# taz.de -- Detlef Diederichsen Böse Musik: ChatGPT entschuldigt sich für sei… | |
Ich möchte eins zuerst klarstellen: Niemals, noch nicht mal ansatzweise | |
habe ich die Hilfe von ChatGPT in Anspruch genommen. Keine Textbausteine, | |
keine Überschrift, noch nicht mal eine Recherche habe ich von unserer | |
KI-Freundin machen lassen. Alles hand- beziehungsweise selbstgemacht – | |
ich schwöre! | |
Aber dann ist es gestern spät geworden und ich hätte eigentlich noch ein | |
bisschen recherchieren müssen, um dann 3.600 Zeichen Kolumnentext zu | |
schreiben, also dachte ich mir: Was soll’s, einmal ist keinmal, wird schon | |
keiner merken … | |
Es ist ja Wahlkampf. Und irgendwie spielt Pop darin eine wichtige Rolle, | |
aber dann ist sie doch nicht so wichtig, dass Wahlempfehlungen von Taylor | |
Swift und Beyoncé irgendwas Entscheidendes bewirken würden. Auch | |
massenhafte Bekenntnisse von Sport- oder Filmstars haben noch keinen Swing | |
State gekippt. Pop ist also extrem präsent und an der Front aktiv, bleibt | |
aber machtlos. Wie im richtigen Leben. | |
Und hier? Hier ist schließlich auch Wahlkampf, dank der föderalen Struktur | |
sogar quasi permanent. Aber Pop spielte bislang nie eine Rolle. Das | |
Wahlgeheimnis und überhaupt die Sorge um den Schutz des Privatlebens wiegen | |
offensichtlich deutlich schwerer, als die Aussicht mit einem öffentlichen | |
Bekenntnis die eine oder den anderen Unentschlossene*n zu einem | |
Kreuzchen an der richtigen Stelle zu bewegen. | |
Aber was wäre, wenn …? Und an dieser Stelle kam mir der sündige Gedanke, | |
die arme ChatGPT zu missbrauchen und ihr den Auftrag zu erteilen: „Schreibe | |
einen 3.600 Zeichen langen Text im Stil von Detlef Diederichsen über den | |
Versuch, mit ChatGPT Texte zu Wahlkampfsongs für Olaf Scholz und Friedrich | |
Merz im Stil von Tocotronic, Goldene Zitronen und Straßenbande 187 zu | |
verfassen!“ | |
Was mir natürlich als erstes auffiel: Stilistisch scheint ChatGPT keine | |
hohe Meinung von mir zu haben – der bestellte Text war ziemlich | |
langweilig. Was als zweites auffiel: ChatGPT kann nicht reimen. Besonders | |
der den 187ern zugeschriebene Text stolpert ungelenk vor sich hin: „Olaf | |
Scholz, der Boss, der jetzt kommt/ wir holen uns das Land, niemand wird | |
hier krank/ Olaf Scholz, der Chef, der durchzieht/ Deutschland wird stark, | |
wenn der Olaf hier siegt“. Auch interessant: Entweder war meine | |
Aufgabenstellung nicht deutlich genug oder ChatGPTs Fantasie reichte nicht | |
aus, um sich vorzustellen, wie ein Pro-Friedrich-Merz-Text von Tocotronic | |
klingen könnte. Stattdessen gab es was Kritisches: „Die Alten, die Armen, | |
sie bleiben zurück/ kein Platz für das Schwache, kein Raum für das Glück/ | |
du baust auf das System, das dir nie wehtut/ doch du siehst nicht die | |
Menschen, die in Trümmern blut’n“. Uff. Interessanterweise lieferte | |
ChatGPT noch Begründungen beziehungsweise Entschuldigungen für seine Arbeit | |
ab: „Die Worte wirken wie ein leiser, fast resignierter Protest, der nicht | |
direkt kämpferisch ist, aber doch auf das Unrecht und die Kälte in Merz’ | |
wirtschaftspolitischer Ausrichtung hinweist.“ ChatGPT würde wohl nicht CDU | |
wählen. | |
Interessant fand ich allerdings die Idee, die Herren Politiker als | |
Interpreten ihres Wahlkampfsongs selbst in die Pflicht zu nehmen: „Da | |
draußen brennt die Welt, doch ich bleib’ cool/ die Leute rufen nach mir, | |
doch ich bleib' im Pool/ kein Drama, kein Theater, ich mach’ das hier/ mit | |
einem Plan, der einfach funktioniert“, heißt es im Scholz-Song à la Goldene | |
Zitronen. Stellt man sich vor, dass ein*e Kanzlerkandidat*in plötzlich | |
anfängt zu singen, könnte dann vielleicht doch der Moment gekommen sein, in | |
dem Popmusik die Wähler*innen dazu bewegt, ihre ursprüngliche | |
Entscheidung nochmal zu verändern. In welche Richtung auch immer. | |
19 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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