# taz.de -- Dessauer Filz vor Gericht | |
> Gerichte In Sachsen-Anhalt begann am Mittwoch der erste Prozess wegen | |
> einer Affäre um Subventionsbetrug. Auch der Landtag und die CDU spielen | |
> darin eine Rolle | |
Bild: Das Land fordert 7,2 Millionen Euro zurück | |
von Michael Bartsch | |
Fünf Jahre hat die Auswertung von 60 papiergefüllten Umzugskartons und drei | |
Terabyte elektronischer Daten in Anspruch genommen. Gestern nun begann am | |
Landgericht Halle der erste Prozess um die seit 2008 als „Dessauer | |
Fördermittelaffäre“ bekannt gewordene Veruntreuung von EU-Geldern. | |
Der 61-jährigen Marlies K. und dem 64-jährigen Dietmar B. wird vorgeworfen, | |
durch vorgetäuschte Qualifizierungsmaßnahmen Fördergelder von insgesamt 2 | |
Millionen Euro zu Unrecht erhalten zu haben. Bei 94 zu hörenden Zeugen wird | |
sich das Verfahren vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer absehbar bis in | |
die Nähe der Landtagswahlen hinziehen, die in Sachsen-Anhalt im kommenden | |
März stattfinden. Bis dahin muss auch ein mit der Affäre befasster | |
Untersuchungsausschuss des Landtages seinen Bericht verfasst haben. | |
Von 25 in die Affäre verwickelten Unternehmen fordert das | |
Landesverwaltungsamt inzwischen insgesamt 7,2 Millionen Euro Fördergelder | |
zurück. Von einigen ist aber nichts mehr zu holen, weil sie inzwischen | |
Insolvenz angemeldet haben. Gegen 160 Beschuldigte wurde ermittelt, 74 | |
Ermittlungsverfahren sind eingeleitet worden. | |
Die Verlesung der Anklageschrift gegen die ersten beiden angeklagten | |
Geschäftsleute dauerte am Mittwoch allein schon 45 Minuten. | |
Subventionsbetrug nach Paragraf 264 des Strafgesetzbuchs lautet der Vorwurf | |
der Staatsanwaltschaft. | |
Demnach verfuhren die Firmen und das Bildungszentrum der IIHK Halle-Dessau | |
in den Jahren 2005 bis 2008 stets nach einem ähnlichen Muster. Dem | |
Landesverwaltungsamt wurden gefälschte Verwendungsnachweise und | |
Anwesenheitslisten vorgelegt, um Fördermittel des Europäischen Sozialfonds | |
ESF zu erhalten. Zum Teil schoben sich Firmen und die IHK Schulungsaufträge | |
gegenseitig zu unterschiedlichen Preisen zu und kassierten die Differenzen. | |
Erst 2008 flog das System auf, als Unregelmäßigkeiten bei der Weiterbildung | |
von Spielern des Fußballvereins Dessau 05 entdeckt wurden. Bei einer | |
Großrazzia an 24 Orten wurde 2010 das belastende Material sichergestellt. | |
Am Eröffnungstag äußerten sich die angeklagte Betriebswirtin und der | |
Physiker zu den Vorwürfen. Beide lehrten als Dozenten im privaten | |
Weiterbildungsgewerbe, sind allein und gemeinsam Geschäftsführer mehrerer | |
Firmen und inzwischen miteinander verheiratet. Marlies K. schilderte das | |
wachsende Problem, nach den Hartz-Reformen 2004 noch Aufträge zu | |
akquirieren. Tendenziell belastete sie das Bildungszentrum der IHK. Von | |
dort sei die Anregung gekommen, den ESF anzuzapfen. A | |
Als eine Schlüsselfigur erweist sich dabei offenbar der | |
IHK-Ex-Regionalbereichsleiter Dietmar B. Er war schon am ersten Tag als | |
Zeuge geladen, verweigerte aber die Aussage, weil er selbst in einem | |
zweiten Prozess angeklagt ist. Wegen eines ähnlichen Deliktes war er 2010 | |
schon zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. | |
Pikanterweise war B. zuvor CDU-Ortsvorsitzender in Dessau-Mitte. Als | |
Gegenleistung für „Gefälligkeiten“ soll es eine Firmenspende von 6.000 Eu… | |
an die Union gegeben haben. Auch der damalige Wirtschaftsminister und | |
heutige Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) geriet in den Verdacht, den | |
Dessauer „Sumpf“ zumindest fahrlässig verkannt zu haben. Der Verdacht auf | |
politische Implikationen wurde vor einem Jahr weiter genährt, als ein | |
maßgeblicher Kriminalist der Ermittlungsgruppe „Sponsor“ genau nach der | |
Haseloff-Vernehmung im Untersuchungsausschuss strafversetzt wurde. | |
Die Darstellung der Angeklagten, dass „alles im vereinbarten Rahmen | |
stattgefunden hat“, und ihre Versuche, Verantwortung zu delegieren, wurden | |
von der Kammervorsitzenden Ursula Mertens mit präzisen Fragen angezweifelt. | |
„Dass sich das alles nicht sonderlich seriös anhört, sieht auch meine | |
Mutter, die Hausfrau ist, sehr klar“, hielt sie der versierten | |
Unternehmerin Marlies K. entgegen. Laut Vernehmungsprotokoll gehörte ihr | |
eigener Sohn zu denen, die bei vorgetäuschten Schulungen nur kurz | |
erschienen, um auf der Anwesenheitsliste zu unterschreiben. Für jeden der | |
acht konkreten Anklagefälle droht eine Maximalstrafe von jeweils fünf | |
Jahren. | |
8 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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