# taz.de -- In der Tradition von Partisanen | |
> Das HAU in Berlin und Hellerau bei Dresden bieten Künstler*innen und | |
> Denker*innen aus Belarus eine Plattform. Dabei geht es um | |
> Widerstandsformen und das Verhältnis zu Russland. Eine Vorschau | |
Bild: Der Schriftsteller Artur Klinaŭ sieht die russische Armee in Belarus als… | |
Von Tom Mustroph | |
Belarus ist in der öffentlichen Wahrnehmung nach hinten gerutscht. Zu | |
Unrecht. Denn einerseits stellt dieses Land einen Schlüssel dar, um die | |
imperialen und neokolonialistischen Absichten der russischen Führung klarer | |
zu erkennen. Zum anderen lebt in diesem Land eine Bevölkerung, die | |
mehrheitlich anders regiert werden möchte, als es gegenwärtig der Fall ist | |
– und die im gegenwärtigen Krieg ein Opfer im doppelten Sinn zu werden | |
droht. Es ist daher verdienstvoll, dass gleich zwei freie Produktionshäuser | |
– das HAU in Berlin und Hellerau in Dresden – Künstler*innen und | |
Denker*innen aus Belarus eine Plattform geben. | |
Initiator*innen der Plattform in Berlin (19. bis 28. 4.) sind die | |
Kuratorin und Autorin Tania Arcimovich und [1][der Schriftsteller Artur] | |
Klinaŭ. Beide sind betrübt über die Abwärtsspirale in Sachen Aufmerksamkeit | |
gegenüber ihrem Heimatland. „2020 wurde Belarus noch von der ganzen Welt | |
geliebt. Jetzt hasst die ganze Welt Belarus“, sagt Klinaŭbitter der taz. Er | |
bezieht sich dabei einerseits auf die Wogen der Zuneigung, die im Zuge der | |
beeindruckenden Proteste auf den Straßen Minsks gegen das Regime des | |
sowjetischen Altkaders Alexander Lukaschenko weltweit die Medien erfassten, | |
und auf den Paria-Status, den das Land aktuell als Partner Putins im | |
Ukraine-Krieg innehat. | |
Klinaŭallerdings beurteilt die Lage anders. „Belarus ist kein Aggressor, | |
sondern das erste Opfer in diesem Krieg“, sagt er. Denn die russische Armee | |
ist seit Längerem schon im Land. Sie ist auch Garant für das Regime | |
Lukaschenkos. Tatsächlich spricht einiges für die Perspektive Klinaŭs. Er | |
wird am 22. April sein Buch „Acht Tage Revolution. Ein dokumentarisches | |
Journal aus Minsk“ vorstellen. Das beschreibt die ersten acht Tage nach der | |
von Lukaschenko gefälschten Präsidentschaftswahl 2020, als Hunderttausende | |
Demonstranten auf die Straßen und Plätze strömten und ihre Körper in ganz | |
realem Sinne für die Demokratie einsetzten. | |
Um Körper auf öffentlichen Plätzen geht es auch bei der | |
Eröffnungsveranstaltung am 19. April. Die belarussische [2][Philosophin | |
Olga Shparaga,] selbst Teilnehmerin an den Demonstrationen 2020 in Minsk, | |
der Lateinamerika-Spezialist Börries Nehe und die Theatermacherin Luise | |
Meier diskutieren dort über diverse Protestformen. „Dabei geht es nicht nur | |
um Belarus, sondern um eine internationale Perspektive. Shparaga berichtet | |
von ihren Erfahrungen in Belarus, Nehe nimmt Widerstandspraktiken in | |
Lateinamerika in den Blick und Meier wird vor allem aus ostdeutscher | |
Perspektive argumentieren“, kündigt Arcimovich an. Sie selbst wird im | |
Rahmen der multidisziplinären Partisanka Party das | |
Partisan*innenkonzept von Künstler*innen im Widerstand vorstellen. | |
„Geprägt wurde es 2002 von Artur Klinaŭ“, erläutert sie. Klinaŭknüpft … | |
die in Belarus tief verankerte Partisanenpraxis noch aus der Zeit des | |
Zweiten Weltkriegs an. „Partisan sein ist eine Form des Überlebens, wenn du | |
nicht frei leben kannst. Das war in den frühen 2000er Jahren in Belarus der | |
Fall, und jetzt ist es wieder so“, sagt er. | |
Obwohl die Widerstandsbewegung massiv unterdrückt wurde, auch wegen | |
russischer Panzer im Lande, sehen Klinaŭund Arcimovich sie nicht als | |
geschlagen an. „In den 1970er Jahren gab es den Song ‚The revolution will | |
not be televised‘. Inzwischen ist es andersherum. Eine Revolution, die | |
nicht mediatisiert werden kann, gilt schnell als nicht existent. Aber die | |
Unzufriedenheit der Bevölkerung ist weiterhin da. Eine Mehrheit ist gegen | |
Lukaschenko. Eine Mehrheit ist auch gegen den Krieg“, sagt Arcimovich. | |
Die Veranstaltungsreihe im HAU und auch die in Hellerau (27. 4. bis 1. 5.) | |
dient dem Austausch. Theaterevents und Konzerte gibt es ebenfalls. Am 21. | |
und 22. April zeigen [3][belarussische Künstler*innen, die zum Teil noch in | |
Belarus leben, zum Teil schon ins Exil gegangen sind,] die Performance „P | |
for Pischevsky“ im HAU. Sie beruht auf dem homophoben Mord an Mikhail | |
Pischevsky 2014 und den Debatten, die die verschleppte Strafverfolgung | |
seinerzeit auslöste. | |
Die in Belarus bekannten Konzept- und Installationskünstler*innen | |
Mikhail Gulin und Antonina Slobodchikova entwickeln zwei | |
Rauminstallationen. Zwei Konzerte am 23. April und am 26. April | |
präsentieren Musiker*innen aus Belarus, die traditionelle und | |
avantgardistische Spielformen miteinander verbinden. | |
In Hellerau stechen neben einem weiteren Gastspiel von „P for Pischevsky“ | |
die Performance und Installation „Chrysanthemen, Rosen, Astern, Gladiolen“ | |
von Marina Naprushkina über Symbole des Widerstands und „Too many papers“ | |
von Nadya Sayapina über die Auswanderung der belarussischen Jugend heraus | |
(jeweils am 30. 4.). | |
Programm Hau unter [4][www.hebbel-am-ufer.de] | |
Programm Dresden Hellerau unter [5][www.hellerau.org/de] | |
19 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /!5829002&SuchRahmen=Print | |
[2] /!5787154&SuchRahmen=Print | |
[3] /!5844681&SuchRahmen=Print | |
[4] https://www.hebbel-am-ufer.de/programm/pdetail/fortschreitende-revolution/ | |
[5] https://www.hellerau.org/de/event/p-for-pischevsky/ | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |