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# taz.de -- Doku über Joseph McCarthy: Die Logik der Paranoia
> McCarthy wird in "The Real American" als Figur gezeichnet, die durch
> Medien erst groß gemacht und dann vernichtet wird. Die Doku will wie ein
> Spielfilm aussehen.
Bild: Ohne kommunistische Gefahr ist McCarthy ein leeres Blatt.
Als sein politischer Abstieg besiegelt ist, schüttet sich Senator Joseph
McCarthy sein Whiskyglas voll und verkündete, damit werde er sich
umbringen. So kam es. Zwei Jahr später war er tot, 48 Jahre alt, verendet
an einer vom Alkohol vernichteten Leber. "The Real American" erzählt von
Aufstieg und Fall des vielleicht berühmtesten US-Antikommunisten.
Verwandt werden die derzeit marktgängigen Mittel: ein emotionalisierender
Soundteppich, schnelle Schnitte, inszenierte Spielszenen. Die Figur
McCarthy soll uns so dicht wie möglich vor Augen geführt werden.
Das ist ein zwiespältiges Unterfangen. "The Real American" ist eine
Dokumentation, die versucht, unbedingt so auszusehen wie ein Spielfilm.
John Sessions, der McCarthy in den in Farbe gedrehten Spielszenen
verkörpert, steht am Tresen und kippt Whisky, ein zwischen Zynismus und
Selbstmitleid schwankender Alkoholiker, mal jovial, mal aggressiv.
Dieses Reenactment, das unoriginell zu nennen untertrieben wäre, verursacht
ein paar Kosten: Die Verschachtelung von dokumentarischen und
nachinszenierten Bildern gelingt so reibungslos, dass sich die fiktionalen
Bilder vor die authentischen schwarz-weißen Dokumentarbilder schieben. John
Sessions ist gewissermaßen viel intensiver McCarthy als McCarthy selbst, er
ist echter als das Original. Ob solche Verschiebungen nötig sind und der
Aufklärung dienen, ist eine Frage wert.
Regisseur Lutz Hachmeister entwirft in groben Strichen die psychologische
Skizze eines Aufsteigers, dessen Antikommunismus auch eine Art Marke im
Selbstverwertungsgeschäft war. Wahrscheinlich mochte er Kommunisten
wirklich nicht, aber eigentlich wollte er nur ins Fernsehen, so die These.
McCarthy wird in dieser Lesart zur tragischen Figur, die durch Medien groß
wurde und, als sein rabiater Stil nach dem Sieg des Republikaners
Eisenhower bei der Präsidentschaftswahl 1952 zum Störfaktor geworden war,
durch Medien vernichtet wurde.
Doch bei der Fokussierung auf die Figur McCarthy gerät aus dem Blick, was
die USA in den 50er Jahren taten. So erscheint in den Spielfilmbildern von
"The Real American" die CIA-Spitze als Runde pfeiferauchender
Intellektueller, denen der geltungssüchtige Lautsprecher McCarthy bei der
Planung von klandestinen Operationen wie in Guatemala gehörig auf die
Nerven fällt.
Die CIA betätigte sich 1954 als Handlanger des US-Konzerns United Fruit und
putschte in Guatemala gegen die demokratisch gewählte Regierung, um ein
brutales, United-Fruit-freundliches Militärregime zu installieren. CIA-Chef
Allen Dulles war übrigens im Aufsichtrat von United Fruit. In "Real
American" bleibt dies unterbelichtet: Hier sieht man recht vertrauenswürdig
wirkende CIA-Strategen in gediegenem Interieur, die bloß ihren Job machen.
## Zauberlehrling des US-Antikommunismus
Was indes aufscheint, ist die Logik der Paranoia, in der McCarthy sich
selbst verfängt. Er verkörpert ein System, das ohne die Fantasie eines
allmächtigen Feindes, den es zu demaskieren gilt, nicht existieren kann.
Ohne kommunistische Gefahr ist McCarthy ein leeres Blatt. Je weniger
Kommunisten es gab, die zu enttarnen waren, desto mehr Feinde musste er
erfinden. Am Ende hielt er, Zauberlehrling des US-Antikommunismus, sogar
den Stab von Präsident Eisenhower, die CIA, das Außenministerium und die
Armee für Teile einer kommunistischen Verschwörung.
In dieser aggressiven Kopplung an den Feind wirkt der McCarthyismus wie
eine Variante des totalitären Terrors. Auch im Stalinismus galt: Je weniger
reale Feinde es im Inneren gab, desto größter musste die halluzinierte
Verschwörung sein. Mit dem Unterschied allerdings, dass die Delinquenten im
Stalinismus massakriert wurden. McCarthys Opfer emigrierten nach Kanada.
Hachmeister lässt ein paar Dutzend Zeitzeugen auftreten, die durchweg
Interessantes beizusteuern haben. Auch der unvermeidliche Henry Kissinger
kommt zu Wort, was die Frage aufwirft, wie viele politische Verbrechen man
eigentlich begangen haben muss, um in zeitgeschichtlichen Dokumentationen
als vertrauenswürdiger Interpret disqualifiziert zu sein. Recht originell
wirkt die Journalistin Ann Coulter, die Agitpropstimme der US-Neocons.
Erst habe McCarthy, sagt sie, die USA vor dem Kommunismus gerettet, 25
Jahre später habe Ronald Reagan dann die ganze Welt gerettet. Coulter hält
auch radioaktive Strahlung für gesundheitsförderlich. Insofern passt ihre
Deutung von Joseph McCarthy als Engel der Freiheit ins Bild. Ob allerdings,
wie Hachmeister nahelegt, in den USA via Tea Party eine
McCarthy-Renaissance ins Haus steht, ist zum Glück zweifelhaft.
"The Real American", Regie: Lutz Hachmeister. D 2011, 95 min.
12 Jan 2012
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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