# taz.de -- Hassmails an Politiker: Geballte Schwarmdummheit | |
> Aktenordner voller Hassmails, Schmähpost und Drohbriefen gehören zum | |
> Alltag vieler Abgeordneter. Nicht erst seit Internetzeiten. | |
Bild: Hassanrufe sind out. Hate-Poetry ist in. | |
„Die Herkunft muss immer erwähnt werden“, sagt die Grünen-Politikerin Ekin | |
Deligöz. „Selbst wenn ich nur etwas zur Reform des Ehegattensplittings | |
sage.“ Die alltäglichen Anwürfe mit rassistischem Unterton steckt die | |
Bundestagsabgeordnete weg, sie hat schon Schlimmeres erlebt. | |
„Ich bin nun mal Politikerin“, sagt die 41-Jährige. „Solange keine ernste | |
Bedrohung dahintersteht, muss ich das hinnehmen.“ Auch das hat sie schon | |
einmal erlebt: Als sie vor Jahren in einem Interview gläubige Musliminnen | |
dazu aufforderte, ihr Kopftuch abzulegen, bekam sie Morddrohungen und wurde | |
unter Polizeischutz gestellt. „Das waren nicht nur Briefe, ich wurde sogar | |
auf der Straße blöd angemacht. Das hat mir wirklich Angst gemacht“, | |
erinnert sich Deligöz. | |
Gerade erst hat Bundestagspräsident Norbert Lammert eine „zunehmende | |
Enthemmung im Internet“ kritisiert: Was Aggressivität, Wortwahl und Tonlage | |
angehe, würden heute oft die Grenzen dessen überschritten, was der Anstand | |
und die Menschenwürde erlaubten, sagte er dem aktuellen Spiegel und machte | |
dafür die Anonymität im Internet verantwortlich. Doch das Phänomen ist | |
altbekannt. | |
Einen virtuellen „Shitstorm“, wie es auf Neudeutsch heißt, wenn | |
Internetforen oder E-Mail-Postfächer mit wüsten Beschimpfungen oder gar | |
Drohungen überflutet werden, haben viele Politiker schon erlebt. Eine Rede | |
oder eine kontroverse Äußerung reichen aus, um eine Welle des Unmuts | |
loszutreten. „Manche suchen offenbar nur nach einem Anlass, um Politiker zu | |
beschimpfen“, hat die SPD-Spitzenfrau Aydan Özoguz festgestellt. Politiker | |
wie sie bekommen nicht unbedingt mehr Hasspost als andere ab. Aber der | |
Tenor ist ein anderer, wenn der Adressat einer Minderheit angehört – | |
schnell wird da der Bogen zur ganzen Gruppe geschlagen. | |
„Edathy, du widerlicher Halbinder“. (Häufige Anrede an Sebastian Edathy) | |
Auch da gibt es Unterschiede. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy, der | |
jetzt den Untersuchungsausschuss zu den Morden der NSU leitet, beschäftigt | |
sich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus, entsprechend | |
kontinuierlich wird er angefeindet: Zwei Aktenordner mit Schmähpost hat der | |
Niedersachse bereits angesammelt. Gerne wird er darin als „Moslem“ oder | |
„Türke“ geschmäht, obwohl er beides nicht ist. Andere, wie die | |
Grünen-Politiker Jerzy Montag oder Josef Winkler, bekommen weit weniger | |
diskriminierende Post, obwohl auch sie Minderheiten angehören. Aber sie | |
stehen eben weniger im Rampenlicht. | |
„Es ist nur noch widerlich, wie sie und ihr Klientel sich den Juden | |
anbiedern. Hat doch Israel das größte KZ in Form vom Gazastreifen | |
geschaffen“. (Mail an MdB Volker Beck) | |
Auch der Grünen-Politiker Volker Beck wird von vielen Seiten angegangen: | |
„Wenn ich die Pius-Bruderschaft kritisiere, ist das Postfach voller | |
homophober Beschimpfungen. Wenn ich mich für die Entschädigung einer | |
NS-Opfergruppe starkmache, sind antisemitische Mails die Reaktion. Und wenn | |
ich mich für die rechtliche Anerkennung des Islam in Deutschland | |
ausspreche, organisiert die islamophobe Webseite ’PI-News‘ einen | |
Shitstorm“. Beck weiß, dass es sich häufig um orchestrierte Kampagnen | |
handelt. | |
Mit der Anonymität des Internets hat das aber nur bedingt zu tun. | |
„Verrückte jeder Façon können sich hier leichter organisieren. Aber mir ist | |
nicht bekannt, dass Menschenfeindlichkeit durch das Internet zunimmt“, sagt | |
Volker Beck. | |
Auch Gregor Gysi kann das bestätigen. Dass er antisemitisch beschimpft | |
wurde, „das war gleich nach 1990 viel öfter der Fall“, erinnert er sich – | |
also lange bevor das Internet aufkam. „Bei den Hassmails überwiegen heute | |
deutlich jene, die sich bei den Klischees des Antikommunismus bedienen“, | |
sagt der Linken-Chef. | |
„Packen Sie Ihre Koffer und gehen Sie in Ihre Heimat zurück oder am besten | |
ins muslimische Gulag“. (Bürgerbrief an Aydan Özoguz) | |
Wie geht man damit um? Echte Drohungen werden von den meisten gleich an das | |
BKA weitergeleitet, das dann eine Gefahrenanalyse erstellt. „Aber das kommt | |
fast nie vor“, sagt Aydan Özoguz. Mit rassistischen Schmähungen und | |
antisemitischen Beleidigungen pflegt jeder seine eigenen Umgang. „Ich | |
ignoriere so etwas“, sagt etwa die Piraten-Geschäftsführerin Marina | |
Weisband. „Die Nazis sollen mir nicht auch noch meine Zeit stehlen.“ | |
Serkan Tören sieht das ähnlich. „Der Steuerzahler bezahlt mich. Da habe ich | |
Besseres zu tun, als meine Zeit mit solchen Idioten zu verschwenden“, so | |
der integrationspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. „Man nimmt es hin“, | |
sagt auch die SPD-Abgeordnete Aydan Özoguz. Grundsätzlich versuche sie, | |
alle Mails zu beantworten. Dabei hat sie schon Überraschungen erlebt. | |
„Manche, die sich im Ton vergriffen hatten, schicken einem dann plötzlich | |
eine absolut freundliche Mail zurück, in der sie sich für die rasche | |
Antwort bedanken.“ | |
Ihr Parteikollege Sebastian Edathy ist da weniger tolerant, er zeigt auch | |
Beleidigungen an. „Eher selten“ kann der Urheber ermittelt werden. „Etwa | |
bei 15 Prozent“ liegt die Erfolgsquote. „Wenn es sich offensichtlich um | |
Volksverhetzung handelt und die Leute nicht ganz dämlich sind, dann machen | |
sie’s anonym“, hat auch Omid Nouripour festgestellt. Volker Beck reagiert | |
auf rassistische und homophobe Mails deshalb am liebsten, indem er einen | |
Link zum Lilly-Allen-Song „Fuck You“ zurücksendet. | |
„Sie dreiste Kuh. Ihnen fehlt genau wie diesen ganzen religiösen | |
Moslem-Kanacken der Respekt vor unserer Kultur und Werteordnung.“ (Brief an | |
Aydan Özoguz) | |
Soll man die Schmähpost überhaupt skandalisieren? Nein, sagt der | |
FDP-Politiker Serkan Tören: „Man sollte das nicht überhöhen.“ Er kritisi… | |
Kristina Schröder dafür, dass sie das getan hat. „Wenn die | |
Familienministerin von Deutschenfeindlichkeit spricht und dabei | |
öffentlichkeitswirksam aus Mails zitiert, in denen sie als ’deutsche | |
Schlampe‘ tituliert wird, erweckt sie damit den falschen Eindruck, als ob | |
alle jugendlichen Migranten so wären“, sagt er. Aus seiner Schmähpost zieht | |
er nicht den Schluss, dass Politiker-Mobbing zum Volkssport geworden sei: | |
„Die Mehrheit der Menschen denkt nicht so“, ist er überzeugt. | |
Die meisten Politiker wollen über das unschöne Thema deshalb auch nicht | |
allzu viele Worte verlieren. „Ich hätte das von mir aus gar nicht | |
angesprochen“, sagt etwa Marina Weisband. Aber als sie kürzlich von einem | |
Bild-Journalisten gefragt wurde, ob sie antisemitische Anfeindungen kenne, | |
habe sie das bejaht. Prompt meldeten die Agenturen: Piraten-Politikerin | |
Weisband antisemitisch beleidigt. | |
Sie selbst hat einen kreativen Weg gefunden, sich vor üblen Beleidigungen | |
zu schützen. Leser ihres Internetblogs können die Onlinekommentare anderer | |
Leser bewerten: die negativen Kommentare werden dann ausgeblendet, die | |
konstruktiven gelb unterlegt. „Das Netzwerk filtert mir die Informationen | |
vor“, schwärmt Weisband von der fürsorglichen Schwarmintelligenz. Dennoch | |
dringen die Zuschriften zu ihr durch. Gruselig sind dann auch die | |
vermeintlich positiven Beispiele – etwa wenn jemand ihr schreibt, er möge | |
Juden, „auch mit ihren Schwächen“. | |
Mitarbeit: Wolf Schmidt | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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