# taz.de -- „Ich habe kleine Hände“ | |
> Seit 1987 lebt und spielt die Jazzpianistin Aki Takase in Berlin. Ein | |
> Gespräch über die Traditionen des Jazz, den Jazzort Berlin und Pianisten | |
> mit großen und kleinen Händen | |
Bild: Aki Takase wurde 1948 in Osaka in Japan geboren und wuchs in Tokio auf. S… | |
Interview Andreas Hartmann | |
taz: Frau Takase, Jazz erlebt gerade ein Revival bei jungen Musikhörern, | |
ist wieder hip und Festivals wie XJazz sind gut besucht. Bekommen Sie als | |
Veteranin davon etwas mit? | |
Ja, ich freue mich sehr darüber. Die jüngeren Leute interessieren sich für | |
Jazz und genauso spiele ich gerne mit jungen Musikern. Auch Berlin als | |
Jazzstadt ist sehr interessant geworden, interessanter als früher. Das | |
Publikum bei Konzerten in Berlin ist inzwischen recht gemischt, Besucher | |
sind zwischen 20 und 80 Jahre alt. Frauen sind genauso darunter wie Männer. | |
Und es gibt viele gute Orte zum Spielen. | |
Wo in Berlin spielen Sie gerne? | |
Beispielsweise im A-Trane in Charlottenburg, im B-Flat in Mitte oder im | |
Sowieso in Neukölln. Das sind alles sehr gute Venues und es gibt noch | |
einige mehr. Aber die Möglichkeiten zum Auftreten sind für mich ja eher | |
beschränkt. Ich bin Pianistin, ich brauche einen Club, in dem ein Flügel | |
steht, und kann nicht überall einfach spielen, so wie beispielsweise ein | |
Saxofonist. | |
Sie spielen gerne mit jüngeren Musikern, sagen Sie. In Ihrer neuen Band | |
Japanic, mit der Sie eben eine Platte herausgebracht haben, sind Sie mit | |
Ihren 71 Jahren tatsächlich eindeutig die Älteste. | |
Das stimmt, die anderen Bandmitglieder sind wie meine Söhne. | |
Einer davon sogar beinahe sprichwörtlich. DJ Illvibe alias Vincent von | |
Schlippenbach ist der Sohn Ihres Mannes Alexander. Er sorgt bei Japanic für | |
die elektronischen Klänge und bedient die Turntables. Nebenbei ist Illvibe | |
ein bekannter HipHop-Produzent. Mögen Sie HipHop? | |
Ich interessierte mich nicht so sehr für HipHop, aber ich kann mir schon | |
vorstellen, dass die jungen Leute von einer solchen Verbindung von Rhythmus | |
und Sprache fasziniert sind. | |
Einen Namen hatte sich Illvibe als ehemaliger DJ der Berliner | |
Dancehall-Combo Seeed gemacht. Wie finden Sie die? | |
Die habe ich mir, ehrlich gesagt, noch nie gehört. Aber ich kenne deren | |
Sänger, Peter Fox. Der war schon oft hier bei uns zu Hause. Er ist ein sehr | |
guter, sehr freundlicher Typ. | |
Sie sind eine Größe des europäischen Jazz, leben seit über 30 Jahren in | |
Berlin. Wie groß ist noch Ihre Verbundenheit zu Japan, wo Sie geboren | |
wurden? | |
Ich fahre zwei bis drei Mal im Jahr nach Japan. In Osaka habe ich auch eine | |
Wohnung. Deutschland ist meine Heimat, Japan aber auch. Nach Möglichkeit | |
und wenn ich das organisiert bekomme, etwa Dank der Unterstützung durch das | |
Goethe-Institut, bringe ich bei meinen Besuchen in Japan auch meine | |
liebsten Musiker aus Europa mit. Etwa Han Bennink, Rudi Mahall oder Louis | |
Sclavis. Mein Mann war mit seinem Trio erst vor Kurzem auch wieder mit in | |
Japan. Ich zeige dort gerne, was jazzmäßig so passiert in Deutschland und | |
in Europa, das ist mir schon sehr wichtig. | |
Wenn Sie in Japan sind, machen Sie dort auch Urlaub? | |
Urlaub in Japan? Das ist schwer. Es sind zu viele Leute in dem Land. Wenn | |
ich Urlaub machen möchte, fahre ich lieber nach Thailand. Ich habe ein | |
Klavier in meiner Wohnung in Osaka stehen und komponiere dort die meiste | |
Zeit. | |
Sie sind Improvisationsmusikerin, bauen Ihre Stücke jedoch auf | |
Kompositionen auf, kann man das so sagen? | |
Komponieren ist bereits komprimierte Improvisation. Ich brauche ein kleines | |
Thema als Ausgang für meine Komposition, vielleicht drei Takte, um im Kopf | |
eine Richtung für die Musik zu entwickeln. Die Improvisation ist dann nicht | |
mehr überlegen, sondern Moment nach Moment zu spielen. Gleichzeitig | |
miteinander interagieren, das ist für mich Improvisation. | |
Sie sagen, Sie brauchen einen Input, um eine Komposition zu entwickeln. | |
Woher kommt der? | |
Das können unterschiedliche Anregungen sein, auch Bilder und Bücher. | |
Deswegen arbeite ich nicht nur mit Musikern zusammen, sondern auch gerne | |
mit Tanzprojekten oder mit Lyrikern. | |
Sie kommen in Ihrer sehr modernen, sehr freien Musik immer wieder gerne | |
zurück auf die Klassiker des Jazz. Auf Fats Waller, Duke Ellington, | |
Thelonious Monk zum Beispiel. Wie wichtig ist Ihnen die Jazztradition? | |
Sehr wichtig. Man kann immer noch viel Fundamentales und Wesentliches durch | |
diese Musik lernen. Ich finde aber auch die klassische Musik wunderbar. | |
Hauptsache, gute Musik, würde ich sagen, egal aus welcher Richtung. Mein | |
größter Einfluss ist aber wohl Conlon Nancarrow, ein amerikanischer | |
Komponist aus den Zwanzigern, der mit mechanischem Klavier gearbeitet | |
hatte. Bei diesem treten verschiedene Tempi und Rhythmen gleichzeitig in | |
seinen Stücken auf. Diese Idee hat mich sehr geprägt, und so wie Nancarrow | |
wollte ich es auch auf meiner Platte mit Japanic machen. | |
Wenn der Ehemann auch ein berühmter Jazzpianist ist, gibt es da auch mal | |
Konkurrenz? Oder gar Neid, vielleicht wenn der andere die besseren Gigs an | |
Land gezogen hat? | |
Nein, zwischen uns gibt es keine Konkurrenz. Wir sind sehr unterschiedlich. | |
Alexander ist vom Typ her zu 150 Prozent Deutscher, ich bin 150 Prozent | |
Japanerin. Deswegen spielen wir auch interessant zusammen Klavier. Wir | |
beide musizieren auf 88 Tasten, die uns zur Verfügung stehen, aber dabei | |
bewegen wir uns in unterschiedliche Richtungen. Dazu kommt: Er hat große | |
Hände, ich habe kleine, spiele deswegen Akkorde mit kleineren Intervallen. | |
Konkurrenz gibt es bei uns höchstens beim Kochen. Wir kochen beide sehr | |
gerne. Er gerne Deutsch, ich lieber Japanisch. | |
Mit dem Älterwerden: Wird man da besser oder schlechter am Piano? | |
Je älter man ist, desto spannender wird es. Musik ist kein Sport. Sie kommt | |
vom Kopf und vom Gefühl. Ich finde mich heute noch besser als früher. Klar, | |
ich bin 71 Jahre alt und keine 20-jährige Frau mehr. Körperlich ist das ein | |
großer Unterschied. Aber ich bin heute lockerer, ich kann am Klavier | |
leichter alles an Emotionen und Gefühlen aus mir herausholen. | |
Aber Ihr Spiel ist physisch und technisch anspruchsvoll. Lässt da die Kraft | |
nicht irgendwann ein wenig nach? | |
Technik gehört dazu, sicherlich, aber ich will sie ja gar nicht zeigen, sie | |
ist eher Mittel zum Zweck. Ich möchte etwas sagen durch meine Musik. Und im | |
Alter bin ich bin mir einfach sicherer darin, was genau ich sagen möchte. | |
Und das ständige Touren als Musikerin, ist das nicht strapaziös? | |
Manchmal gibt es in den etwas kleineren Jazzclubs keine richtige Garderobe, | |
das ist für mich als Frau ein Problem, aber damit kann ich leben. Und in | |
Deutschland haben die Züge sehr oft Verspätung, das ist für Musiker | |
generell sehr anstrengend. | |
Zumindest dieses Problem haben Sie in Japan nicht. | |
Das stimmt. Dort sind die Züge tatsächlich immer pünktlich. | |
20 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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