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# taz.de -- Elektronischer Unterwasserkosmos: Mutantenfunk aus der See
> Das Techno-Projekt Drexciya wurde in den 90er Jahren zur Legende. Nun
> bringt das Label Clone eine Werkschau der scheuen maritimen Künstler
> heraus.
Bild: Für Drexciya ein Ort narrativer Mystik: die Tiefsee.
BERLIN taz | Sie waren die großen Geschichtenerzähler des Techno. Das
Detroiter Projekt Drexciya schaffte in den Neunzigern den Spagat, eine
eigene Klangsprache mit einer selbst geschaffenen Mythologie zu verbinden
und zugleich als Künstler anonym zu bleiben: Von ihrer Debüt-EP aus dem
Jahr 1992 bis zum Tod von James M. Stinson 2002 existierten Drexciya nur
als Legende.
Außer Schallplatten gelangte so gut wie keine Information von ihnen an die
Öffentlichkeit. Zehn Jahre nach ihrer Auflösung macht das niederländische
Label Clone mit der Werkschau "Journey of the Deep Sea Dweller 1" einige
Stücke der lange vergriffenen EPs aus ihrer Frühphase wieder zugänglich.
Drexciya produzierten nicht einfach Tracks für den Club, sondern lieferten
als narrativen Rahmen einen kompletten Unterwasserkosmos dazu, bevölkert
von seltsamen Amphibienwesen, den Drexciyanern. Diese Hybridgeschöpfe
entstanden der Sage nach während der Schiffstransporte afrikanischer
Sklaven nach Amerika, als tausende von schwangeren Frauen unterwegs über
Bord geworfen wurden.
## Subaquatische Guerillas
Ihre im Meer geborenen Kinder hatten in der Gebärmutter die Fähigkeit
entwickelt, unter Wasser zu leben. Sie wuchsen zu Kämpfern heran, die als
subaquatische Guerillas ihre eigene Parallelwelt schufen, von deren
militantem Charakter die drexciyanischen Tondokumente eindringlich Zeugnis
ablegen.
Mit der afrofuturistischen Utopie eines "Black Atlantic", auf den ihre
Alben in stets neuen Varianten anspielten, wurden Drexciya zu den
Lieblingen aller Techno-Theoretiker. Doch es ist in erster Linie ihre Musik
selbst, die sie zur Ausnahmeerscheinung macht.
Als Vorbilder des Duos, zu dem neben James Stinson mutmaßlich der Produzent
Gerald Donald gehörte, kann man Pioniere des Detroit Techno wie Juan Atkins
oder Derrick May deutlich heraushören: So programmierten Drexciya ihre
Geräte mit starren Rhythmen, aus denen sich hier und da ein rudimentärer
Roboterfunk herauslöste. Hinzu kamen schroffe Synthesizerklänge, die ein
atonales Chaos zu entfachen schienen.
## Offensiv abweisende Fremdartigkeit
In der Klangwelt von Drexciya wird diese Maschinengewalt mit verspielten,
fast zarten Melodien kombiniert. Bei aller offensiv abweisenden
Fremdartigkeit der Musik kommt so eine emotionale Seite zum Vorschein, für
die der Schriftsteller Thomas Meinecke in seinem Roman "Hellblau" einen
überraschenden Vergleich wählte: "Für mich sind Drexciyas Einspielungen
ebenso tief beseelt wie die von King Olivers Creole Jazz Band" - ein
Hauptvertreter des New Orleans Jazz zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Mit der Auswahl auf "Journey of the Deep Sea Dweller 1" wird Drexciyas
gesamtes musikalisches Spektrum geboten, von der peitschenden Techno-Nummer
"Seaquake" über den abgehackt tänzelnden "Lardossen Funk" bis hin zur
behutsam melodischen "Unknown Journey", dem einzigen zuvor
unveröffentlichten Titel.
Besonders die manifeste Freude daran, scheinbar gegensätzliche musikalische
Gesten zu verbinden, gepaart mit ihrem feinen Gespür für Groove, lassen
Drexciyas elektronische Seeungeheuer auch 20 Jahre nach der
Erstveröffentlichung frisch, mitunter auch verstörend klingen.
Während Techno sich derzeit kaum jenseits bloßer Tanzflächenfunktionalität
bemerkbar macht, erinnern Drexciya mit ihrem künstlerisch-politischen
Entwurf daran, dass das Genre in einer afroamerikanischen Musiktradition
von Soul und Funk steht, für die Hedonismus und Haltung keine Gegensätze
darstellen müssen. Wobei titanische Musik wie die von Drexciya eigentlich
gar keinen legitimierenden Überbau braucht.
Drexciya, "Journey of the Deep Sea Dweller 1" (Clone)
20 Jan 2012
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
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