| # taz.de -- Film „Russendisko“: Einladende alte Sofas | |
| > Mit seiner Romanvorlage hat der deutsche Spielfilm „Russendisko“ wenig zu | |
| > tun. Er romantisiert das Ostberlin der Brachflächen, Wehmut stellt sich | |
| > ein. | |
| Bild: Zugereiste Russen, mutmaßlich auf altem Sofa sitzend. | |
| Es gibt diese Tage. Man wacht auf und weiß Bescheid. Wenn es ginge, müsste | |
| man im Bett bleiben, denn an Tagen wie diesen hängen die Wolken ohne jeden | |
| Grund tiefer. Wer solch einen Tag erwischt hat, um sich abends einen | |
| unterhaltsamen Film zur Ablenkung zu verordnen – einen leichten Film wie | |
| „Russendisko“ zum Beispiel – den kann es wider Erwarten ganz schön beute… | |
| Dies vorab: „Russendisko“ ist kein besonders toller Film. Er hat sich die | |
| Zutaten von Wladimir Kaminers gleichnamigem Bestseller geklaut und daraus | |
| einen ziemlich schlichten und zuckersüßen Kuchen gebacken, der mit dem | |
| Original recht wenig zu tun hat. | |
| Erzählt wird vor allem von der großen Männerfreundschaft zwischen dem | |
| Ich-Erzähler Wladimir und seinen Kumpels Mischa und Andrej, die Anfang der | |
| Neunziger aus Moskau kommen, um im wilden Ostberlin ihr Glück zu finden und | |
| schließlich die berühmte Tanzveranstaltung „Russendisko“ im Club Kaffee | |
| Burger zu veranstalten, die bekanntlich bis heute existiert. | |
| ## Ein Film, der niemandem wehtut | |
| Wie zu erwarten darf auch eine Liebesromanze nicht fehlen: Die zwischen | |
| Wladimir und Olga nämlich, die sachte angelehnt sein dürfte an die zwischen | |
| Wladimir und Olga Kaminer, die im wahren Leben die Russendisko gemeinsam | |
| erfanden und bis heute ein Paar sind. | |
| „Russendisko“ ist also auf den Punkt gebracht ein Film für Teenies, aber | |
| auch für die ganze Familie, der niemandem wehtut. Und doch kann er einen | |
| kalt erwischen. Dabei sind es oft die wunderbaren Kulissen, die schöner | |
| gestaltet sind, als Berlin es je war, und einem plötzlich ins Bewusstsein | |
| rufen, wie sehr sich Berlin in den letzten 20 Jahren verändert hat. Wehmut | |
| stellt sich ein. | |
| ## Wochen vertrinken | |
| Man erinnert ein Ostberlin der Brachflächen und Brandmauern – der | |
| Freiräume, der illegalen Clubs und der alten Sofas, die überall zwischen | |
| den Ruinen standen und auf denen man Tage, ja Wochen vertrinken und von den | |
| unbegrenzten Möglichkeiten träumen konnte, die man schon wegen der Sofas | |
| gar nicht hätte angehen können. | |
| Man erinnert aber dank „Russendisko“ vor allem auch eine Ankunftsstadt, in | |
| der es auch wegen des allgemeinen Durcheinanders scheinbar viel egaler war | |
| als heute, woher man kam. Wladimir Kaminer hat sie eingehend beschrieben: | |
| Die Frau aus Weißrussland beispielsweise, die einen Freier aus Spandau | |
| heiratet, weil das Bordell, in dem sie arbeitet, Bankrott macht. | |
| Oder den Griechen, der in der Pizzeria ausschließlich Italienisch spricht. | |
| Es sind dies Einwanderergeschichten, die noch einmal vor Augen führen, dass | |
| nicht alle, die damals nach Berlin kamen, heimatlos geblieben sind. | |
| ## Eldorado Berlin | |
| Dass Berlin vor 20 Jahren aber auch ein Eldorado war, das es heute nicht | |
| mehr ist. Und dass sich seither etwas verändert hat, so dass Berlin von | |
| Soziologen selbst im Vergleich mit indischen, brasilianischen und | |
| chinesischen Metropolen als keine gute Ankunftsstadt beschrieben wird, in | |
| der Neuankömmlinge das Gefühl entwickeln können, sie seien willkommen und | |
| könnten sich auf sinnvolle Weise fest einrichten. | |
| All das kann man fühlen, wenn man „Russendisko“ sieht, auch wenn der Film | |
| nicht direkt davon erzählt, auch wenn er mit aller Macht nichts weiter sein | |
| will als ein junger deutscher Film mit fetzigen Dialogen und Schnitten, ein | |
| Film im Stil von „Good Bbye, Lenin!“ etwa – auch wenn die ewig gleichen | |
| jungen deutschen Darsteller wie Matthias Schweighöfer, der Wladimir Kaminer | |
| spielt, wahrscheinlich keinen Gedanken daran verschwendet haben, dass | |
| Berlin einmal einladender gewesen sein mag als heute. | |
| Und weil man es fühlt – zumindest wenn man es weiß und wenn man einen | |
| dieser Tage erwischt hat, an denen alles schwerer scheint als sonst –, ist | |
| „Russendisko“ auch kein richtig schlechter Film. | |
| "Russendisko". Regie: Oliver Ziegenbalg. Mit Matthias Schweighöfer, Peri | |
| Baumeister, Susanne Bormann u. a. Deutschland 2012, 100 Min. | |
| 29 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wladimir Kaminer über deutsche Weihnachten: "Alle verstecken sich hinter Gäns… | |
| Wladimir Kaminer verlässt Weihnachten seine Familie und geht tanzen. Viele | |
| Deutschen hingegen verstecken sich an Heiligabend hinter fetten | |
| Gänsebraten, sagt er. "Das ist doch nicht lebendig!" | |
| Wladimir Kaminer über seinen "Entdecker": Sammler, Raucher, Schreiber | |
| Zum 60. Geburtstag meines guten Freundes, des tazlers Helmut Höge - Experte | |
| für Wölfe, Glühbirnen und Bakterien und formidabler Bordell-Rechercheur. |