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# taz.de -- Die Elbe war sein Mississippi
> Im Zeise-Kino und in der ARD-Mediathek wird Hark Bohms Klassiker „Nordsee
> ist Mordsee“ gezeigt. Der Jugendfilm von 1975 ist erstaunlich gut
> gealtert
Von Wilfried Hippen
„Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klau’n, und einfach abzuhau’n“,
singt Udo Lindenberg über dem Abspann von „Nordsee ist Mordsee“. Und damit
bringen er und der Regisseur Hark Bohm perfekt auf den Punkt, worum es bei
diesem Jugendfilm aus dem Jahr 1975 geht. Zwei 14-jährige Jungs aus
Hamburg-Wilhelmsburg büxen darin aus und schippern auf einer gekaperten
Jolle die Elbe hinunter.
Der Hamburger Filmemacher Hark Bohm begann seine Karriere mit Jugendfilmen,
und sein vierter (der erste war ein im Isartal gedrehter Western mit dem
Titel „Tschetan, der Indianerjunge“) war sein größter Wurf. Im Internet
kann man Postings von heute über 60-Jährigen lesen, die beschreiben, wie
intensiv der Film damals auf Jugendliche wie sie gewirkt hat, und wie
intensiv sie sich damals mit den beiden Protagonisten identifiziert haben.
Natürlich ist der Plot bei Mark Twains „Huckleberry Finn“ geborgt, und Hark
Bohm, der auf der Nordseeinsel Amrum aufwuchs, sagte einmal selbst: „Die
Elbe ist mein Mississippi.“
Auch auf einer praktischen Ebene ist „Nordsee ist Mordsee“ wohl der
persönlichste Film von Bohm. Die Hauptrollen spielten seine Adoptivsöhne
Dschingis Bowakow und Uwe Bohm, und die beiden heißen dann im Film
einfachheitshalber auch Dschingis und Uwe. Uwes Vater verkörpert Hark Bohms
Bruder Marquart Bohm und die Mutter von Dschingis spielt dessen leibliche
Mutter Katja Bowakow. Für Uwe Bohm war der Film der Beginn einer
erfolgreichen Karriere als Schauspieler. Er starb am 8. April 2022 und ihm
zu Ehren zeigen die Hamburger Zeise-Kinos heute noch einmal „Nordsee ist
Mordsee“.
Der Film ist auch deshalb gut gealtert, weil er das Lebensgefühl und das
Milieu von Hamburger Jugendlichen in den 1970er-Jahren sehr realistisch und
einfühlsam beschreibt. Uwe wird regelmäßig von seinem alkoholkranken Vater
vermöbelt, Dschingis leidet dagegen unter seiner überbesorgten Mutter und
wird als Migrantenkind von Uwe und dessen Kindergartengang gemobbt. Da
fallen dann Worte, die heute in einem Text wie diesem nur noch mit wenigen
Buchstaben und vielen Pünktchen zitiert werden könnten, aber genau dies
macht den authentisch dreckigen Grundton des Films aus.Und da der Film fast
nur aus Außenaufnahmen besteht, die in Wilhelmsburg sowie auf der Elbe
gedreht wurden, hat er auch eine beachtlichen dokumentarischen Wert, denn
so sieht es in Hamburg und Umgebung schon längst nicht mehr aus.
Und Udo Lindenberg? Der hatte 1975 schon seinen größten Hit „Alles klar auf
der Andrea Doria“ hinter sich und im Kinderzimmer von Uwe hängt dann auch
ein großes Poster von ihm. Aber er war noch kein Superstar und residierte
noch nicht in seiner Hotelfestung „Atlantic“. So konnte Hark Bohm einfach
an seiner Wohnungstür klingeln und ihm den Rohschnitt des Films zeigen. Der
gefiel Udo und er produzierte die Filmmusik, die dann viel zum Kultstatus
von „Nordsee ist Mordsee“ beitrug.
17 Aug 2022
## AUTOREN
Wilfried Hippen
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