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# taz.de -- Integratives Tanztheater: Wer atmet, kann tanzen
> In Bremen zeigt die Compagnie "Die Anderen", wie Integratives Tanztheater
> aus seinem Nischendasein herauskommen kann. Die Nachfrage ist so groß,
> dass es inzwischen zwei Theatergruppen gibt. Sogar die Ballettmädchen
> kommen.
Bild: "Lucio und Ludicia - Die Suche nach dem Herzen": In der Bremer Theatergru…
Kevin und Daniel sind dicke Freunde. Seit vier Jahren schon. Wenn Kevin mit
Daniel durch die Gegend läuft, bekommt er oft zu hören: "Da ist er wieder
mit seinem behinderten Freund." Daniel findet Drachen "cool" und Kevin
sagt: "Ich spiele gern den Helden, das macht mir Spaß."
Genau das tun die beiden Grundschüler derzeit. Kevin ist Lucio: Er muss das
geraubte Herz seiner Prinzessin zurückerobern und hat dabei mit massig
Gefahren, fiesen Fallen und Drachen zu kämpfen - und ein Drache wird sein
Freund. Das Tanztheaterstück, das die Bremer Compagnie "Die Anderen" jetzt
mit Live-Musik auf die Bühne gebracht hat, erzählt von märchenhaften
Verstrickungen, aber auch von den Träumen und Sorgen der teilnehmenden
Kinder und Jugendlichen. Nina, 17, knutscht andere gern ab und wurde so zur
Prinzessin mit dem Riesenherz. Es wird ihr von einer Hexe abgeluchst, die
auch mal jemand abbekommen will.
Aus all diesen biografischen Befindlichkeiten und Fantasy-Versatzstücken
entsteht ein reelles Stück Tanztheater - das so gut ist, dass es auch vor
einem nicht vorsätzlich wohlgesonnenen Publikum bestehen kann. 500 Kinder
in der Kesselhalle des Bremer Schlachthofs fiebern mit, wenn sich Lucio und
der Drache durch das Gruselmeer des Totenreichs kämpfen, und klatschen am
Schluss begeistert im Rhythmus der Musik.
"Die Anderen", 2005 von Inga Becker gegründet, sind mit ihrem integrativen
Tanztheater erfolgreich. Der Trägerverein "tanzwerk" hat bemerkenswert
stabile Rahmenbedingungen organisiert: Für zwei mal drei Jahre ist die
Compagnie unter anderem durch die "Aktion Mensch" finanziell abgesichert.
Angesichts der unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen braucht man
für die Entwicklung eines gemeinsamen Tanzstils vor allem viel Zeit,
erzählt Alexandra Benthin, die die Gruppe gemeinsam mit Becker leitet.
Im Großen und Ganzen ist integrativer Kinder- und Jugendtanz noch immer
eine "exotische" Nischen-Angelegenheit. Zwar gibt es einzelne
Leuchtturm-Projekte wie das von Renato Zanella, der als Ballettdirektor der
Wiener Staatsoper das "off ballet spezial" gründete, in dem Profis
gemeinsam mit behinderten Teens tanzen - sogar bei Anlässen wie der
Eröffnung des Wiener Opernballs.
Doch in der Breite mangelt es an Angeboten. Marina Idaczyk, eine der
Pionierinnen des integrativen Kindertanzens in Deutschland, findet es immer
noch "ausgesprochen schwierig", Unterstützung zu bekommen. Idaczyk hat
Großprojekte mit bis zu 150 teilnehmenden Kindern auf die Beine gestellt -
aber derzeit ist ihre Kerntruppe nicht mehr wirklich integrativ: Die
Behinderten sind unter sich. "Die Ballettmädel sind irgendwann mal
abgesprungen", sagt Idaczyk nüchtern.
Von Alito Alessi, der in den USA das integrative Tanzkonzept der
"Danceability" entwickelte, stammt der Satz: "If you can breath, you can
dance." Tatsächlich gibt es intensive Aufführungen mit Menschen, die kaum
mehr können, als ihre Augenlider zu bewegen. Die Bremer "Ballettmädel"
fühlen sich bei den "Anderen" offensichtlich wohl - derzeit als vielköpfige
Prinzessinnenschar oder Hexenbrut. Der Zulauf ist so groß, dass es
mittlerweile zwei Compagnies der "Anderen" gibt: Beide haben 18 Mitglieder.
Ein Integrationsproblem gibt es lediglich in Hinblick auf die Genderfrage -
so, wie das im Tanz üblich ist. Kevin und Daniel sind gefragte Leute.
21 Sep 2010
## AUTOREN
Henning Bleyl
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