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# taz.de -- Festival "Tanz Bremen": Choreografien am Krückstock
> Beim Festival "Tanz Bremen" wird die Stadt zu einem Experimentierfeld für
> aktuelle choreografische Ansätze - Scheitern inbegriffen. Noch bis
> Samstag mischt sich internationale Prominenz mit lokalen Akteuren.
Bild: Da fliegen die Federn: "Schwanensee"-Artiges à la Island.
Die Bühne ist mit Krücken übersät. Eine kleine Frau in Jeans und T-Shirt
hinkt herein, sie bringt fünf weitere Gehhilfen mit: Wie ein Stelzentier
bewegt sich Claire Cunningham über den Boden der Bremer Schwankhalle. Es
ist das erste Mal in der gut 20-jährigen Geschichte von "Tanz Bremen", dass
"behinderte" Protagonisten Teil des Programms sind. Das noch bis Samstag
dauernde Festival will sich "dem Körper in unserer Zeit" widmen - ein etwas
unspezifischer Leitfaden, der durch Performances wie der von Cunningham um
eindrucksvolle Facetten bereichert wird.
Cunningham hatte als Neunjährige einen schweren Radunfall, lange ruhte ihr
Körper in Gips. Während die Performerin ihre Geschichte erzählt, bewegt sie
sich leichtkrückig zwischen den über den Boden verteilten Gehhilfen, zu
denen sie offenbar ein mehr als nur technisches Verhältnis hat. Langsam
streichen ihre Hände über einen grauen Griff: "Die hier hab ich bei Ebay
gekauft", erzählt sie mit ihrem stark schottischen Akzent, in dem immer
auch trockene Selbstironie mitschwingt. "Allerdings ist sie zwei Zentimeter
zu kurz."
Sie selbst ist, seit sie zu tanzen begann, um vier Zentimeter gewachsen.
Das war 2005. Zuvor war Cunningham als klassische Sängerin erfolgreich,
doch die ärztlichen Prognosen klangen pessimistisch. "Sie sagten, besser
wird es mit meinem Körper nicht mehr", erzählt Cunningham, bastelt aus den
mikadogleich verstreuten Krücken ein Mobile - und grinst plötzlich
zufrieden: "Jetzt habe ich härtere Knochen als je zuvor und trage die Jeans
drei Größen kleiner!" Es folgt ein fröhlicher Gehstock-Step zu "Singin in
the Rain".
Festivals vereinen Gegensätze. Was könnte Cunninghams nüchtern-naive
Bewegungsfreude, ihren biografischen Ansatz deutlicher konterkarieren als
der prätentiöse Auftritt des "Salon Sauvage" am Abend zuvor? Die
serbokroatische Schweizerin Sanja Ristic, bekannt als Rockmoderatorin bei
"Viva", hat "Songs for a female sucide bomber" zu einer punkigen Musik- und
Bewegungs-Performance verarbeitet. Die Textgrundlage, "Bombenfrau" von
Ivana Sajko, ist gut, das Thema aktuell: Zunehmend, oft unter Zwang, werden
Frauen als Selbstmordattentäterinnen rekrutiert. Bloß: Man glaubt den
Performern kein Wort. Ihr Ritt auf der "Bombe", die an einer dicken Kette
baumelt, ihre zur Schau gestellte Empörung, das Strapazieren von
Stimmbändern und Instrumenten folgt allzu offensichtlich dem selben Muster
wie das Zelebrieren der eigenen Sexyness und geht über eine
selbstgefällig-provokative Punkattitude nicht hinaus. Rein tänzerisch ist
dabei solides Mittelmaß zu sehen.
Positiv bilanziert: "Tanz Bremen", einst als No-Budget-Festival für die
heimische Szene entstanden, lädt nicht nur internationale Stars wie Alain
Platel und seine Kompagnie "les ballets C de la B" ein, sondern riskiert
beim Ausloten der Extreme auch Pannen. Mit einem Etat von 290.000 Euro
steht das zehntägige Festival, nach früheren finanziellen Turbulenzen,
wieder auf stabilen Beinen. Vor zehn Jahren stand in etwa der gleiche
Betrag zur Verfügung, allerdings in D-Mark. Dass sich dass Programm
gleichwohl nicht verdoppelt hat, führt Honne Dohrmann, einer der beiden
Festivalleiter, auf stark gestiegene Kosten zurück: Sowohl Honorare als
auch Mieten und Serviceleistungen hätten sich verteuert. Unter anderem,
weil internationale Companies nur noch selten staatliche Unterstützung für
ihre Auslandsgastspiele erhielten.
Gewachsen sind immerhin das Familienprogramm und die Beiträge der Bremer
Szene - quantitativ und qualitativ. Das zeigen sowohl die
Bauzaun-Performances von Markus Hoft, der diverse Plätze der Stadt betanzt,
als auch "Double Lives", der Beitrag von "Nordwest": Mit diesem Namen
labelt sich die "langfristig angelegte Kooperation der beiden
selbstständigen Tanzsparten des Oldenburgischen Staatstheaters und des
Theaters Bremen". Ein oft wiederholter Satz, der lokale Befindlichkeiten
und latente Fusionierungs-Ängste berücksichtigt.
"Double lives" ist ein wirklich starkes Stück, das unter der Choreografie
des Finnen Tero Saarinen entstanden ist. Der Dialog zwischen Schatten und
dreidimensionalen Figuren lebt von einer ernst gemeinten Archaik, in der
die 20 Bremer und Oldenburger TänzerInnen in sehr bemerkenswerter Weise
"Masse" sind: Sie agieren unter anderem mit Gesten eines Ausdruckstanzes,
die ägyptischen Relief-Figuren entlehnt sein könnten - und dennoch aktuelle
Lebensgefühle wie Gier und Gehetztheit vermitteln.
Es gibt in Deutschland durchaus einige Tanzkompagnien, in denen die
Ressourcen verschiedener Häuser temporär gebündelt werden - darunter solche
wie die Heidelberg-Freiburger, die logistisch einen sehr viel
anstrengenderen Spagat bewältigen müssen als Bremen-Oldenburg. Was
"Nordwest" neben der Trägerschaft durch verschiedene Theater jedoch von
anderen Modellen unterscheidet, ist die konsequente Öffnung der Arbeit für
wechselnde Choreografen. Dieser Grundsatz hat jetzt eine verbindliche
Vernetzung - das "repnet" - mit einigen skandinavischen Companies
ermöglicht, die sich wiederum positiv bei "Tanz Bremen" bemerkbar macht:
Mit der "Iceland Dance Company", zu der ein enger Draht besteht, ist ein
eher randständiger Player zum Star des bisherigen Festivals geworden.
Die Isländer haben auf Grund ihrer Insellage spezielle Tugenden entwickelt:
Als einzige Company auf weiter Flur muss man extrem vielseitig sein,
entsprechend extrem ist der Bogen zwischen gnadenlosem Trash und
"Schwanensee"-artigen Formationstanzfeuerwerken, den die Company hinlegt.
Zudem scheint sich in kalten Gegenden ein Sinn für deftigen Humor zu
entwickeln: Die Schlacht am kalten Buffet kann in der Totalität des
Körpereinsatzes sowie der Präzision der Ketchup-Kaskaden als
tänzerisch-kulinarisches Meister- und Gesamtkunstkunstwerk bezeichnet
werden.
Bis Samstag wird nachgelegt, unter anderem mit einer Flipper-Performance
der jüdisch-arabischen Choreografen Guy Weizman und Roni Haver.
14 Apr 2010
## AUTOREN
Henning Bleyl
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