| # taz.de -- Eine Frage des Bekenntnisses | |
| > Der Ausbau des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland geht | |
| > mühsam voran. Das liegt auch an umstrittenen Projektpartnern, etwa der | |
| > Ditib. In manchen Bundesländern verzichten die Ministerien gleich ganz | |
| > auf eine Kooperation mit Muslimen. Doch auch das ist problematisch | |
| Bild: Islamunterricht in Mainz, organisiert durch den türkisch-islamischen Ver… | |
| Von Ralf Pauli | |
| Wieder einmal droht der Umgang mit Ditib die deutsch-türkischen Beziehungen | |
| zu belasten. Seit gut zwei Wochen steht die schwarz-gelbe Landesregierung | |
| von Nordrhein-Westfalen in der Kritik, weil sie beim islamischen | |
| Religionsunterricht erneut mit dem umstrittenen Moscheeverband kooperiert. | |
| Selbst aus den eigenen Reihen wurde auf Ditibs Nähe zur türkischen | |
| Regierung verwiesen. Der Islamunterricht müsse „frei von jeglichen | |
| Einflüssen ausländischer Akteure angeboten werden“, forderte etwa der | |
| FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Stephan Thomae. In regierungsnahen | |
| türkischen Medien wiederum wurde die grüne Landtagsabgeordnete Berivan | |
| Aymaz, die die Ditib-Partnerschaft als Fehler bezeichnet hatte, als | |
| „Feindin der Türkei“ und „PKK-Sympathisantin“ diffamiert. Daraufhin hat | |
| NRWs Innenminister Herbert Reul Aymaz Unterstützung zugesagt. Der | |
| Staatsschutz ermittelt. | |
| Es ist nicht das erste Mal, dass der größte Moscheeverband Deutschlands zum | |
| Politikum wird. Die Verwicklung von Ditib-Imamen in Spionageaktivitäten für | |
| Ankara zog vor ein paar Jahren Ermittlungen des Generalbundesanwalts nach | |
| sich. Sie wurden zwar eingestellt, dennoch stellten Ministerien bundesweit | |
| die Zusammenarbeit mit Ditib wegen der Vorwürfe in Frage. Auch das | |
| NRW-Schulministerium setzte die Kooperation aus. | |
| Dank einer neuen Satzung genießt der Ditib-Landesverband nun aber offenbar | |
| wieder Vertrauen in Düsseldorf. Als eines von sechs Mitgliedern einer neuen | |
| Kommission darf der Verband künftig mitentscheiden, welcher Stoff im | |
| islamischen Religionsunterricht gelernt werden soll, welche Schulbücher | |
| geeignet sind und wer eine Lehrbefugnis erhält – auch wenn viele | |
| Expert:innen die neue Unabhängigkeit der Ditib stark bezweifeln. | |
| Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hingegen verteidigte die Kooperation: | |
| Sie attestierte dem Moscheeverband ausreichende „Staatsferne“, versprach | |
| aber, den Vertrag mit Ditib bei Verstößen umgehend aufzukündigen. Der | |
| Moscheeverband selbst sieht sich als Opfer einer Kampagne. | |
| Der Streit über Ditib zeigt exemplarisch, warum die Bundesländer beim | |
| Aufbau eines islamischen Religionsunterrichts seit Jahren kaum vorwärts | |
| kommen. Einerseits sind die Bildungsministerien laut dem Grundgesetz dazu | |
| verpflichtet, für alle Schüler:innen in ihrem Bundesland | |
| bekenntnisorientierten Religionsunterricht anzubieten, also auch für | |
| Muslime. In NRW sind das etwa 340.000 Schüler:innen, bundesweit Schätzungen | |
| zufolge mindestens 750.000. | |
| Doch was für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht die | |
| Kirchen erledigen, ist beim islamischen Religionsunterricht seit Jahren | |
| ungelöst: Wer vertritt die muslimische Glaubensgemeinschaft gegenüber dem | |
| Staat? Eine wirkliche Lösung für die Partnerfrage hat bislang noch kein | |
| Bundesland gefunden. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hamburg und | |
| Nordrhein-Westfalen etwa behelfen sich seit Jahren mit Beiräten, Stiftungen | |
| oder Kommissionen, in denen mehrere Verbände vertreten sind. | |
| Lediglich Hessen hat als erstes Bundesland 2013 zwei muslimische Verbände | |
| offiziell als Religionsgemeinschaften anerkannt: die Ahmadiyya-Gemeinde und | |
| Ditib. Doch vergangenes Jahr hat Bildungsminister Alexander Lorz (CDU) die | |
| Zusammenarbeit mit Ditib ausgesetzt. Auch in Hessen konnte der türkische | |
| Moscheeverband die Zweifel an seiner Unabhängigkeit von der türkischen | |
| Regierung nicht ausräumen. Seither bietet das Bundesland – neben der | |
| Ahmadiyya-Kooperation – eine Art Religionsunterricht in staatlicher | |
| Verantwortung an, genau wie Bayern oder Schleswig-Holstein. | |
| Eine Krücke, die das Grundgesetz eigentlich nicht zulässt. Laut Artikel 7 | |
| Absatz 3 findet Religionsunterricht „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen | |
| der Religionsgemeinschaften“ statt. Demnach kümmert sich der Staat um die | |
| Rahmenbedingungen, wie die Ausbildung von Religionslehrer:innen oder | |
| die Zulassung von Lehrbüchern. Wer dann tatsächlich unterrichten darf und | |
| was unterrichtet wird, entscheiden hingegen die Religionsgemeinschaften. | |
| In Hessen, Bayern oder Schleswig-Holstein übernimmt jedoch nun der Staat | |
| diese Aufgabe. Eine Übergangslösung, heißt es aus dem hessischen | |
| Bildungsministerium. Keinesfalls sei man mit dem staatlichen | |
| Islamunterricht „grundsätzlich vom bekenntnisorientierten islamischen | |
| Religionsunterricht abgerückt“, teilt ein Sprecher auf taz-Anfrage mit. Im | |
| Ministerium sehe man noch die Chance, die verfassungsrechtlichen | |
| Voraussetzungen für die Kooperation mit dem Ditib-Landesverband | |
| wiederherstellen und den Religionsunterricht neu aufnehmen zu können. „Ob | |
| und wann dies tatsächlich der Fall sein wird, lässt sich freilich nicht | |
| seriös prognostizieren.“ Auch in Bayern, wo der staatliche Islamunterricht | |
| ab kommendem Schuljahr in 350 Schulen erstmals als Wahlpflichtfach neben | |
| Religion oder Ethik angeboten wird, rückt die Zusammenarbeit mit | |
| muslimischen Verbänden erstmals in weite Ferne. | |
| Jan Felix Engelhardt von der Akademie für Islam in Wissenschaft und | |
| Gesellschaft (AIWG) sieht darin ein Problem. Nicht allein, weil | |
| Religionsunterricht ein verfassungsrechtlich geregelter Anspruch sei, der | |
| für alle größeren Religionsgemeinschaften gelte. Der staatlich geprägte | |
| Islamkunde-Unterricht käme auf Dauer einer strukturellen Ungleichbehandlung | |
| gleich, sagt Engelhardt der taz: „Und zwar einer mit Signalwirkung, wie | |
| ernst es der Politik mit der Beheimatung von Menschen muslimischen Glaubens | |
| in Deutschland ist.“ | |
| Deutschlandweit erhalten derzeit nach Angaben der Länder rund 60.000 | |
| Schüler:innen Islamkunde beziehungsweise bekenntnisorientierten | |
| islamischen Religionsunterricht. Das entspricht nicht mal 10 Prozent aller | |
| muslimischen Schüler:innen. Und das, obwohl einige Länder schon Anfang der | |
| 2000er Jahre erste Modellprojekte starteten. Doch von dort bis zum | |
| ordentlichen Unterrichtsfach ist es ein langer Weg. | |
| Das kann Gökcen Sara Tamer-Uzun bestätigen. 2006 gehörte sie zu den ersten | |
| islamischen Religionslehrer:innen in Baden-Württemberg, damals war | |
| das auch im Ländle noch ein Modellprojekt. „Als ich dann angefangen habe zu | |
| unterrichten, war ich auch die einzige islamische Religionslehrerin in ganz | |
| Stuttgart“, erzählt die heute 45-Jährige am Telefon. Im ersten Jahr habe | |
| sie parallel an drei Schulen gearbeitet. „An den Donnerstagen war ich zwölf | |
| Stunden unterwegs.“ | |
| In den Folgejahren dann hat Tamer-Uzun den islamischen Religionsunterricht | |
| sunnitischer Prägung in Baden-Württemberg mit aufgebaut. Sie schrieb im | |
| Auftrag des baden-württembergischen Bildungsministeriums Lehrpläne und | |
| Studienordnungen, als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg | |
| bildete sie die Religionslehrer:innen gleich mit aus. Tamer-Uzun saß | |
| auch von 2015 bis 2019 im Projektbeirat, der das Ministerium bei der | |
| Einführung eines ordentlichen Schulfachs beraten hat. 2019 wurde der Beirat | |
| durch eine Stiftung ersetzt, in der neben Einzelpersonen die Islamische | |
| Gemeinschaft der Bosniaken und die Islamischen Kulturzentren | |
| Baden-Württemberg vertreten sind. | |
| „Wir haben viel erreicht in diesen Jahren“, sagt Tamer-Uzun. Trotzdem ist | |
| sie noch nicht zufrieden. Wenn gerade mal 6 Prozent der muslimischen | |
| Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg Religionsunterricht | |
| erhielten, sei das viel zu wenig. Die niedrige Quote hänge aber auch mit | |
| dem fehlenden Personal zusammen. „Wir haben immer noch viel zu wenige | |
| ausgebildete Lehrer:innen“, sagt Tamer-Uzun. Sie glaubt, dass viel zu | |
| wenigen Abiturient:innen bewusst sei, dass man als Muslim:a heute in | |
| mehreren Bundesländern als staatlich anerkannte:r | |
| Religionslehrer:in arbeiten kann. Tamer-Uzun würde sich freuen, wenn | |
| schon an den Schulen mehr für diesen Beruf geworben würde. | |
| Mittlerweile bieten immer mehr Hochschulen islamische Religionslehre als | |
| Lehramtsstudium an. Es gebe aber auch abschreckende Signale für | |
| Studieninteressierte, sagt der promovierte Islamwissenschaftler Engelhardt | |
| von der AIWG. | |
| Zum Beispiel das im April erlassene Gesetz zum Erscheinungsbild von | |
| Beamt:innen, von dem Kritiker:innen glauben, es sei ein verkapptes | |
| Kopftuchverbot. Das Gesetz verunsichere weibliche Lehrkräfte, beobachtet | |
| Engelhardt. Zudem gebe es in manchen Schulen im Kollegium durchaus | |
| Vorbehalte gegenüber islamischem Religionsunterricht. Das größte Hindernis | |
| für den Ausbau aber seien politische Unsicherheiten – so wie derzeit in | |
| Hessen oder Nordrhein-Westfalen. | |
| Oder in Hamburg. Dort besteht die Zusammenarbeit vom Senat mit muslimischen | |
| Verbänden schon seit fast zehn Jahren. Und die ist durchaus fruchtbar. | |
| Mittlerweile gibt es an Hamburger Schulen einen „Religionsunterricht für | |
| alle“, in dem evangelische, jüdische, alevitische und muslimische | |
| Lehrer:innen vor ein und derselben Klasse stehen. Auch wenn aktuell | |
| überwiegend evangelische Lehrkräfte unterrichten – die Kooperation zwischen | |
| evangelischer Kirche, jüdischer Gemeinde, drei islamischen Verbänden und | |
| der alevitischen Gemeinde für ein gemeinsames Schulfach ist einzigartig in | |
| Deutschland. | |
| Dennoch steht einer der Partner, das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), seit | |
| Jahren wegen seiner mutmaßlichen Nähe zum iranischen Regime in der Kritik – | |
| und unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Ein Umstand, der regelmäßig | |
| von CDU, AfD oder FDP thematisiert wird. Für die Kooperation muss sich | |
| Bildungssenator Ties Rabe (SPD) rechtfertigen – ähnlich wie | |
| NRW-Schulministerin Gebauer wegen Ditib. | |
| Auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gibt es Ärger mit | |
| Kooperationspartnern. Im Ländle wollten zwei muslimische Vertreter – | |
| darunter der Ditib-Landesverband – auf eigenen Wunsch nicht der 2019 | |
| gegründeten Stiftung Sunnitischer Schulrat beitreten. Aus ihrer Sicht ist | |
| das Modell verfassungswidrig, weil der Staat sich zu sehr in die | |
| Religionsfreiheit einmische. | |
| Und in Rheinland-Pfalz, wo die Landesregierung islamischen | |
| Religionsunterricht in Zusammenarbeit mit vier muslimischen Verbänden | |
| anstrebt, sorgte einer der Partner – wieder Ditib – im März mit der | |
| Einladung eines umstrittenen Historikers für einen handfesten Eklat. Zwar | |
| distanzierte sich der Ditib-Vorsitzende von dem Gast und legte sogar sein | |
| Amt nieder – die neue Landesregierung in Mainz spricht aber von einem | |
| „nicht unbelasteten“ Verhältnis. Die Gespräche wolle sie aber auch mit | |
| Ditib fortführen, versicherte Wissenschaftsminister Clemens Hoch. | |
| Auch Islamwissenschaftler Engelhardt begrüßt den Dialog mit Ditib, sieht | |
| den Moscheeverband aber in der Bringschuld. Ditib müsse bei den | |
| Kooperationen mit den Landesregierungen beweisen, dass sie ein | |
| zuverlässiger Ansprechpartner für die Politik sein kann. Die besten Chancen | |
| dazu hat sie nun: in Nordrhein-Westfalen. | |
| 9 Jun 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
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