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# taz.de -- Hausbacken neu definiert
> Immobilieninvestment Die Berliner Demeter-Bäckerei Märkisches Landbrot
> vermietet an ihre Mitarbeiter Wohnungen. Dabei wird nicht abkassiert,
> sondern ein ganz anderer Lohn eingefahren
von Lars Klaaßen
Die Bäckerei Märkisches Landbrot mit Sitz in Berlin-Neukölln ist ein
Traditionsbetrieb. Vor über 80 Jahren wurden die ersten Öfen dort
angeheizt. Seit 1981 wird ausschließlich ökologisch und seit 1992 in
Demeter-Qualität gebacken. Das Unternehmen hat 49 feste Mitarbeiter (auch
in Teilzeit), davon fünf Bäckermeister und zwei Auszubildende. So wie das
Unternehmen sich zu Beginn der achtziger und der neunziger Jahre auf etwas
Neues eingelassen hat, wird auch jetzt ein weiterer Schritt getan. Die
Bäckerei macht in Immobilien.
## Motivierte Mitarbeiter
Joachim Weckmann, einer der beiden Geschäftsführer, hat mit zwei weiteren
Personen ein Wohnhaus gekauft, einen Altbau, in dem bereits Mieter leben.
„Mit der Eigentümergesellschaft habe ich vereinbart, dass mindestens ein
Drittel der Wohnungsfläche, also mein Anteil, Mitarbeitern von Märkisches
Landbrot zum Wohnen angeboten wird“, sagt Weckmann und betont:
„Bestandsmieter werden dafür nicht gekündigt. Das soll schrittweise mit der
natürlichen Fluktuation der Mieter erfolgen.“
Die Eigentümer fühlen sich den Grundsätzen der Gemeinwohlökonomie nach
Christian Felber verpflichtet. „Nicht jeder hat Bedarf an preisgünstigen
Mitarbeiterwohnungen, aber es gibt einen Konsens über den Bedarf an
kostengünstigem Wohnraum, der dem spekulativen Charakter des Marktes
entzogen werden soll“, so Weckmann. „Unser wirtschaftliches Ziel ist es,
mit kostendeckenden Mieten zu arbeiten.“ Das wird von der finanzierenden
Triodos Bank gefördert. Die Bäckerei vermietet die Wohnungen ohne Aufschlag
an ihre Mitarbeiter weiter, also für 6 bis 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die
Rendite liegt laut Weckmann bei 3 Prozent, ein weiterer Mehrwert: „Ein
schöner Lohn sind auch motivierte Mitarbeiter, die mit Überzeugung hinter
ihrem Arbeitgeber stehen.“
Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Märkisches Landbrot
können mietende Mitarbeiter ihre Wohnung behalten. Wie motivierend solch
ein Angebot wirken kann, verdeutlicht die Entwicklung im direkten Umfeld:
Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat auf Basis von Daten des
Portals Immoscout errechnet, dass die Quadratmeterpreise in Berlin-Neukölln
bei Neuvermietungen zwischen 2010 und 2014 um 58 Prozent gestiegen sind –
so stark wie in keiner deutschen Großstadt.
Gerade in urbanen Ballungsräumen, wo Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter
suchen, wird Wohnraum knapp – und damit teuer. Der Fachkräftemangel macht
erfinderisch. Es sind nicht nur große Konzerne, die mit verschiedenen
Instrumenten im Wohnungsmarkt agieren, wie das Beispiel Märkisches Landbrot
zeigt. „Heute fehlen hunderttausende Wohnungen in Deutschland, und zwar vor
allem in den städtischen Wohnungsmärkten“, sagt Arnt von Bodelschwingh,
Geschäftsführer des Berliner Instituts RegioKontext, das zu den Themen
Stadtentwicklung, Wohnungsmärkte und Wirtschaftsförderung forscht. „Vor
allem neue Wohnungen für Haushalte mit mittleren Einkommen für Haushalte
mit unteren Einkommen – also Sozialmietwohnungen – sollten erstellt
werden.“ In diesem Segment gingen Nachfrage und Angebot besonders stark
auseinander. Bodelschwingh hat im April die Studie „Wirtschaft macht
Wohnen“ erarbeitet. Sie befasst sich mit einem Modell, das Teil der Lösung
werden könnte: bezahlbare Wohnungen, die Unternehmen Ihren Mitarbeitern
bereitstellen. Wer nun an Werkswohnungen denkt, von denen es laut
Schätzungen noch Ende der siebziger Jahre rund 450.000 gegeben hat, liegt
nicht ganz falsch. Was zwischenzeitlich als überholtes Modell abgetan
wurde, kommt wieder. Unternehmen kümmern sich zunehmend wieder um Wohnungen
für ihre Mitarbeiter, allerdings auf neuen Wegen. Die Renaissance der
Mitarbeiter-Wohnungen findet dort statt, wo die deutsche Wirtschaft brummt.
Das Angebot der Neuköllner Demeter-Bäckerei unterscheidet sich von anderen
aktuellen Modellen ebenso wie vom historischen Vorgänger, der Werkswohnung.
„Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die ersten Häuser von
Industriekonzernen – vor allem im Ruhrgebiet – gebaut wurden, bestand eine
Bindung der Werkswohnung an den Arbeitsplatz“, sagt Bernd Fuhrmann. Der
Historiker an der Uni Siegen befasst sich mit der Geschichte des Wohnens.
„Damit hatten die Arbeitgeber bei Auseinandersetzungen ein starkes
Druckmittel in der Hand, Kündigung bedeutete zugleich Wohnungsverlust.“ Wie
auch die heutigen Mitarbeiterwohnungen waren schon Werkswohnungen das
Produkt einer Mangelsituation. Damals wurden für die ersten großen Fabriken
dringend Mitarbeiter gesucht – und zwar viele. Der lokale Wohnungsmarkt und
die kommunale Wohnungswirtschaft waren nicht in der Lage, für die stark
wachsende Bevölkerung ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Wie
heute wurden vor allem qualifizierte Fachkräfte mit bezahlbarem Wohnraum
angesprochen“, so Fuhrmann, „Erst später rückten dann auch Meister und
Vorarbeiter in den Fokus.“
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieb Wohnraum knapp und teuer. Erst in
den siebziger Jahren entspannte sich der Markt deutlich. Die Anzahl der
Mitarbeiter in großen Konzernen nahm zudem ab. „Zeitgleich wurden die
Wohnimmobilien der Unternehmen zu einem erheblichen Kostenfaktor“,
erläutert Fuhrmann. „Die Häuser waren weiten Teils in die Jahre gekommen,
statt Sanierung erschien Verkauf attraktiver.“ Die städtebauliche Qualität
einiger Siedlungen ist zum Glück wiederentdeckt worden. Einige wurden unter
Denkmalschutz gestellt. Viele Städte erließen Erhaltungssatzungen. Auch
heute sind viele der ehemaligen Werkswohnungen bei Mietern begehrt.
Unternehmen, die heute Wohnungen für ihre Mitarbeiter bereitstellen, bauen
keine Siedlungen mehr im großen Stil. Bodelschwingh unterscheidet in seiner
Studie drei idealtypische Organisationsmodelle, in denen die aktuelle
Bandbreite an Lösungswegen zusammengefasst ist. Im ersten Modell wird
lediglich die reine Bautätigkeit und damit die Erstellung des Wohngebäudes
nach außen vergeben. Die anschließende Verwaltung und Bewirtschaftung der
Objekte verbleibt in der Hand des Unternehmens oder alternativ in der Hand
des Unternehmers als Privatperson.
## Es geht auch mit Partner
Das zweite Modell geht davon aus, dass eine unternehmenseigene Fläche für
den Bau genutzt oder an einen Partner verkauft wird. Die entstehenden
Wohnungen können entweder vom Unternehmen selbst verwaltet werden oder in
der Hand des immobilienwirtschaftlichen Kooperationspartners verbleiben. In
diesem Falle erhält das gewerbliche Unternehmen ein Kontingent an
Belegungsrechten über eine bestimmte Zahl von Wohnungen, die an seine
Mitarbeiter vergeben werden können. Auf dieser Idee basiert auch das dritte
Modell, bei dem jedoch im Unterschied zum vorherigen unternehmensseitig
keine geeigneten Flächen eingebracht werden können. Auch in diesem Fall, so
die Studie, zeige sich ein praktikables Realisierungsmodell, das sich in
der Praxis bereits bewähre.
8 Oct 2016
## AUTOREN
Lars Klaaßen
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