| # taz.de -- Die Skepsis des Sammlers | |
| > Die Hamburger Sammlung Falckenberg präsentiert mit den „Arbeitsstipendien | |
| > für bildende Kunst“ eine vielstimmige, disparate Bestandsaufnahme der | |
| > dortigen Gegenwartskunst | |
| Bild: Schiffbruch mit offenen Fragen: Im Video „Daisy Choupette“ setzen sic… | |
| Von Falk Schreiber | |
| Ein verbindliches Lächeln vorweg: „Guten Abend, meine Damen und Herren“, | |
| sagt der Nachrichtensprecher. „Mein Name ist Jan Hofer und ich begrüße Sie | |
| zur Tagesschau.“ Aber der Sprecher sieht nicht einmal annähernd aus wie | |
| Anchorman Hofer, die Titelmelodie klingt, als ob jemand die echte | |
| „Tagesschau“-Fanfare auf einem ganz billigen Synthesizer nachgespielt | |
| hätte, und die Aufmachermeldung scheint von zweifelhafter journalistischer | |
| Seriosität: Es geht um den Eisbrecher „Daisy Choupette“, der voller längst | |
| verstorbener Promis über die Weltmeere schippert – aber „Karl Lagerfeld“ | |
| trägt eine lächerliche Perücke, und „Rudolph Moshammer“ schleppt zwar ein | |
| Schoßhündchen durch die Gegend, nicht aber einen Yorkshire Terrier wie der | |
| echte Moshammer – und das gezeigte Pier ist unzweifelhaft ein abgelegenes | |
| Becken im Hamburger Hafen. | |
| Das Video „Daisy Choupette“ von Stella Rossié und Nicola Gördes ist campy, | |
| trashig, reizend, eine so hübsche wie naive Satire auf Fake News und | |
| Celebrity-Kultur. Damit ist das Video ein typisches Kunstprodukt aus dem | |
| Umfeld der Hamburger Hochschule für bildende Künste, und weil es nah am | |
| Eingang der Sammlung Falckenberg auftaucht, stellt man sich darauf ein, | |
| eine Überdosis reflektierten Trashs gezeigt zu bekommen. | |
| Ist aber nicht so, tatsächlich bleibt „Daisy Choupette“ der einzig | |
| vorhersehbare Beitrag in der Ausstellung der „Hamburger Arbeitsstipendien | |
| für bildende Kunst“. Und weil die Arbeit so unterhaltsam ist und so schräg, | |
| sieht man auch über die Vorhersehbarkeit gern hinweg. Ansonsten gibt es: | |
| eine so seriöse wie brave Videodokumentation über nonverbale Aggression von | |
| Marko Mijatovic und Sarah Halblützel („Survival Mode“), so glatte wie | |
| subversive digitale Malerei von Magdalena Los („In the Studio“), und eine | |
| Rauminstallation nach Harry-Potter-Motiven von Gerrit Frohne-Brinkmann | |
| („Ohne Titel [You-Know-What]“ und „Sleeping Headmasters“). Ansprechend. | |
| Klug. Vielstimmig. | |
| Die Arbeitsstipendien sind keine kleine Nummer: Seit 1981 fördert die Stadt | |
| Künstler*innen mit Hamburg-Bezug, bislang unter anderem Stephan Balkenhol, | |
| Jeanne Faust und John Bock; derzeit erhalten Stipendiat*innen jeweils 1.500 | |
| Euro monatlich. Die aktuelle Ausstellung beinhaltet die | |
| Stipendiumsjahrgänge 2018 und 2019, und weil es sich bei den insgesamt 20 | |
| Ausstellenden nicht um absolute Newcomer handelt, kennt man einiges schon. | |
| Die Webserie „Ramadram“ etwa, produziert von New Media Socialism aka Judith | |
| Rau und Nadine Jessen aus dem Umfeld der Kulturfabrik Kampnagel, die die im | |
| Nahen Osten populären Ramadan-Seifenopern mit Witz und politischem | |
| Bewusstsein ins migrantisch geprägte Europa verlagert. Oder Pablo | |
| Schlumbergers klagende Masken, die allerdings nur noch als Randfiguren | |
| präsent sind, als Wassergeister, die an blubbernden Heizkörpern hängen und | |
| im Dialog mit drei großformatigen Unterwasserfotografien stehen. | |
| Das ermöglicht die großzügige Ausstellung über zwei Etagen in der Sammlung | |
| Falckenberg eben auch: raumgreifende Arbeiten. Mal wachsen die sich zum | |
| popkulturellen Gruselkabinett aus wie bei Frohne-Brinkmanns | |
| Harry-Potter-Raum, mal zeigen sie sich als Doppelpräsentation wie bei | |
| Farideh Jamshidi und Anna Grath. Deren Arbeiten haben eigentlich gar nichts | |
| miteinander zu tun, Jamshidi bekam ihr Stipendium 2018, Grath ihres im | |
| Folgejahr, aber weil beide klug nebeneinander gehängt sind, entdeckt man | |
| Gemeinsamkeiten: In Jamshidis „Tanz“ finden sich ebenso Verschlingungen, | |
| Spurenhaftes, mehr an die Bewegung als an das reine Abbild Angelehntes wie | |
| in Graths Wandskulptur „Valkn“. | |
| Und wenn Franziska Opel mit „Knickers“ ein Wandobjekt in den Raum | |
| hineinwölbt, dann wird deutlich, dass ein großzügiger Ausstellungsort wie | |
| die Fabrikhallen in Hamburg-Harburg für solch eine Schau zwingend ist: | |
| Solche Arbeiten wären verschenkt in einer kleineren Halle. | |
| Was hier auffällt, ist eine Betonung der Form. Politische Schärfe hingegen | |
| fällt weitgehend aus, einzig eine gewisse Institutionskritik schleicht sich | |
| in die eine oder andere Position ein. Magdalena Los’ digitale Gemäldeserie | |
| „In the Studio“ etwa besteht aus mehreren vordergründig intimen Einblicken | |
| ins Atelier der Künstlerin, man sieht eine Ausgabe von Thomas Pikettys „Das | |
| Kapital“, ein iPad flackert vor sich hin, zwei formschöne Frauenbeine | |
| lümmeln sich auf dem Küchentisch – La Bohème. Aber im Regal erkennt man das | |
| Bild eines Mannes, der skeptisch auf die Atelierszene zu blicken scheint: | |
| Harald Falckenberg, Sammler, Mäzen, Betreiber der Ausstellungsräume. Das | |
| kreativ-verlotterte Künstlerinnenleben ist nur möglich, weil er seinen | |
| gütigen aber strengen Blick auf dem Geschehen ruhen lässt, oder? | |
| Noch einen Schritt weiter geht Angela Anzi mit ihren Pseudo-Klangskulpturen | |
| „Deserted Landscapes“, die eine Funktionalität antäuschen, wo tatsächlich | |
| reine Form vorherrscht. Und Andrea Becker-Weimann hängt mit „Le Quattro | |
| Stagioni“ eine zeigerlose Wanduhr aus verkohlten Tiefkühlpizzen an die | |
| Hallenmauer. Oder vielleicht doch nicht? Die skulpturalen Elemente sind aus | |
| Keramik, die organische Anmutung des Gezeigten ist ein Trick. Wenn auch ein | |
| ziemlich gut gemachter. | |
| Damit unterscheidet sich Becker-Weimanns Arbeit vom „Tagesschau“-Fake durch | |
| Stella Rossié und Nicola Gördes, die die Gemachtheit ihres Projekts | |
| überdeutlich ausstellen. Welcher Zugriff der nachhaltigere ist, bleibt | |
| unklar in der Präsentation der Stipendiat*innen; als vielstimmige, | |
| disparate Bestandsaufnahme der hanseatischen Gegenwartskunst geht die Schau | |
| allerdings gut durch. | |
| Arbeitsstipendien für bildende Kunst der Freien und Hansestadt Hamburg: bis | |
| 18. 10., Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg | |
| 26 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Falk Schreiber | |
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