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# taz.de -- Freiraum am Friedhof
> Baudenkmal Das ehemalige Krematorium Wedding an der Gerichtstraße erwacht
> als Kulturquartier zu neuem Leben. Auch wenn kein Grusel-Image kultiviert
> werden soll, ist doch der Tod auf sanfte Weise präsent
Bild: Sommerfest im Silent Green – überhaupt nicht gruselig
von Beate Scheder
Im Film „… Jahr 2022 … die überleben wollen“, einem
Science-Fiction-Klassiker aus dem Jahr 1973 mit Charleton Heston in der
Hauptrolle, kämpfen die Bewohner eines überbevölkerten New York ums
Überleben. Gemüse, Obst und Fleisch sind als rares Gut den Superreichen
vorbehalten. Alle Übrigen stillen ihren Hunger mit dem Lebensmittelersatz
namens Soylent Green, grünen Keksen, die, wie sich im Laufe der Dystopie
herausstellt, aus Menschenfleisch hergestellt werden.
Ein wenig makaber ist es schon, dass der Name, den die Betreiber dem
Kulturquartier im ehemaligen Krematorium im Wedding gegeben haben,
ausgerechnet an diesen Film erinnert. Immerhin sind ein paar Buchstaben
ausgetauscht: Silent Green, statt Soylent Green, das klingt gleich sehr
viel eleganter und es passt zum Umgang von Jörg Heitmann und Bettina
Ellerkamp mit dem Ort. Ein Grusel-Image kultivieren die beiden keineswegs,
hell und friedlich wirkt der schlösschenartige Bau, der Tod ist präsent,
aber auf sanfte Art und Weise. In den Kolumbarien, wo früher Urnen standen,
sind jetzt Bücher aufgereiht; der Leichenaufzug ist zum Stühletransport
umfunktioniert; im Kuppelsaal erinnern symbolische Einlassungen im
Terrazzoboden, den Heitmann und Ellerkamp freilegen ließen, an
Bestattungsriten. Details und architektonische Besonderheiten, die von der
Geschichte des Gebäudes erzählen, behielten sie bei, restaurierten sie
behutsam oder führten sie einer neuen Nutzung zu. Zum Beispiel der
Schornstein: 52 Meter hoch, aus Backsteinen gebaut. Kurz hätten sie darüber
nachgedacht, ihn abzureißen, erzählt Heitmann. Das Denkmalschutzamt hätte
nichts dagegen gehabt. Entschieden hätten sie sich dann doch dazu, ihn
stehen zu lassen. „Hier ist nichts Böses passiert“, sagt Heitmann und: „…
war hier nun mal so.“ Eine internationale Ausschreibung für eine
Lichtinstallation ist geplant.
1911, als das Krematorium errichtet wurde, war es das erste Berlins, das
dritte Preußens, Symbol eines Wandels im Umgang mit dem Tod und
Bestattungen, vorangetrieben durch die Freidenkerbewegung. Lange war es das
größte Berlins, doch irgendwann stimmte die Auslastung nicht mehr. 2002
wurde es geschlossen, stand dann zehn Jahre leer, bis Heitmann und
Ellerkamp kamen und die Immobilie kauften. Eher ungeplant. Auf der Suche
waren die beiden nicht, aber die Gelegenheit war günstig. In den 1990er
Jahren hatten Heitmann und Ellerkamp Häuser besetzt, genauer gesagt das
alte WMF-Haus, und dort den interdisziplinären Kunst- und Kulturverein
Botschaft e. V. gegründet. Später hatten sie als dogfilm Dokumentarfilme
produziert. Nach ein paar Jahren als Projektentwickler im Immobilienbereich
wollte Heitmann eigentlich wieder zum Film, bis 2011 das Krematorium
dazwischenkam und sich unerwartet doch einmal wieder ein Freiraum öffnete,
„eine Oase mitten in der Stadt“ nennt es Ellerkamp. Vom Bezirk war der
Verkauf des 8000 Quadratmeter großen Areals an dessen kulturelle Nutzung
gebunden. Heitmann und Ellerkamp griffen zu. „Hier war es plötzlich
möglich, diesen Ort zu kaufen, dauerhaft für uns zu sichern und wieder
etwas aufzubauen, was in unserem Sinne ein Traum ist“, sagt sie, eine
Utopie fast schon, die sie zu verwirklichen versuchen.
Und das ohne staatliche Förderung. Die aufwendige Sanierung finanzierten
sie, indem sie Teile weiterverkauften, wie die Westhalle an den Galeristen
Patrick Ebensperger, die Friedhofsvilla an Privatleute oder ein Grundstück
an einen Bauträger, der dort 15 Wohnungen baut. Bespielt wurde das Gebäude
erstmals im Jahr 2013 durch das Forum Expanded zur Berlinale, dem Jahr, in
dem mit der Sanierung begonnen wurde. Ebenfalls 2013 zog Patrick
Ebensperger mit seiner Galerie auf das Gelände. Für das Silent Green selbst
gab es nie eine offizielle Einweihung. Nach und nach zogen die Mieter ein –
Leerstand gibt es längst keinen mehr. Mit dabei sind unter anderem das
Music Board Berlin und das Label K7!, der Kunstraum Savvy Contemporary, das
Harun-Farocki-Institut und das Arsenal Filmarchiv, das in diesen Tagen
seine Eröffnung am neuen Ort feiert. Es ist eine stimmige Mischung aus
Film, Musik und Kunst, die für ein anspruchsvolles nichtkommerzielles
Programm sorgen soll. Anlocken will das Silent Green aber nicht nur ein
Kulturpublikum. Ebenso wichtig sei ihnen das Ankommen im Kiez, erklären
Heitmann und Ellerkamp. Immerhin befinden sie sich mitten im Weddinger
Wohngebiet. Auch hier scheint das Konzept aufzugehen: Der Mittagstisch in
der hauseigenen Gastronomie ist gut besucht, das Quartiersmanagement nutzt
die Räumlichkeiten regelmäßig.
Auch sonst füllt sich das Programm immer mehr. Es finden Konzerte statt,
Ausstellungen, Lesungen, Performances, Workshops, Tagungen,
Diskussionsrunden. Realisiert ist im Silent Green indes noch längst nicht
alles. Heitmann und Ellerkamp wollen die Geschichte des Krematoriums
aufarbeiten. In der 1.500 Quadratmeter großen Halle unter der Erde, um die
das Krematorium 1998 bis 2000, also nur zwei Jahre vor der Schließung,
erweitert wurde, soll ein Zentrum für Bewegtbild entstehen, dazu auf der
Wiese drei Ateliers für künstlerische Residency-Programme. Zur Berlinale
2016 fand unten ein Teil der Forum-Expanded-Reihe statt, mehr soll folgen.
Wenn die Baugenehmigung Mitte des Jahres kommt, könnte in drei Jahren alles
fertig sein.
7 Apr 2016
## AUTOREN
Beate Scheder
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