# taz.de -- Gus Van Sants neuer Film "Milk": Ein Homosexueller mit Macht | |
> In "Milk" kämpft Sean Penn als schwuler Politiker für die Rechte von | |
> Homosexuellen. Und Regisseur Gus Van Sant vergleicht seinen Helden Harvey | |
> Milk - natürlich - gerne mit Obama. | |
Bild: Szene aus "Milk", mit Sean Penn als Harvey Milk und Victor Garber als Geo… | |
An der entscheidenden Stelle des Films "Milk" von Gus Van Sant kommt es zu | |
einem Wortgefecht zwischen dessen Hauptfigur, dem ersten offen schwulen | |
politischen Amtsträger in den USA, Harvey Milk, und seinem Widersacher im | |
Stadtrat von San Francisco und späteren Mörder, Dan White. White, der | |
neidisch auf Milks politische Karriere ist, wirft ihm vor, er habe es ja | |
leicht als Politiker, denn er habe ja ein spezielles Anliegen. Indem er für | |
die Rechte von Homosexuellen kämpfe, sei er leicht identifizierbar und das | |
sei eben publikumswirksam. Milk widerspricht heftig. Dieser Kampf sei | |
existenziell, es ginge darum, Leben zu retten. Und er berichtet von | |
Selbstmorden und dem unerträglichen Leben unter dem Zwang zur Geheimhaltung | |
und der Rechtlosigkeit zwischen Stereotypisierung und Gewaltdrohung. | |
Das war in den mittleren 70er-Jahren. In den USA wie in Deutschland gab es | |
kaum offen schwule Prominente, geschweige denn Politiker, aber auch die | |
Linke und die Subkulturen waren noch weitgehend homophob, was sich dann | |
geringfügig in der Folge von Glamrock und in Teilen der Punk-Kultur | |
besserte. Heute, so wäre mancher versucht zu sagen, hätten sich diese | |
Probleme doch weitgehend erledigt. Schwule Bürgermeister in allen | |
relevanten Großstädten und eine queerkulturell-begeisterte Szene bis hinein | |
in den Mainstream: Von Almodóvar bis Anne Will, vom "L-Word" bis zur | |
"Lindenstraße", von Comedy bis bildender Kunst ist die Gegenwartskultur | |
durchzogen von lesbischen und schwulen Themen, repräsentiert von schon | |
lange nicht mehr stereotypisierbaren AkteurInnen. | |
Doch das ist nur eine Seite. Im Januar dieses Jahres schlugen Verbände und | |
AktivistInnen Alarm. Die alltägliche Gewalt gegen Schwule und Lesben hat | |
sich in Berlin verdreifacht. Rund 20 Prozent der Berliner Jugendlichen, so | |
ergaben neue Umfragen, halten Homosexualität für eine Krankheit, wobei die | |
muslimischen und die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten | |
Jugendlichen mit ungeheuerlichen 40 Prozent für einen besonderen Anstieg | |
der Alltags-Homophobie gesorgt zu haben scheinen. Einer der brutalsten | |
Übergriffe des neuen Jahres passierte ausgerechnet in Schöneberg, dem schon | |
seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts an schwulen und lesbischen Traditionen | |
reichen Stadtteil. | |
Auch "Milk" von Gus Van Sant reagiert auf Backlash-Trends in der | |
amerikanischen Gegenwart, wie massiv homophobe Kampagnen gegen | |
gleichgeschlechtliche Ehen, interessiert sich aber nicht nur für nicht | |
totzukriegende Ressentiments, sondern vor allem für das eigene politische | |
Selbstverständnis. Es ist kein Zufall, dass "Milk" während des | |
Obama-Wahlkampfes gedreht wurde und unmittelbar nach dessen Erfolg in die | |
Kinos kam. Seitdem lässt Van Sant, auch bei seinem Besuch zur Berlinale, | |
keine Gelegenheit aus, seinen Helden Harvey Milk mit Obama zu vergleichen. | |
Im Film erklärt Milk, noch während der ganz frühen Phase schwuler | |
Politisierung, die Analogie zum afroamerikanischen Widerstand. So wie | |
schwarze AktivistInnen auf den unteren Levels politischer Repräsentation | |
nach und nach immer mehr wichtige Ämter erobert hätten, so müssten es auch | |
die Schwulen und Lesben machen. | |
Die Minderheit, die in dieser Idee als politisches Subjekt geboren wurde | |
und seitdem ein nicht unkompliziertes, aber auch nicht gerade erfolgloses | |
Leben geführt hat, ist deswegen so stark, weil sie einerseits auf engen | |
Beziehungen unter ihren Leuten basiert: die sind schnell mobilisierbar und | |
vertretbar, das Verhältnis des Amtsinhabers Milk zu seiner Community ist | |
eines großer persönlicher und räumlicher Nähe. Doch was Milk andererseits | |
vom bloßen Anführer unterscheidet, ist, dass er das zweite Element | |
erfolgreicher Minderheitenpolitik beherrscht: das Eingehen von Bündnissen, | |
vorzugsweise mit anderen Minderheiten. So hilft er der | |
Bierkutscher-Gewerkschaft bei dem Boykott einer unfairen Biermarke durch | |
die schwule Community, dafür werden offen schwule Bierkutscher eingestellt. | |
Die Geschäftsleute des Castro-Viertels in San Francisco werden entsprechend | |
einbezogen und bald ist das Ziel erreicht: "Ein Homosexueller mit Macht!", | |
so Milk im Moment des Triumphes. | |
Genau diese Minderheitenpolitik ist nur möglich, weil Milk | |
Minderheitenrechte immer wieder an universelle Rechte bindet. Alle schwulen | |
und lesbischen Forderungen sind in ihrer Partikularität deswegen politisch | |
relevant, weil sie Fälle von universellen Rechten sind. Diese Universalität | |
ist der Resonanzraum von Milks charismatischen Auftritten. Für Van Sant ist | |
genau dieser Gedanke in der Obama-Kampagne und ihrem Erfolg wiederbelebt | |
worden. Zugleich bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Ausgerechnet in | |
Kalifornien ist durch ein am Tag der Präsidentschaftswahl abgehaltenes | |
Referendum das Recht homosexueller Paare zu heiraten, wieder einmal gekippt | |
worden. Und auch das wäre vielleicht nur ein kleiner Rückschlag auf einem | |
im Grunde unaufhaltsamen Weg zur vollständigen Gleichstellung, wenn es | |
nicht gerade die afroamerikanischen Stimmen gewesen wären, die das Zünglein | |
an der Waage bei einem knappen Ausgang gewesen waren, indem sie mit | |
Christenspinnern und Republikanern aus Orange County mehrheitlich gegen | |
dieses Recht gestimmt hatten. Auch Obama war immer auffällig still und | |
neutral gewesen, wenn es um schwule und lesbische Ehen gegangen ist. | |
Nun ist es eine kitschige Projektion, ausgerechnet von Benachteiligten | |
besonders weises politisches Verhalten zu erwarten. Dass Muslime in | |
Deutschland allen möglichen Vorurteilen und (oft rassistischen) | |
Benachteiligungen begegnen, macht sie nicht von Haus aus zu besseren | |
Bündnispartnern der Schwulen und Lesben. Im Gegenteil: Ihre Abwehr kreiert | |
einen Neotraditionalismus, der Homophobie einschließt. Doch "Milk" vertritt | |
die Idee, dass an der Mobilisierung des Gemeinsamen von so | |
unterschiedlichen Minderheiten wie überwiegend aus der Mittelschicht | |
stammenden Schwulen und Lesben und überwiegend armen, proletarischen | |
MigrantInnen oder Sklavennachfahren kein Weg vorbei führt - und möglich | |
ist. Das passiert nur nicht durch marxistische Zwangsläufigkeiten, sondern | |
muss inszeniert und produziert werden. In Obama sieht Van Sant einen | |
Politiker, der von der Universalität partikular verweigerter Rechte aus, | |
diese neu formuliert und einfordert. | |
Van Sant hat die Geschichte des Harvey Milk geradlinig und ohne den | |
kinematographischen Ehrgeiz erzählt, der seine Filme in den letzten Jahren | |
ausgezeichnet hat. Das ebenso populäre wie langweilige Biopic-Format wird | |
nur an einer, allerdings entscheidenden Stelle gebrochen. Es gibt hier | |
keine Kindheit, die individualpsychologisch Späteres erklären soll. Harvey | |
Milk ist bereits 40, als er den Entschluss fasst, sein bisher verstecktes | |
schwules Leben zu ändern und nach San Francisco zu gehen. Damit beginnt der | |
Film und er endet sieben Jahre später mit Milks Tod. | |
Kurz davor denkt der noch einmal über sein Anliegen und sein Auftreten nach | |
- nach einem Besuch von Puccinis "Tosca". Angedeutet wird im folgenden | |
Monolog auch eine spezifisch schwule Artikulationsfähigkeit, die sich eben | |
nicht nur durch das politische Erheben der Stimme auszeichnet, sondern | |
darüber hinaus von der ästhetischen Erfahrung mit der Schönheit eines | |
gebrochenen, öffentlichen Sprechens, Auftretens geführt sein will, die Milk | |
mit genau dieser Oper verbindet. Die Stimmen, die das freie, öffentliche | |
Sprechen hörbar macht, sind nur hörbar, wenn sie verschieden sind, wenn sie | |
nicht nur das Anliegen, sondern auch den Körper, der sie hervorbringt, mit | |
auf die Bühne bringen. | |
Die Dialektik der Universalität der Demokratie besteht eben darin, dass | |
Gleichheit (der Rechte) die einheitliche Form von etwas ist, dessen Inhalt | |
durch konkrete Verschiedenheit zum Ausdruck gebracht werden muss. In der | |
"Tosca" spielt eine Sängerin eine Sängerin. Der so überaus authentisch | |
wirkende Harvey Milk, der sich zu Beginn der Filmhandlung auch ex nihilo | |
selbst erfindet, sympathisiert mit ihr in diesem Subtext des Filmes, weil | |
er als engagierter, Interessen vertretender Community-Politiker eine | |
öffentliche Figur als sein Sprachrohr erfunden hat, einen Politik-Star. Ein | |
Sänger als Sänger. | |
Mit Sean Penn hat Van Sant einen die halbe Miete einfahrenden Charismatiker | |
und Energetiker gecastet, der diese Spannung aus authentischen Anliegen und | |
einer Figur, die sich selbst und eine dazugehörige Öffentlichkeit aus dem | |
Hut zaubert, auf hoher Voltzahl auskostet. Man kann sich auf die | |
demokratische Interessensallianz der Minderheiten so wenig verlassen wie | |
überhaupt auf die Demokratiefähigkeit der Demokratieteilnehmer. Die | |
Geschichte der Minderheit als Modell eines linken, demokratischen | |
Politiksubjekts will immer wieder neu inszeniert und erfunden werden. | |
Erfindung meint nicht postmoderne Willkür, sondern genau die Mischung aus | |
irren Wünschen und Spaß an der Pragmatik, die heutzutage im Trotteljargon | |
"Vision" heißt. Es gibt diese funkelnde, charismatische Überzeugungskraft | |
in den Augen von Sean Penn nur, weil Harvey Milk etwas von Bühnen und ihren | |
Gesetzen verstand: Er spielt das auf der Rathaustreppe einem Mitstreiter | |
überzeugend vor. Gerade das völlig berechtigte, wahrhaftige Anliegen muss | |
besonders gut gespielt werden. | |
18 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Diedrich Diederichsen | |
## TAGS | |
Kolumne Unisex | |
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