# taz.de -- Film-Regisseurin über „Neue Vahr Süd“: „Es war ein freies L… | |
> Hermine Huntgeburth hat Sven Regeners Roman „Neue Vahr Süd“ verfilmt. | |
> Dabei ist ein Film über Bremen im Jahr 1980 entstanden. | |
Bild: Norddeutscher Habitus: Frederick Lau als Frank Lehmann in „Neue Vahr S�… | |
Frau Huntgeburth, wo waren Sie Anfang der 1980er Jahre? | |
Hermine Huntgeburth: Da habe ich in Hamburg an der Hochschule für bildende | |
Künste Film studiert. Also zu der Zeit, in der „Neue Vahr Süd“ spielt, war | |
ich ungefähr so alt wie die Leute in dem Roman. | |
„Neue Vahr Süd“ spielt in großen Teilen im linken Studenten-Milieu im | |
Bremer „Viertel“ des Jahres 1980. Haben Sie auch so eine politische | |
Sozialisation erlebt? | |
Mehr oder weniger. Ich komme aus Paderborn und bin mit diesem Milieu erst | |
in Hamburg in Kontakt gekommen. | |
Wie würden Sie das Lebensgefühl der jungen Leute Anfang der 1980er | |
beschreiben? | |
Es war ein freies Lebensgefühl. Das Studium war im Gegensatz zu heute nicht | |
so verschult. Man ist von zu Hause weggezogen und hat seine ersten | |
Erfahrungen gemacht mit Liebe und politischem Kampf. Es ist eine Zeit der | |
Orientierung. | |
War die Zeit damals politischer, als sie heute ist? | |
Auf jeden Fall. Die 68er waren vorbei und das Neue fing gerade an: Die | |
Frauenbewegung, der Brokdorf-Protest, die Grünen, die 1980 gegründet | |
wurden. | |
Was hat Ihnen an Sven Regeners Roman „Neue Vahr Süd“ gefallen? | |
Diese ständige Selbstreflexion des Protagonisten Frank Lehmann. Diese | |
ständige Frage: Wo geht das Leben hin? Frank Lehmann sitzt ja zwischen den | |
Stühlen. Er ist beim Bund und damit bei seinen Studenten-Freunden | |
eigentlich völlig „out“. Ich kann mir diesen Zwiespalt sehr gut vorstellen. | |
Frank Lehmann hat Orientierungsschwierigkeiten. | |
Ja, weil er ein sehr unpolitischer Mensch ist. Er will irgendwo | |
dazugehören, aber er geht wie so ein Fremdkörper durch seine Welt, die | |
einerseits aus der Bundeswehr, andererseits aus der Studenten-WG besteht. | |
Er muss sich eigentlich positionieren, kann es aber nicht. Und kommt mit | |
Leuten zusammen, die auch alle nicht so genau wissen, wos lang geht. | |
Was wäre Frank Lehmann für ein Typ, wenn er heute als 20-Jähriger leben | |
würde? | |
Auch einer, der nicht weiß, in welche Richtung es weitergeht. Wenn die | |
jungen Leute heute mit der Schule fertig sind, wissen sie ja auch nicht, | |
was sie machen sollen. Das kann man auf heute übertragen. | |
Ist es heuten nicht noch schwieriger geworden, sich zu orientieren? Die | |
Präsenz der Medien und der möglichen Lebensentwürfe, von denen Sie | |
berichten, hat noch mal deutlich angezogen. | |
Es gab in jeder Zeit viele Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten. Seinen | |
Weg zu finden, ist immer schwierig. Damals gab es vielleicht noch mehr | |
Eltern, die strenger waren und gegen die man besser rebellieren konnte. Es | |
war damals einfacher als heute, sich von der älteren Generation | |
abzugrenzen. | |
Wie haben Sie sich auf den Dreh vorbereitet? | |
Für mich war spannend, diese Zeit wieder auferstehen zu lassen. Da habe ich | |
recherchiert, mich mit der Musik beschäftigt, mit den Klamotten. Natürlich | |
ist es auch wichtig, ein junges Lebensgefühl lebendig zu machen. Das fand | |
ich mit das Schwierigste. Aber mit den jungen Schauspielern ist das ganz | |
gut gelungen. Die sind ja alle in dem Alter. | |
Warum haben Sie sich für Frederick Lau als Darsteller von Frank Lehmann | |
entschieden? | |
Weil er in seiner Ausdrucksweise und seiner emotionalen Intelligenz der | |
Vorstellung des Frank Lehmann sehr nahe kam. Eine schöne Geschichte war, | |
als nach der Premiere des Films in Bremen die Mutter von Sven Regener auf | |
mich zukam und sagte: „So war er damals wirklich.“ | |
Haben Sie mit dem Buchautor Sven Regener bei diesem Projekt | |
zusammengearbeitet? | |
Nein, gar nicht. Ich bin dazugekommen, als es schon eine erste Fassung vom | |
Drehbuch gab. Sven Regener hat nicht mitgearbeitet, er hat die Filmrechte | |
abgegeben und gesagt: „Macht ihr das mal.“ | |
Wie ging es Ihnen mit der Welt der Bundeswehr? | |
Davon hatte ich gar keine Ahnung. Null. Wir sind da sehr unterstützt worden | |
von der Bundeswehr. Wir hatten einen Hauptmann, der uns begleitet hat. Die | |
hatten viel Humor und viel Verständnis. | |
War es schwierig, die Bundeswehr von dem Film zu überzeugen? | |
Nein, die waren erstaunlich kooperativ. Es lag ihnen natürlich etwas daran, | |
dass wir die Dinge richtig machen. Mir lag auch daran, dass das richtig | |
ist. Das mit der Brüllerei, das war damals auch so. | |
Inwiefern ist „Neue Vahr Süd“ eine bremische Geschichte? | |
Diese Vereidigung der Rekruten im Weser-Stadion im Mai 1980 spielt als | |
historisches Ereignis natürlich eine große Rolle. Und in Bremen ist „Neue | |
Vahr Süd“ natürlich ein Kultroman. Die Leute lieben diesen Roman. Das hat | |
uns das Drehen auch leicht gemacht. Weil die ganze Stadt mitgemacht hat und | |
wir die unmöglichsten Sachen machen konnten: Wir mussten vier Tage das | |
Ostertor sperren, und das ist ja nun eine Hauptverkehrsstraße. | |
Hätte die Geschichte auch in einer anderen Stadt spielen können? | |
Ich denke ja. Trotzdem hat sie etwas sehr Norddeutsches durch die Lakonie | |
von Frank Lehmann. | |
Lakonie? | |
Dieses Unaufgeregte. Der Habitus von Frank Lehmann ist schon norddeutsch. | |
Auch ein wenig langsam sein ist sehr norddeutsch. | |
Was kann man von Frank Lehmann lernen? | |
Eile mit Weile, vielleicht. Er ist in seiner Unentschlossenheit und | |
Verwirrtheit jemand, der keine vorschnellen Entscheidungen trifft. Es | |
braucht halt lange, aber wenns dann da ist, dann macht er es eben auch. | |
Eigentlich ist er jemand, der auf sein Schicksal vertraut. Und auf seine | |
eigene Persönlichkeit. | |
„Neue Vahr Süd“ läuft am 1. Dezember um 20.15 Uhr in der ARD | |
28 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
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Linke Szene | |
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