# taz.de -- Hospiz-Koordinatorin Martina Kuhn über würdevolles Sterben: "Dank… | |
> Martina Kuhn hat in Hamburg die Koordinierungsstelle für Hospiz- und | |
> Palliativarbeit aufgebaut. Sie soll verbreiten, dass ein würdevolles | |
> Sterben für alle Schwerkranken möglich sein kann - auch für die Einsamen | |
> und Armen. Das scheitert immer häufiger an der Bürokratie | |
Bild: "Das Hospiz ist kein Gebäude. Es ist eine Bürgerbewegung": Martina Kuhn. | |
taz: Frau Kuhn, was bedeutet gutes Sterben? | |
Martina Kuhn: Ich denke, es geht um das Thema Würde. Darum, bis zum Schluss | |
würdevoll zu leben, sicherlich auch würdevoll zu sterben - das gehört | |
zusammen. | |
Würde ist ein weit interpretierbarer Begriff. | |
Es wird auch gefragt, ob er in der Hospizbewegung nicht überstrapaziert | |
wird. Letztendlich glaube ich, dass es in erster Linie um die Bedürfnisse | |
schwerstkranker Menschen geht. Darum, ihnen nicht Dinge aufzudrücken, die | |
sie weder wollen noch können - sei es Essen oder Berührung, Medikamente | |
oder Schläuche. | |
Dann gibt es also nicht nur ein Konzept vom guten Sterben. | |
Manche möchten in Ruhe gelassen werden, manche möchten, dass bis zu zwanzig | |
Angehörige um sie herum stehen oder dass schon gefeiert wird, während sie | |
noch leben. Es sollte heißen: "Pflegekräfte und Ärzte Hände auf den | |
Rücken", und erstmal schauen, was hier gewünscht ist. Und nicht alle | |
eigenen Ideen davon, was würdevoll ist, an dem Patienten anzuwenden: ein | |
Duftöl, eine Lymphdrainage und ein Gespräch - während die Menschen | |
innerlich sagen: "Lass mich bitte in Ruhe." | |
Wahrscheinlich ist dieses Nichts-Wollen nicht ganz einfach - gerade für | |
diejenigen, die sagen: "Ich gebe mir so viel Mühe." | |
Wir erleben das bei professionellen Kräften, aber auch bei Ehrenamtlichen, | |
die eine Ausbildung zur Sterbegleitung machen. Die sind sehr engagiert, | |
sehr motiviert, die wollen über das Sterben sprechen. Aber die Menschen | |
sagen: "Lies mir aus der Zeitung vor. Ich habe noch eine Woche, da will ich | |
wissen, was läuft." | |
Also heißt es Demut lernen. | |
Genau. Das ist eine Haltung, die nicht so beliebt ist. Aber wer das gelernt | |
hat, genießt auch, was dann kommt: Es kommt viel, und sei es ein großes Maß | |
an Dankbarkeit, dass du nicht weggehst, dass du keine Angst hast, dich | |
nicht ekelst. | |
Ist die Hospizbewegung Spiegel einer Gesellschaft, wo all das nicht mehr | |
selbstverständlich ist - zumindest nicht von Seiten der Familie? | |
Es versterben immer mehr Menschen ohne den Kreis ihrer Familie. Viele | |
wohnen alleine, kommen alleine in ein Heim, werden alleine ins Krankenhaus | |
eingewiesen. Da kommen auch nicht unbedingt die Freunde. Manchmal gibt es | |
noch Nachbarn. Aber oft sind auch Familien mit Sterbenden völlig | |
überfordert: Sie haben keinerlei Erfahrungen damit. | |
Wie sind Sie selbst zur Hospizarbeit gekommen? | |
Eine gute Freundin von mir ist im Krankenhaus an Krebs gestorben. Wir haben | |
sie zurück nach Hause geholt und in der Wohnung aufgebahrt. Das war für | |
mich zum ersten Mal eine Begegnung, die ganz anders war. Ich dachte: "Das | |
ist ja wunderbar." Wer mochte, konnte zu ihr gehen und es waren auch die | |
Kinder da. Die durften auch in den Körper reindrücken und sagen: "Guck mal, | |
da bleibt eine Delle." Oder: "Sie ist ganz kalt." Es sind viele gekommen. | |
Wir haben im Nebenraum angestoßen, weil sie das so gewollt hätte. | |
Kommen ins Hospiz nur die Gutinformierten, die keine Angst vor möglichen | |
Kosten haben? | |
Nein, auch Hartz IV-Empfänger sind in Hospizen. Es gibt inzwischen auch gar | |
keinen Eigenanteil für die Patienten mehr. Daneben hängt es von einer | |
generellen Informiertheit ab, nicht nur der Betroffenen, sondern auch der | |
Sozialdienste in den Krankenhäusern und der Medizinerinnen und Mediziner. | |
Dennoch ist das Hospiz mit der Idee von Mittelschicht verbunden. | |
Man kann auf keinen Fall sagen, dass nur die intellektuelle Mittelschicht | |
in diese Einrichtungen kommt. Trotzdem ist es wohl so, dass Menschen, die | |
im Osten der Stadt leben, weniger in den Genuss kommen als Menschen aus dem | |
Westen. Es gibt Menschen, die hier anrufen und sagen: "Ich möchte mich | |
schon einmal für das Hospiz anmelden." Die sind noch topfit und denken: | |
"Sollte es mir einmal schlecht gehen, will ich das alles in trockenen | |
Tüchern haben." | |
Transportiert die Hospizbewegung da eine Allmachtsphantasie vom guten | |
Sterben? | |
Das Hospiz ist kein Gebäude, in das Leute hineingehen. Es ist eine | |
Bürgerbewegung. Und die ist entstanden, weil Menschen vor 20, 30 Jahren | |
gesagt haben: "So möchte ich nicht enden." Früher hat man die Menschen zum | |
Sterben nach Hause geholt, dann sind sie in der Küche gebettet worden, alle | |
sind gekommen, jeden Tag war jemand da. Es war mitten im Leben. Das wollte | |
man wiederbeleben - es ging nicht darum, zu sagen: "Wir machen das | |
besonders schön." Vielleicht wirkt das nach außen so, wenn man es damit | |
vergleicht, wie es zwischenzeitlich war und vielleicht immer noch passiert: | |
dass Menschen, die im Krankenhaus sterben, ins Badezimmer oder den | |
Geräteraum abgeschoben werden, weil es keinen anderen Platz gibt. | |
Nach einer Studie des Gerichtsmediziners Püschel zu Todesfällen in Hamburg | |
und Umgebung sterben nur vier Prozent im Hospiz. | |
Das entspricht etwa dem Prozentsatz an Sterbenden, die die Voraussetzungen | |
erfüllen. Nach wie vor haben aber auch einige das Gefühl, das sei ein | |
Sterbehaus. Das mag auf eine Art auch so stimmen - natürlich sterben die | |
Menschen dort. Aber es ist nicht so wie im Mittelalter, wo die Menschen in | |
Zehnerreihen zum Sterben abgeschoben wurden. Grundsätzlich ist das | |
Bedürfnis, das Leben würdevoll zu beenden, auf jeden Fall größer als die | |
vier Prozent. Viele wissen nicht, dass es auch eine ambulante | |
Hospizbegleitung gibt. | |
Zurzeit sind nicht alle Hospize ausgelastet. | |
Die Auslastung ist okay, aber nicht optimal. Das liegt an den | |
Zugangsvoraussetzungen. Viele wissen nicht, dass man dazu eine ärztliche | |
Bescheinigung über den Krankheitszustand braucht. Ich sage zu vielen: "Das, | |
was Sie in ein Hospiz bringt, das möchten Sie gar nicht haben" - mehrere | |
Krankheiten gleichzeitig, ein schweres Tumorleiden oder Wunden, die aus dem | |
Körper quellen. Das wäre anders, wenn man sagte: "Hospize sind für alle da, | |
auch für die, die einfach nur alt sind und nichts weiter haben." | |
Woran hakt das? | |
Die finanzielle Situation spielt natürlich eine Rolle. Ein stationärer | |
Hospizplatz ist nicht die günstigste Versorgung, er ist deutlich teurer als | |
ein Pflegeheimplatz. Die Probleme sehe ich zur Zeit aber woanders. | |
Wo denn? | |
Dass die Hospize teilweise nicht ausgelastet sind, hängt nicht nur mit den | |
medizinischen Voraussetzungen zusammen, sondern auch mit dem medizinischen | |
Dienst. Zunehmend empfiehlt er den Krankenkassen eine Ablehnung von | |
Hospizanträgen, obwohl die Menschen mit ihren Krankheiten und ihrer | |
häuslichen Situation die Voraussetzungen erfüllen. Es ist eine schlimme | |
Zumutung, wenn Menschen in ihren letzten Wochen noch ein | |
Widerspruchsverfahren über sich ergehen lassen müssen, um zu klären, ob sie | |
schon hospizbedürftig sind oder nicht. | |
Will der medizinische Dienst Geld sparen? | |
Das vermute ich. | |
Wie hoch ist die Ablehnungsquote? | |
Die liegt zwischen 20 und 25 Prozent bei den Gästen, die bereits | |
aufgenommen wurden - bis vor zwei, drei Jahren waren das maximal fünf | |
Prozent, wenn es überhaupt zu Ablehnungen kam. Wenn ein Hospiz mit seiner | |
Fachkompetenz gesagt hat, das sei ein Hospizpatient, dann ist das auch so | |
angenommen worden. Das hat sich massiv verschlechtert. Bei einem Viertel | |
muss man in den Widerspruch gehen. Am Ende ist fast jeder Widerspruch | |
erfolgreich - aber was ist das für eine Zumutung für die Angehörigen und | |
die Betroffenen selber in dieser letzten Lebens-Zeit. | |
29 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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