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# taz.de -- Die NOlympiastadt Berlin: Dagegen sein ist alles
> Vor 15 Jahren wollte auch Berlin einmal Olympiastadt werden. Doch wie
> scheitert man als Kandidatenstadt? Eine Spurensuche.
Bild: Am Stadion hängen die olympischen Ringe - seit 1936
Zwei Tage vor der Entscheidung war der Boulevard fest in chinesischer Hand.
Blau-weiß kostümierte Mädchen aus dem Reich der Mitte sangen eingängige
Melodien, junge Männer schwenkten Fahnen, die Zuschauer klatschten. Nur ein
paar tibetische Studenten, die auf Menschenrechtsverletzungen hinwiesen,
störten. Sie wurden diskret aber bestimmt abgeführt.
So geschah es vor 15 Jahren auf der Allee des Boulingrins in Monte Carlo.
Zwei Tage später, am 23. September 1993, sollte das Internationale
Olympische Komitee (IOC) auf seiner 101. Sitzung darüber entscheiden, wer
den Zuschlag für die olympischen Sommerspiele 2000 bekommt: Manchester,
Istanbul, Sydney, Peking oder Berlin.
Der Protest der Tibeter war nur ein Vorgeschmack auf das, was das
monegassische Fürstentum am Vorabend des Showdowns erleben sollte. Während
die Mitglieder des IOC im Casino von Monaco speisten, gab eine
Trillerpfeife auf dem Vorplatz das Signal. Berliner Demonstranten stürmten
auf die Place du Casino, warfen Flugblätter und Böller in die Luft und
skandierten "NOlympia in Berlin".
Die monegassischen Sicherheitskräfte waren so konsterniert, dass sie selbst
unbeteiligte Touristen verhafteten. Den zahlreichen Journalisten, die das
Spektakel verfolgten, rissen sie die Flugblätter aus der Hand. Wo immer das
IOC tagt, ist Protest unerwünscht. Nicht nur in China, auch mitten in
Europa.
Doch der Protest hatte Erfolg. Als am Abend des 23. September Juan Antonio
Samaranch schließlich verkündete: "And the winner is Sydney", war der Jubel
nicht nur in Monaco unbeschreiblich. Auch im Berliner Tränenpalast, wo die
NOlympioniken zur Abschlussfeier zusammenkamen, spielten sich Freudenszenen
ab. "Man verstand das eigene Wort nicht mehr", erinnert sich Petra Schwarz,
die als SFB-Moderatorin live für die "Tagesthemen" berichtete. "Ich musste
ins Mikro schreien, um mich selbst zu hören."
Die Geschichte der Olympischen Bewegung ist inzwischen gut erforscht.
Sporthistoriker untersuchen den Geist von Olympia, die Nazi-Spiele von 1936
oder die Terroranschläge auf die Spiele in München 1972. Der Protest gegen
Olympia ist dagegen noch ein weitgehend unbekanntes Feld.
Für Christian Wacker, den Direktor des Deutschen Sport- und Olympia-Museums
in Köln, liegt das auch daran, dass es gegen die jüngsten Spiele kaum
Proteste gegeben hatte. "In Athen war 2004 die Begeisterung ebenso groß wie
in Sydney 2000. Auch dort, wo im Zuge von Olympia die halbe Stadt umgebaut
wurde, habe es Zustimmung gegeben. Sowohl in Barcelona 1992 als auch in
München 1972, so Wacker, hätte die Bevölkerung von Olympia profitiert.
"München wäre noch heute ein bayerisches Provinznest, hätte es die Spiele
von 1972 nicht gegeben."
Umso erstaunlicher war das Ausmaß der Proteste gegen die Berliner
Bewerbung. Auch deshalb, weil die Spiele ursprünglich sogar die Teilung
Berlins überwinden sollten. Einen ersten Vorstoß hatte der Westberliner
Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) bereits vor
dem Fall der Mauer unternommen. Am 19. Juni 1989 hatte Momper seine Pläne
für die "Spiele über die Mauer" öffentlich gemacht. Ganz bewusst sollte die
DDR-Regierung unter Druck gesetzt werden, die Spiele gemeinsam mit dem
Westteil der Stadt auszutragen. Ob das gelungen wäre, bleibt fraglich. Als
Reaktion auf die Westberliner Offerte dachte das SED-Regime laut über eine
Bewerbung von Leipzig nach.
Dennoch hielt der rot-grüne Senat an den Plänen fest - auch nach dem Fall
der Mauer. Doch die Berliner, erfreut vom Ende der Teilung und verunsichert
vom Metropolentaumel, wurden zunehmend skeptischer. Ein Jahr, nachdem
Berlin 1991 seinen Hut in den Ring geworfen hatte, ergab eine
Infas-Umfrage, dass nur 25 Prozent der Berliner die Olympia-Bewerbung
ausdrücklich begrüßten. Bei einem weiteren Drittel überwog die Zustimmung.
34 Prozent der Befragten reagierten ablehnend. Immerhin 54 Prozent
rechneten mit allgemeinen Preissteigerungen, bei 39 Prozent war Olympia mit
der Sorge um eine starke Verschuldung Berlins verbunden.
So sehr sich der Senat auch bemühte, auf die Vorteile der Spiele
hinzuweisen - an der skeptischen Grundfärbung änderte sich wenig. Auch kurz
vor der Entscheidung am 23. September 1993 in Monaco sprach sich mehr als
ein Drittel der Berliner gegen Olympia aus. Zurecht, wie der damalige
Anti-Olympia-Aktivist und heutige Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die
Linke) meint. "Die Olympiabewerbung stand für eine verfehlte Stadtpolitik,
für Verschuldung und umstrittene Großprojekte", resümiert Wolf. "Anfang der
Neunzigerjahre hatte Berlin einfach besseres zu tun, als eine
Festivalisierung der Stadt zu organisieren."
Pleiten und Pannen
Es war allerdings nicht nur fehlende Begeisterung, die Berlin in Monte
Carlo scheitern ließ. Mit verantwortlich war auch eine Bewerbung, die sich
vor allem durch Pleiten, Pech und Pannen auszeichnete. Den ersten Patzer
lieferte Lutz Grüttke. Kaum im Amt, präsentierte der Chef der Olympia GmbH
die Berliner Olympiabotschafter. Prominente wie Steffi Graf, Franz
Beckenbauer, Boris Becker oder Lothar Matthäus sollten künftig für die
Berliner Bewerbung die Werbetrommel rühren. Pech nur, dass Grüttke vergaß,
seine Botschafter davon zu unterrichten.
Nicht viel glücklicher agierte Grüttkes Nachfolger Axel Nawrocki. Unter
seiner Ägide begann der Chef der privaten Olympia Marketing GmbH, Nikolaus
Fuchs, mit dem Lobbying bei den IOC-Mitgliedern. Dabei legte er auch ein
Dossier über die Vorlieben der greisen IOC-Granden an - darunter auch deren
sexuelle Neigungen. Als das Geheimdossier schließlich öffentlich wurde, war
die Öffentlichkeit geschockt. Fuchs musste gehen.
Aber auch die Olympiagegner ließen die Berliner Bewerber schlecht aussehen.
Den größten Coup landeten sie am 27. Januar 1993 im schweizerischen
Lausanne. Dort, am Sitz des mächtigen IOC, wollten die Berliner Offiziellen
die 541 Seiten starke Bewerbungsschrift offiziell übergeben. Zuvor kamen
ihnen aber zwei NOlympioniken: Harald Wolf und die grüne Abgeordnete Judith
Demba. Im Gepäck hatten sie nicht die offizielle Bewerbung, sondern eine
unmissverständliche Videobotschaft. An deren Ende warnte ein Punk mit einem
Pflasterstein vor den Folgen einer IOC-Entscheidung für Berlin mit den
Worten: "We will wait for you."
"Das Video", findet Harald Wolf heute, "war grenzwertig." Dennoch sei es
wichtig gewesen, die Kritik auch nach Lausanne zu tragen. "Der Protest hat
eine Stimmung aufgegriffen, die in weite Kreise der Bevölkerung
vorgedrungen war."
Bis heute ist Harald Wolf Olympiaskeptiker geblieben. "Ich halte eine
neuerliche Bewerbung nicht für richtig", sagt er und geht damit auf Distanz
zum Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Der hatte zuletzt davon
geträumt, Berlin für die Sommerspiele 2020 ins Gespräch zu bringen.
Geld oder Umfragen
Welchen Anteil die Berliner Proteste am Scheitern der Berliner Bewerbung
1993 in Monaco hatte, ist in der Vergangenheit immer wieder kontrovers
diskutiert worden. Für Ex-NOlympia-Aktivistin Judith Demba ist die breite
Ablehnung der Berliner Bewerbung immer noch der Hauptgrund für das
Scheitern. Dazu gehörte für Demba auch der direkte Kontakt der
Olympiagegner zum IOC. "Neben dem Video, das wir in Lausanne übergeben
haben, haben wir den IOC-Mitgliedern auch persönliche Briefe geschickt."
Selbst als eine IOC-Delegation zur Überprüfung der Bewerbung in Berlin
weilte, habe es Gespräche gegeben. "Wir haben dem Delegationsleiter
klargemacht, dass Berlin die Spiele nicht ohne Schulden austragen kann."
Ähnlich sieht man das auch in Salzburg. Die Bewerbung der Mozartstadt für
die Olympischen Winterspiele 2014 wurde von der Mehrheit der Salzburger in
einer Bürgerbefragung abgelehnt - mit satten 61 Prozent. Den Zuschlag bekam
das russische Sotschi.
Auch in der Bilanz von Volker Hassemer, dem damaligen Senator für
Stadtentwicklung, spielt die mangelnde Unterstützung für Olympia in Berlin
eine Rolle. "Meine Hoffnung, die Bevölkerung mit der Olympiabewerbung auch
für die eigentlichen Stadtthemen in Schwung zu bringen, war falsch", sagt
Hassemer der taz. "Andere Themen waren wichtiger."
Wie falsch seine Hoffnung war, das konnte Hassemer, der heute für die
Stiftung Zukunft Berlin arbeitet, an jenem 23. September 1993 hautnah
erleben. Nicht in Monaco weilte der CDU-Politiker an jenem Donnerstag,
sondern im australischen Sydney. Über die Jubelfeiern in der australischen
Metropole meint er: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Deutschland
zu einer solchen 100-Prozent-Begeisterung fähig sind."
Gegen die These vom Protest als entscheidendem NOlympia-Faktor sprechen
allerdings ein paar Zahlen. Als die IOC-Mitarbeiter in Monaco die Stimmen
für die fünf Kandidaten auszählten, zeigte sich nicht nur, dass die
Berliner Träume geplatzt waren. Es wurde auch offenkundig, dass Berlin nie
ein ernstzunehmender Konkurrent war. Bereits in der ersten Runde erzielte
Berlin nur 9 der 88 Stimmen, schlechter schnitt nur Istanbul mit 7 Stimmen
ab. In der zweiten Runde flog Berlin raus - ohne dass sich die Stimmenzahl
erhöht hätte. Peking bekam 37, Sydney 30 Stimmen. Erst in der letzten Runde
gelang es Sydney, Peking zu überrunden.
Einer, der es wissen muss, bestreitet auch im Nachhinein den Einfluss der
Proteste. Nikolaus Fuchs, der Sammler des Berliner Geheimdossiers, ist bis
heute davon überzeugt, dass das IOC auch nach diversen aufgeflogenen
Skandalen im Kern korrupt sei. Der Berliner Morgenpost sagte Fuchs, er
kalkuliere mit einer Viertel Million Euro pro Stimme, zu hinterlegen bei
Schweizer Notaren. Wer dieses Spiel nicht mitmachen wolle, habe keine
Chance auf die Olympischen Spiele.
8 Aug 2008
## AUTOREN
Uwe Rada
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