| # taz.de -- Ein Hagel von Vorwürfen | |
| > In der SPD ist unversehens ein scharfer Streit über Identitätspolitik | |
| > ausgebrochen | |
| Aus Berlin Stefan Reinecke | |
| Die Woche hatte für die SPD gut begonnen. Am Montag stellte die | |
| Parteispitze das Programm für die Bundestagswahl vor. Sie will das | |
| Ehegattensplitting abschaffen, Reiche stärker besteuern, den Ökoumbau | |
| forcieren. Sozial und grün, so die Botschaft. Der Termin war mit Blick auf | |
| die Landtagswahlen in Mainz und Stuttgart exakt getimt. | |
| Dann kam alles etwas anders. Die Schlagzeilen bestimmen nun der Zoff | |
| zwischen Wolfgang Thierse, 77, früher Bundestagspräsident, und der | |
| Parteispitze, Saskia Esken und Kevin Kühnert. Thierse hatte für die FAZ | |
| einen kritischen Text über Identitätspolitik verfasst. Hinzu kam eine | |
| Debatte der Grundwertekommission der SPD, bei der Gesine Schwan versuchte, | |
| eine Diskussion zwischen der FAZ-Journalistin Sandra Kegel und | |
| VertreterInnen der Queer Community zu moderieren. Die Debatte endete in | |
| einem Hagel von Vorwürfen. | |
| Der nächste Stufe in der Eskalationsspirale war eine parteiinterne Mail, in | |
| der Esken und Kühnert sich, ohne Namen zu nennen, „beschämt“ zeigten wegen | |
| „mangelnder Sensibilität“ im Umgang mit queeren Personen und | |
| „rückwärtsgewandten“ GenossInnen. Das zielte auf Schwan und Thierse, der | |
| prompt antwortete, er könne aus der SPD austreten, falls seine Positionen | |
| unerwünscht seien. | |
| Ralf Stegner, SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, und Michael Roth, | |
| Staatsminister im Auswärtigen Amt, unterstützten Thierse. Stegner, kein | |
| Freund von Kühnert, nannte „die Vorwürfe gegen Gesine Schwan und Wolfgang | |
| Thierse ungerechtfertigt und absurd. Sie reden nicht der Intoleranz und | |
| Diskriminierung das Wort, sondern der Meinungsfreiheit und dem streitigen | |
| Diskurs.“ Die Parteispitze ist seit Dienstag bemüht, die Wogen zu glätten. | |
| Parteichefin Esken telefonierte mit Thierse und versucht, den Schaden zu | |
| begrenzen. „Wolfgang Thierse ist für uns ohne jeden Zweifel ein | |
| verdienstvoller Sozialdemokrat, und nichts läge mir ferner, als mich von | |
| ihm zu distanzieren“ so Esken. | |
| Die Diskussion ist auch von persönlichen Animositäten getrieben – das | |
| Verhältnis zwischen Kühnert einerseits und Thierse und Schwan andererseits | |
| ist unterkühlt. Doch der Kern des Streits sind nicht persönliche | |
| Rangeleien. In diesem Konflikt wird verhandelt, wie die SPD mit | |
| identitätspolitischen Forderungen umgeht. So gab es von der Queer Community | |
| scharfe Kritik, dass die SPD in der Debatte die FAZ-Redakteurin Kegel | |
| überhaupt zu Wort kommen ließ. Diese hatte sich kritisch über eine | |
| Initiative queerer SchauspielerInnen geäußert. Ein schwuler Aktivist | |
| verglich in der Diskussion die Journalistin mit Rassisten und Antisemiten. | |
| Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland warf der SPD vor, die | |
| Interessen queerer Menschen zu ignorieren. Auf der anderen Seite erscheint | |
| diese aggressive Rhetorik manchen in der SPD wie eine Bestätigung der | |
| skeptischen Einwürfe von Schwan und Thierse. Schwan warnte in der | |
| Süddeutschen Zeitung, dass „wir in eine Gesellschaft von unterschiedlich | |
| großen und mächtigen ‚Communitys“ zerfallen, die jede für sich eine | |
| ‚kollektive Identität‘ beanspruchen und damit immer schon auf dem Weg der | |
| Exklusion Anderer sind“. | |
| 6 Mar 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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