Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Integration und Medien: Radio akzentfrei
> Vor einem Jahr stellte der öffentlich-rechtliche Landessender RBB sein
> "Radio Multikulti" ein. Die entstandene Lücke ist immer noch deutlich zu
> hören.
Bild: Abkehr von der Vielfalt: Keine Migrantenstimmen im Radio
"Du, der du gehst, wohin gehst du? Was hast du noch zu verlieren?", heißt
es in dem Lied "Ya Rayah" des französisch-algerischen Sängers Rachid Taha.
Mit diesem Song endete vor einem Jahr die Sendezeit von Radio Multikulti.
An Silvester 2008 um 22 Uhr wurde die Integrationswelle vom RBB
abgeschaltet - aus Spargründen und gegen massiven Protest von HörerInnen,
PolitikerInnen und Migrantenorganisationen. 14 Jahre lang hatte das
bundesweit einmalige Radio in Deutsch und 20 anderen Sprachen über das
multikulturelle Leben in der Hauptstadt berichtet, begleitet von einem
Weltmusikprogramm von Ethnopop bis Folklore.
Dass ausgerechnet die kleine, wenig kostenintensive, aber einzigartige
Welle den Sparzwängen des notorisch unterfinanzierten
öffentlich-rechtlichen Landessenders von Berlin und Brandenburg zum Opfer
fiel, löste bundesweit Protest aus: DGB-Chef Michael Sommer sprach sich
ebenso gegen die Schließung aus wie die frühere Bundestagspräsidentin Rita
Süssmuth und ein parteiübergreifendes Bündnis von Abgeordneten des Berliner
Parlaments: Die Welle sei unverzichtbar für die kulturelle Vielfalt
Berlins, so der Tenor.
Wenn "wirklich allein bei Radio Multikulti Integration, Toleranz, Dialog
der Kulturen verhandelt würden, wäre es katastrophal, dieses Programm
einzustellen", konterte damals RBB-Intendantin Dagmar Reim: "Unser
Verständnis ist aber, dass dies Querschnittsaufgaben sind."
Doch wer heute wissen will, wie der neue Hit von Rachid Taha heißt oder wie
er bei arabischstämmigen BerlinerInnen ankommt, hört besser Internet. Mit
multicult2.0 hat sich dort eine private Nachfolgewelle etabliert, die nicht
nur einiges von der thematischen und sprachlichen Vielfalt von Radio
Multikulti weiterpflegt. Auch viele frühere MitarbeiterInnen der alten
RBB-Welle arbeiten hier - ehrenamtlich und unbezahlt. So setzen etwa die
RedakteurInnen der kurdischen, vietnamesischen und einiger
slawischsprachigen Sendungen ihre Arbeit bei der Internetwelle fort.
Der RBB hat die Sendungen in Einwanderersprachen teils komplett
eingestellt, teils, etwa die arabischsprachige, an die WDR-Hörfunkwelle
Funkhaus Europa übergeben, die auf der alten Multikulti-Frequenz läuft.
Die Stimmen einst bekannter ModeratorInnen aus dem deutschsprachigen
Multikulti-Programm sucht man heute beim RBB meist vergebens. Alexander
Schurig und Olaf Kosert, früher Moderatoren der Frühstücksschiene von
Multikulti, sind zwar bei anderen RBB-Wellen zu hören, doch nur wenige
ihrer nicht deutschstämmigen KollegInnen sitzen noch am Studiotisch. Die
aus Argentinien stammende Pia Castro etwa arbeitet nach einigen
Probemoderationen für andere Hörfunkwellen des RBB jetzt gar nicht mehr für
den Sender. Die Italienerin Elisabetta Gaddoni, deren Kochsendung "Topf
Secret" auf Radio Multikulti Kult war, macht ab und zu Restaurantkritiken
für Kulturradio. Nouri Ben Redjeb und Don Rispetto, Moderatoren von weit
über Berlins Grenzen hinaus beliebten Musiksendungen auf Radio Multikulti,
sind beim Webradio multicult2.0. Die bosnischstämmige Begzada Kilian,
ebenfalls langjährige Multikulti-Moderatorin und eine Berühmtheit unter
BerlinerInnen aus dem früheren Jugoslawien, macht als freie Autorin
Beiträge für Inforadio, die sie seit Kurzem sogar selbst sprechen darf.
Kilian spricht perfekt Deutsch - doch mit hörbarem Akzent.
Es ist der Akzent, der diejenigen von Radio Multikulti vereint, die nicht
mehr oder kaum noch zu hören sind. "Sie klingen etwas zu international",
soll einer ehemaligen Multikulti-Mitarbeiterin gesagt worden sein, die ihre
Beiträge selbst sprechen wollte. Zwar heißt es in dem im Oktober 2009
publizierten Integrationsbericht des Senders, "Moderatoren und Reporter mit
Akzent könnten die Identifikation der EinwandererzuschauerInnen bzw. -hörer
mit dem RBB fördern", doch unter den im Bericht abgebildeten
MitarbeiterInnen nichtdeutscher Herkunft findet sich keiner, dem man diese
auch anhört - jedenfalls keiner, der im Programm zu hören wäre.
Auch ansonsten hat der Bericht, mit dem der RBB ein knappes Jahr nach der
Schließung seine Bemühungen um die Querschnittsaufgabe Integration belegen
will, wenig Handfestes zu bieten. Zwar wird auf mehr als 50 Seiten jeder
einzelne Beitrag aus Radio- und Fernsehprogrammen des RBB aufgelistet, der
nach Meinung der AutorInnen des Berichts diese Aufgabe erfüllt. Dass
darunter jedoch auch eine zehnteilige Serie über die EU oder Berichte über
die Maikrawalle in Kreuzberg fallen, weckt den Eindruck, dass Quantität
dabei vor inhaltlichen Überlegungen stand. Nur eine Seite lang ist das
Kapitel "Die nächsten Schritte": Die Erfahrungen ehemaliger
Multikulti-Mitarbeiter abzufragen gehört dazu. Warum man so viele von ihnen
zuvor hat gehen lassen - die Frage bleibt unbeantwortet.
Der Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Günter Piening, beobachtet
die Bemühungen des RBB kritisch: "In dem Bericht heißt es, dass die
wichtigsten Schritte noch folgen müssen", so Piening zur taz: Dem könne man
zustimmen. Seit Oktober gehört Piening zum Stifterverein des Webradios
multicult2.0.
31 Dec 2009
## AUTOREN
Alke Wierth
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.