# taz.de -- Die Perspektive der Linse | |
> Sie experimentierte und sie fotografierte Bildgeschichten für große | |
> Illustrierte. Der jüdischen Fotografin Yva ist eine eigene Mappe in der | |
> Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ gewidmet | |
Bild: Yva: Selbstporträt. Mehrfachbelichtung mit Gemälde von Heinz Hajek-Halk… | |
Von Inga Barthels | |
Tausende von Karteikarten hängen an den Wänden des großen Lesesaals im | |
Rathaus Schöneberg. Darauf sind handschriftlich einzelne Namen und | |
Adressen notiert. Es handelt sich um die jüdischen Bewohnerinnen und | |
Bewohner des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, die während der Herrschaft der | |
Nationalsozialisten deportiert wurden. Im Bayerischen Viertel gab es einst | |
eine lebendige jüdische Gemeinschaft. | |
An sie erinnern im Rathaus auch über 150 Alben mit biografischen Texten, | |
Zeitzeugenberichten und Fotos. Dort kann man etwas über die | |
Lebensgeschichten berühmter Bewohner*innen wie Albert Einstein oder Nelly | |
Sachs lesen, aber auch von unbekannten Ermordeten und Überlebenden des | |
Holocaust. Mit vielen der Zeitzeugen haben die Macher der Ausstellung | |
gesprochen, ihre Berichte lassen sich im Saal anhören. „Wir waren Nachbarn“ | |
heißt dieses besondere Projekt der Erinnerungsarbeit. | |
Die Schöneberger Ausstellung ist ein Work in Progress. Seit 2005 kommen | |
ständig neue Alben dazu. In diesem Jahr stehen jüdische Fotografinnen im | |
Fokus. Gisèle Freund hat bereits ein eigenes Album. Jetzt gesellt sich ihre | |
Kollegin Yva dazu, die auch als Lehrerin von Helmut Newton bekannt ist. | |
Dass Yvas Fotografien inzwischen wieder in großen Auktionshäusern wie | |
Grisebach versteigert werden, ist vor allem den Kulturwissenschaftlerinnen | |
Marion Beckers und Elisabeth Moortgat zu verdanken. Sie arbeiten im | |
Verborgenen Museum, das sich Künstlerinnen widmet, die um 1900 geborenen | |
wurden und vergessen sind. 2001 zeigten sie eine große Yva-Retrospektive. | |
Mit dem biografischen Album im Rathaus beleuchten sie nun deren | |
Lebensgeschichte. | |
Yva wurde 1900 als Else Neuländer in Kreuzberg geboren, Tochter eines | |
Kaufmanns und einer Hutmacherin. Dass Yva als Kind eine berufstätige Frau | |
als Mutter vor Augen hatte, schätzt Marion Beckes als wichtig für Yvas | |
Karriere ein. Sie lernte bei der Fotografin Suse Byk und eröffnete bereits | |
1925 ihr eigenes Atelier in der heutigen Klingelhöferstraße. | |
Außer der Werbe- und Modefotografie widmete sich die junge Künstlerin auch | |
experimentellen Arbeiten. Berühmt machten sie vor allem ihre | |
Mehrfachbelichtungen, technisch aufwendige Arbeiten, bei denen sie eine | |
Platte bis zu sechsmal belichtete. Die Bilder wirken dadurch wie ein | |
Kaleidoskop, Perspektiven verschieben sich. | |
„Worauf es in meinen Bildern ankommt, das ist die durchaus eigene | |
Perspektive der Linse, die Abstufung der Lichtwerte in der Platte, die | |
eigene Kompositionsfähigkeit des Bildes“, schrieb Yva 1927. Sie entfernte | |
sich damit radikal von der bis zur Mitte der 20er Jahre üblichen | |
Porträtfotografie und brachte eine eigene Ästhetik in das Genre ein. „Das | |
ist schon sensationell“, sagt Elisabeth Moortgat. Für derartig | |
vorausschauende Experimente sei heute vor allem der Bauhaus-Künstler László | |
Moholy-Nagy bekannt. | |
Im Laufe ihrer Karriere ließ Yva aber von den Experimenten ab und | |
konzentrierte sich auf die Belieferung der Illustrierten. Gedruckte | |
Fotografien verbreiteten sich in der Weimarer Republik rasant, eine | |
Entwicklung, die mit der Verbreitung des Internets zu vergleichen sei, | |
sagen die Kulturwissenschaftlerinnen. Yva profitierte von diesem Boom wie | |
viele andere junge Fotografinnen. | |
Um 1929 gab es in Berlin mindestens 400 Fotoateliers, etwa 30 Prozent davon | |
wurden von Frauen geleitet. „Die Frauen waren hoch angesehen in der | |
Fotografie“, betont Beckers. Yva war sogar eine der erfolgreichsten | |
Fotografinnen der Stadt. Sie arbeitete eng mit dem Uhu zusammen, einer | |
Monatszeitschrift des Ullstein Verlags. Gemeinsam mit dem Chefredakteur | |
Friedrich Kroner entwickelte sie Fotobildgeschichten, ähnlich den | |
Fotolovestorys, die in der Bravo zu sehen sind. | |
1934 heiratet Yva den jüdischen Kaufmann Alfred Simon, mit ihm zieht sie | |
aus der Bleibtreustraße, in die sie 1930 gezogen war, in eine noch größere | |
Atelierwohnung in der Schlüterstraße. Noch 1934 beschäftigte Yva zehn | |
Mitarbeiter – zu einer Zeit also, zu der die Nationalsozialisten bereits | |
die Macht ergriffen hatten. Yva und ihr Mann waren damals der Überzeugung, | |
dass der Spuk bald vorbei sein würde, sagt Beckers. Doch dann ging alles | |
sehr schnell. | |
Im selben Jahr wurde der Ullstein Verlag und mit ihm der Uhu zerschlagen. | |
1936 musste Yva ihr Atelier „arisieren“, da Jüdinnen und Juden keine | |
„arischen“ Menschen mehr beschäftigen durften. Sie übertrug ihren Betrieb | |
offiziell ihrer Freundin Charlotte Weidler und arbeitete trotzdem weiter. | |
1938 wurde das Ehepaar aus der Wohnung vertrieben, es folgte Zwangsarbeit | |
und schließlich die Deportation nach Sobibór. Dort wurden Yva und ihr Mann | |
Alfred Simon 1942 ermordet. Sie hinterließen nichts, viele ihrer | |
Fotografien wurden im Krieg vernichtet. Yvas Werk war lange Zeit vergessen. | |
Ein Bestand ihrer Arbeiten im Ullstein-Bildarchiv ermöglichte ihre | |
Wiederentdeckung Ende der 1990er Jahre durch Beckers und Moortgat. Dass Yva | |
heute auch dafür bekannt ist, dass der berühmte Helmut Newton einst bei ihr | |
lernte, halten die Kulturwissenschaftlerinnen für lächerlich. Newton habe | |
als 15-Jähriger nicht einmal zwei Jahre bei ihr im Atelier verbracht, sagt | |
Moortgat. Yvas Leben und ihr Werk brauchen keine Verbindung zu Helmut | |
Newton, um zu beeindrucken. Das ist jetzt auch im Rathaus Schöneberg zu | |
sehen und nachzulesen. | |
Wir waren Nachbarn Rathaus Schöneberg, täglich 10–18 Uhr, freitags | |
geschlossen. Eintritt frei | |
8 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Inga Barthels | |
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