# taz.de -- Im Rezitiergefängnis | |
> Sophie Rois singt sich am Deutschen Theater erst spät frei in ihrem | |
> Soloabend „Sophie Rois fährt gegen die Wand“ – nach dem ökofeministis… | |
> Klassiker „Die Wand“ | |
Bild: Solobild mit Sophie Rois und Sahne | |
Von Tom Mustroph | |
Geliebt zu sein bedarf es wenig. Mit eher minimalistischem Einsatz löst | |
Sophie Rois mit ihrer Bühnenversion des ökofeministischen Klassikers „Die | |
Wand“ von Marlen Haushofer die Applausstürme des Premierenpublikums aus. | |
Ein paar Songs am Ende, vorgetragen mit dem bekannt rauchigen Timbre und | |
der Wiener Sprachmelodie, reichten aus, damit im Parkett die Arme in die | |
Höhe gingen, die Handflächen sich rhythmisch aufeinanderzubewegten und | |
dabei Kollisionsgeräusche erzeugten. Manch alterndem Brustkorb entrang sich | |
gar ein Jubelschrei. | |
Sophie Rois hatte damit bekannte und allseits geliebte Fahrwasser erreicht. | |
Zuvor lief sie mit einer eher uninspirierten Art ein paar Textflächen des | |
Romans ab und schälte dabei vor allem ein paar literarische Schwächen der | |
ausgewählten Fassung hervor. Haushofers Naturbeschreibungen etwa, bei | |
weitem nicht so tief und komplex wie einst bei Adalbert Stifter, aber, | |
sofern das geht, sogar noch mehr Langeweile erzeugend, standen am Anfang. | |
## Keine Pseudomedizin | |
Stifter immerhin darf man zugestehen, bei seinem Schreiben in geradezu | |
manische Detailtiefe vorgestoßen zu sein. Im „Haidedorf“ stellt er als | |
Bewohner unter anderem „die größern und kleinern Heuschrecken, in | |
mißfarbiges Grün gekleidete Heiduken, lustig und rastlos zirpend und | |
schleifend, daß an Sonnentagen ein zitterndes Gesinge längs der ganzen | |
Haide war (…), dann die Fliegen, summende, singende, piepende, blaue, | |
grüne, glasflüglige, (…) die Goldammer, das Rothkehlchen, die Haidelerche, | |
daß von ihr oft der ganze Himmel voll Kirchenmusik hing“ vor. | |
In der Rois’schen Version des Haushofer’schen Romans wird man hingegen | |
abgespeist mit Beobachtungen, dass hier ein Specht hämmere und dort ein | |
Vogel auch noch Lautäußerungen von sich gab – ganz so also, als sei ein | |
Specht nicht auch ein Vogel; die Art des anderen Federtiers wurde ohnehin | |
vorenthalten. Nee, dann doch lieber Stifter, jedenfalls, wenn es um Natur | |
geht. | |
Den Isolationsteil des Romans – die Protagonistin war durch eine | |
unsichtbare Wand vom Rest der Welt abgeschnitten – befreite Rois in ihrer | |
ja auch vom Rezensenten geschätzten souveränen Art dankenswerterweise von | |
den vielen pseudomedizinischen Deutungen der Romanfigur. Ob sie krank sei, | |
sich den Rückzug nur vorstelle, das ganze Handlungsgefüge Ausgeburt einer | |
Depression von Schreiberin oder Figur sei, all dies spielte keine Rolle. | |
Und so löste die Grande Dame der alten Volksbühne dann auch den Titel des | |
Abends ein: „Sophie Rois fährt gegen die Wand“. Als Kunstfigur Sophie Rois | |
schlüpfte sie in die Rolle der Protagonistin und knallte dabei gegen die | |
fiktionale Wand. Sie spielte aber auch gegen die Wand der | |
Rezeptionsgeschichte des Romans an. Eine Zigarette nach der anderen | |
anzündend, gewährte sie Blicke in das Innenleben einer Person, die sich in | |
die Wildnis zurückgezogen hatte. Erst schien es sich um eine Pause vom | |
Zivilisationsstress zu handeln. Dann spielten postapokalyptische Momente | |
und, als es ums Sortieren von Vorräten ging, sogar Preppertum hinein. | |
Natürlich auch mit Knarre, die hier drei Mal losging. | |
Ein erster Höhepunkt kam, als die Figur, die Rois verkörperte, von den | |
Weisheiten der Bauernkalender sprach und sich ein Buch mit Tiergeschichten | |
vornahm. Sie las sie, aber nur für sich. Nur ein Lachen hier, ein Lachen da | |
entrang sich ihren Lippen. | |
Der Moment hätte länger andauern können, nicht nur weil die Spielerin ihren | |
teils arg exaltierten Sprachduktus des Betonens jedes – gefühlt – dritten | |
Worts im Satz aufgab, sondern auch, weil bei dieser überraschenden Wendung | |
für einen Augenblick eine Atmosphäre jenseits des Rezitierens entstand. | |
Dankbar war man dann später über den Bühnenbildgag der großen | |
Erdbeersahnetorte, die hoch vom Bühnenhimmel heruntersank und mal zum Berg | |
und dann zur Jagdhütte wurde (Regie und Bühne: Clemens Maria Schönborn). | |
Das hausgroße Objekt befreite Rois endgültig aus dem zuvor bezogenen | |
armseligen Vortragegefängnis. Sie spielte endlich, leistete sich auch ein | |
paar Eskapaden wie eine schöne „Ja, ja, nöö, nöö“-Sequenz. Schlussendl… | |
sang sie, was dann für die Jubelstürme im DT ausreichte. | |
Wieder am 16. und 26. 2., Deutsches Theater | |
3 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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