehen. Wie wirkt sich ein
solches Verhalten auf Kinder aus?
Man kann spekulieren, dass der Seriencharakter der Mutter die für die
Entwicklung von Jugendlichen wichtige fürsorgebereite Begleitung nicht zur
Verfügung gestellt hat, da sie sich selber jugendlich benommen hat. Das ist
etwas, das Jugendliche häufig tatsächlich in Schwierigkeiten bringt: In der
Pubertät kommt es zu großen Umwälzungen auf der körperlichen, aber eben
auch auf der seelischen Ebene.
Der sich entwickelnde Körper und eine andere Art von Sexualität müssen
integriert werden, und es geht ganz stark um Identitätsfindung. Wenn die
Eltern nun zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und sich jugendlich
verhalten, etwa Beziehungen in die Krise geraten, wenn Kinder eigentlich
Unterstützung in ihrem eigenen adoleszenten Experimentieren brauchen, wird
es schwierig.
Wenn Eltern das Feld des Experimentierens – Wer bin ich, wer will ich sein?
– zu sehr besetzen, ist es für die Kinder schwer, sich selber
auszuprobieren. Die Mutter benimmt sich selbst eher adoleszent, daher hat
Charlie nicht die Stabilität einer fürsorgebereiten Begleitung.
Charlie will seine Freundin Mia heiraten. Vor der Trauung eröffnet sie ihm,
dass sein Bruder Alan und dessen Sohn Jake ausziehen müssen. Charlie lässt
die Hochzeit daraufhin platzen.
Trotz seiner Bindungsängste übernimmt Charlie Harper – widerstrebend – ab…
langfristig – Verantwortung für seinen Bruder und dessen Sohn.
Der Charakter ist in dieser Hinsicht widersprüchlich angelegt. Er scheint
auch zu seinem Neffen eine Beziehung aufgebaut zu haben. Es ist ihm nicht
egal, wie es dem geht. Vielleicht identifiziert er sich auch mit dem
Jungen. Die Serie ist darauf angelegt, dass Männer unter sich sind und ihr
Leben weitgehend versuchen, ohne Frauen zu gestalten.
Was macht den großen Erfolg der Serie aus? Beneiden Männer Charlie Harper
um sein sorgloses Leben?
Ich weiß nicht, ob es an Charlie Harper liegt und nicht eher an der
Konstellation, dass es ein Männerhaushalt ist. Damit wird ja gespielt: Wie
kommen Männer klar, ohne dass da eine Frau mit das häusliche Leben
gestaltet? Zum einen ist er eine wichtige Figur, aber sein Bruder ist ja
genauso wichtig und zentral, gerade in der Kontrastierung: der eine, der
immer nur Spaß will und dazu neigt, keine Verantwortung zu übernehmen, und
der andere, der nicht das machomäßige Männerbild vertritt, aber ein ganz
verantwortungsvoller Vater ist. Und der Junge, der mit den beiden Männern
aufwächst.
Also kein "So will ich auch sein" beim Zuschauer?
Es gibt unter den Stichwörtern Pluralisierung, Flexibilisierung und
Ökonomisierung Überlegungen verschiedener Autoren, inwiefern das Leben
überfordern kann. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch eine
gesellschaftliche Orientierungslosigkeit. Da könnte es schon zu
Fluchtfantasien in eine Welt kommen, in der man keine Verantwortung
übernehmen muss. Das könnte man aber auf die mediale Welt insgesamt
ausdehnen.
9 Jan 2012
## AUTOREN
Torsten Landsberg
## TAGS
Schwerpunkt HIV und Aids
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