| # taz.de -- Horte der Bildung | |
| > Bildung Niemand in Brandenburg würde den Wert der Jugendarbeit für die | |
| > Herausbildung zivilgesellschaftlichen Engagements bestreiten. Die Summe | |
| > der Fördermittel von Land und Kommunen ist dennoch bescheiden. Besuch bei | |
| > einem Klub in Strausberg | |
| Bild: Anders als andere Bauten in Strausberg und nur schwer zu übersehen: das … | |
| aus Strausberg Lina Schwarz | |
| Zwischen den schlichten Mehrfamilienhäusern fällt die Fassade sofort auf. | |
| In großen Lettern prangt der Slogan „Refugees welcome“ auf den Wänden des | |
| zweistöckigen Hauses. Neben einem Cowboy bewachen in Reih und Glied | |
| stehende Skelette den Hintereingang. Hinter den Skulpturen aus Schrott | |
| rankt sich roter und gelber Wein die Hauswand hoch und das Dach entlang. | |
| Das alternative Jugendzentrum Horte wirkt wie ein verzaubertes Alien, das | |
| sich in die ruhige Wohngegend rund um den S-Bahnhof Strausberg-Stadt | |
| verirrt hat. | |
| Dabei ist das Horte längst eine feste Institution in der Stadt am Rande des | |
| Berliner Speckgürtels: Seit mittlerweile über 20 Jahren will das | |
| Jugendzentrum einen Raum für eine selbstorganisierte, antifaschistische | |
| und partizipatorische Jugendkultur schaffen. Das erklärt der 20-jährige | |
| Steffan Hinze (Name von der Redaktion geändert), der seit seinem 16. | |
| Lebensjahr hier aktiv ist. Am Anfang kam er vor allem zu den Konzerten, | |
| mittlerweile ist er im Vorstand des Trägervereins und organisiert mit | |
| anderen zusammen eigene Projekte, wie zum Beispiel ein antirassistisches | |
| Fußballturnier. | |
| Doch seit Anfang des Jahres ist unsicher, ob und in welcher Form das Horte | |
| Jugendlichen weiterhin diesen Freiraum schaffen kann. Für das Jahr 2016 | |
| hatte die Stadt den Antrag des Jugendzentrums auf eine Jahresförderung | |
| nicht angenommen. Bisher wurden jährlich etwa 20.000 Euro bereitgestellt. | |
| Letztes Jahr reichte der Verein den Antrag nicht fristgerecht, sondern eine | |
| Woche verspätet ein – und damit war die Finanzierungsgrundlage dahin. | |
| „Die Stadt Strausberg ist als vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht | |
| gebunden“, erklärt Elke Stadeler, die Bürgermeisterin der Stadt Strausberg. | |
| Über die Bewilligung von Fördermitteln entscheiden die Stadtverordneten. | |
| Insgesamt verfügt die Stadt für das Jahr 2016 über ein Jahresbudget von | |
| fast 52 Millionen Euro. In diesem Rahmen erscheinen 20.000 Euro für einen | |
| von drei verbleibenden Jugendclubs der Stadt verhältnismäßig. | |
| Doch nicht die finanzielle Unsicherheit, sondern vor allem die | |
| abschreckende Wirkung auf die Jugendlichen sei das Problem, gibt Hinze zu | |
| bedenken. Nach dem nicht angenommenen Antrag auf Jahresförderung reichte | |
| der Verein acht Einzelanträge unter anderem zur Finanzierung der | |
| Werkstätten und künftiger Veranstaltungen ein. Ausgearbeitet und vor dem | |
| Bildungsausschuss verteidigt wurden die Anträge zum großen Teil von den | |
| Jugendlichen, die diese Räume regelmäßig nutzen und die entsprechende | |
| Veranstaltungen besuchen oder selbst organisieren. | |
| Für viele der Jugendlichen das erste zivilgesellschaftliche Engagement. | |
| Umso härter das Ergebnis: Fünf der acht eingereichten Anträge lehnte der | |
| Ausschuss für Bildung ab. Hinze kritisiert: „Bitter, wie die | |
| Stadtverordneten bei der Antragsverteidigungen mit jungen Leuten umgegangen | |
| sind. Die werden so schnell keinen neuen Antrag stellen.“ | |
| Dabei ist die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements unter jungen | |
| Menschen zumindest auf dem Papier erklärtes Ziel der Stadt Strausberg. In | |
| einer Richtlinie zur Kinder- und Jugendarbeit aus dem Jahr 2008 heißt es: | |
| „Formen der Selbstorganisation sowie Beteiligung und Mitbestimmung von | |
| Kindern und Jugendlichen an demokratischen Prozessen sind von städtischer | |
| Seite gewollt und haben Anspruch auf Unterstützung und Förderung.“ | |
| Die Landesregierung bekräftigt das politische Anliegen, Jugendliche durch | |
| außerschulische Jugendarbeit zur gesellschaftlichen Teilhabe anzuregen. | |
| Einen besonderen Platz nimmt dabei die Bildungsarbeit ein. „Außerschulische | |
| Bildungsarbeit ist ein eigenständiger Bestandteil der Bildungslandschaft in | |
| Brandenburg“, erklärt Ralph Kotsch, Sprecher des Landesministeriums für | |
| Bildung, Jugend und Sport. Diese Form der Bildung stelle eine wichtige | |
| Ergänzung zur Schulbildung dar. | |
| Die Idee ist da – aber an der ausreichenden Finanzierung fehlt es auch auf | |
| Landesebene. Gerade die Jugendbildung soll größtenteils durch sieben vom | |
| Land direkt geförderte Jugendbildungsstätten umgesetzt werden. Sie erreicht | |
| momentan allerdings nur die wenigstens Jugendlichen. Zwar stehen jeder | |
| Jugendbildungsstätte 100.000 Euro im Jahr zur Verfügung. Davon können | |
| allerdings nur insgesamt etwa 2.400 Kinder und Jugendliche an den | |
| Wochenseminaren teilnehmen. Das sind rund 2 Prozent aller 12- bis | |
| 18-Jährigen in Brandenburg. | |
| „Jugendarbeit in Brandenburg ist unterfinanziert“, kritisiert Christine | |
| Reich. Sie ist Geschäftsführerin des Kurt-Löwenstein-Hauses, einer der | |
| sieben Bildungsstätten. Die Vorwürfe weist die Landesregierung zurück. | |
| Kotsch bekennt, dass wie in vielen anderen Bereichen mehr Geld | |
| wünschenswert sei. Aber im Rahmen des Gesamthaushalts sei die Summe | |
| angemessen für eine gute außerschulische Jugendarbeit. Insgesamt stellt das | |
| Land knapp 11,7 Millionen Euro für Jugendverbände, Jugendbildung und | |
| Personalkosten von Sozialarbeitern in der offenen Jugendarbeit bereit. Das | |
| entspricht 0,6 Prozent des gesamten Etats 2016. | |
| Für diese Prioritätensetzung hat die Geschäftsführerin des | |
| Kurt-Löwenstein-Hauses wenig Verständnis. Gerade jetzt, in einer Zeit, in | |
| der unsere Gesellschaft unter großer Spannung stehe, sei es wichtig, dass | |
| Menschen früh lernen, was politische und gesellschaftliche Partizipation | |
| bedeute, betont sie. Nämlich Aushandlungsprozesse, in die man den Wunsch | |
| nach Veränderung einbringt und dann aber auch annehmen kann, dass sich die | |
| Dinge nicht immer und vor allem nicht sofort ändern. | |
| Angesichts der politischen Entwicklungen der letzten Jahre wird schnell | |
| klar, was die Leiterin der Bildungsstätte meint, wenn sie von politischen | |
| Spannungen in Brandenburg spricht. Immer mehr Menschen verlieren das | |
| Interesse an demokratischer Mitbestimmung: | |
| Bei der Landtagswahl im Jahr 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 48 Prozent, | |
| so niedrig wie nie zuvor. Die Wahlbeteiligung sinkt, gleichzeitig steigt | |
| die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten. | |
| Im Jahr 2015 wurden insgesamt 129 Straftaten erfasst, 56 mehr als im | |
| Vorjahr. Damit stellt Rechtsextremismus weiterhin die größte konkrete | |
| Herausforderung dar. Ebenfalls steigt die Zustimmung für eine Partei, die | |
| sich gegen Vielfalt und Diversität einsetzt. Bei der Landtagswahl im Jahr | |
| 2014 erhielt die AfD 12 Prozent der Stimmen, den Sonntagsumfragen zufolge | |
| wären es 20 Prozent, wenn jetzt Wahlen wären. | |
| Die flächendeckende Politikverdrossenheit und das generelle Unverständnis | |
| für politische Prozesse entladen sich in wachsender Zustimmung zu | |
| intoleranten und ausgrenzenden Ideen. | |
| Für Reich ist klar: Junge Menschen müssen selbst erfahren, was es heißt, in | |
| demokratischen Strukturen zu leben und welche Vor- und Nachteile damit | |
| einhergehen. Zwar finde politische Bildung sicher auch in den Schulen | |
| statt. „Allerdings vermitteln Schulen in Brandenburg, auch aufgrund von | |
| Termin- und Personaldruck, nur unzureichende Fähigkeiten, sich | |
| gesellschaftlich einzubringen. Die Arbeit von Schüler*innenvertretungen ist | |
| durchaus ausbaufähig“, kritisiert Reich. | |
| In den Wochenseminaren im Kurt-Löwenstein-Haus lernen die Teilnehmenden, | |
| eigene Vorschläge zu den allgemeinen Regeln des Zusammenlebens, wie zum | |
| Beispiel zur Handynutzung während des Seminars, einzubringen. Politische | |
| Bildung sei ja nicht nur, Jahreszahlen zu kennen und beispielsweise zu | |
| wissen, wann die Nationalsozialisten an der Macht waren, sondern auch, | |
| Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe zu entwickeln. Dazu gehört es, | |
| politisches Leben nicht als etwas von oben herab wahrzunehmen, sondern zu | |
| lernen, wie man Interessen vertritt. Und ein Verständnis für Diversität in | |
| der Gesellschaft zu entwickeln. | |
| Gerade Letzteres sei die beste Präventionsmaßnahme gegen Rechtsextremismus, | |
| ergänzt Melanie Ebell, Geschäftsführerin des Landesjugendrings. Dieser | |
| dient als Schaltstelle zwischen der Landesregierung und den | |
| Jugendverbänden. Sie gibt zu bedenken: „Dort, wo es keine Angebote der | |
| kommunalen Jugendarbeit gibt, überlässt man den Raum anderen.“ In | |
| Brandenburg sei das weniger ein Problem, aber die Folgen fehlender | |
| struktureller Jugendarbeit sehe man in Sachsen und Sachsen-Anhalt. In den | |
| Regionen, wo sich kommunale und freie Träger der Jugendarbeit zurückgezogen | |
| haben, bieten rechtsextreme Organisationen nicht selten Familienfeste oder | |
| Ferienfahrten für Kinder und Jugendliche an. | |
| Brandenburg wählt im Jahr 2019 seinen nächsten Landtag – dann wird sich | |
| zeigen, welches Politikverständnis im Land herrscht. Um die extremistischen | |
| Einstellungen von morgen zu verhindern, braucht es heute Jugendverbände und | |
| Bildungsarbeit, die jungen Menschen vermitteln, dass sie gesellschaftliche | |
| und politische Prozesse beeinflussen können. Jugendarbeit trägt nur | |
| Früchte, wenn sie wirklich gefördert wird. Hier liegt der Auftrag beim Land | |
| und den Kommunen. | |
| Auch die Stadtverordneten in Strausberg haben beste Voraussetzungen, | |
| Jugendarbeit in ihrer Stadt künftig wieder mehr zu unterstützen – die | |
| Aktiven aus dem Horte haben ihren Finanzantrag für 2017 jedenfalls | |
| fristgerecht eingereicht. | |
| 2 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Lina Schwarz | |
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