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# taz.de -- Der etwas andere Hochspringer: Kein Flop
> „Ich bin tollpatschig und chaotisch“: Hochspringer Mateusz Przybylko will
> bei der Weltmeisterschaft in London für Furore sorgen.
Bild: Er hört auf seine Gefühle und Träume: Mateusz Przybylko, Bestleistung:…
Dass der Bursche sich mal nur nicht das Genick bricht: Etwas
halsbrecherisch mutet es schon an, wenn Mateusz Przybylko sich über die
Hochsprunglatte windet, dann rückwärts mit dem Oberkörper nach unten
taucht, um danach halb auf Kopf und Schultern und auf den angehockten
Beinen zu landen. Der Flop als Salto mortale.
Das Spektakuläre der Technik steht in einem gewissen Kontrast zum Wesen der
neuen deutschen Hochsprunghoffnung. „Einfach strukturiert, aber ein ganz
lieber Kerl“, sei der 25-Jährige, sagt die Bundestrainerin Brigitte
Kurschilgen. Und Hans-Jörg Thomaskamp, der Heimtrainer bei der TSV Bayer 04
Leverkusen, fügt hinzu: „Ein richtiger Junge ist der Mateusz.“ Er schleppt
keinen schweren intellektuellen Ballast mit sich herum, er ist ein
Gefühlsmensch durch und durch, und er sei auch ein „Bauchhochspringer“, so
Hans-Jörg Thomaskamp, der ihn seit acht Jahren in Leverkusen betreut.
Mag sein Gemüt auch noch so kindlich geblieben sein, als Hochspringer ist
er spätestens seit dieser Saison ein ganzer Kerl. Früh im Jahr steigerte er
seine letztjährige Bestleistung von 2,29 Meter um einen Zentimeter auf 2,30
Meter, immer noch eine Schallmauer. Das war aber nur das Präludium für den
ganz großen Tanz, den er am 25. Juni in Bottrop auf das Tartanparkett des
dortigen Stadions legte.
Gleich um fünf Zentimeter steigerte er seine Bestleistung und setzte sich
mit den erzielten 2,35 Metern vorübergehend an die Spitze der europäischen
Jahresbestenliste und auf den zweiten Rang der Jahresweltbestenliste. „Das
war schon ein Rausch“, sagt er zu diesem Erlebnis, und sein Heimtrainer mag
gar nicht aussprechen, was für ein Potenzial sich da offenbart habe. „Ein
anderer Sprung über diese Höhe, den er dann noch mit der Hacke gerissen
hat, war viel besser als der, bei dem er dann drüber gekommen ist“, sagt
Hans-Jörg Thomaskamp, da seien sage und schreibe fünf Zentimeter Platz
zwischen Körper und Latte gewesen.
## Auf die Haut geschrieben
1989, also in politisch bewegten Zeiten, kamen seine Eltern von Polen nach
Bielefeld, wo sein Vater eine Arbeit gefunden hatte. Früh fingen die Kinder
– Mateusz Przybylko hat zwei Brüder, Kacper und Jacub – mit Sport an,
sämtlich mit Fußball, bis Mateusz mit zwölf Jahren sein Talent und seine
Passion für die Leichtathletik entdeckte. Die Brüder blieben beim Fußball,
Jacub spielt heute in der vierten Liga, Kacper Przybylko schaffte den
Sprung zu den Profis und steht heute beim 1. FC Kaiserslautern in der
Zweiten Liga unter Vertrag.
„Wir haben ein sehr enges Verhältnis“, sagt Mateusz, „die Familie ist uns
das Wichtigste überhaupt.“ Diese Haltung ist den Brüdern buchstäblich auf
die Haut geschrieben. Als Tattoo. Unisono haben sie sich den Schriftzug „La
Familia“ auf den Oberarm tätowieren lassen.
Sie halten zusammen, auch wenn es mal nicht so gut läuft. Immer wieder
warfen Verletzungen Przybylko zurück, seit er 2009 nach Leverkusen
wechselte und dort unter die Fittiche von Thomaskamp kam. Der hat sein
Talent früh erkannt. „Er hat ein gutes Bewegungsgefühl, ist sehr
schnellkräftig.“ Seine körperlichen Voraussetzungen sind fast ideal, bei
einer Körpergröße von 1,95 Metern wiegt er nur 78 Kilogramm. Seine
spektakuläre Technik erinnert ein wenig an Stefan Holm, den schwedischen
Olympiasieger von 2004. Auch er ein Artist, der nach einem Salto auf der
Matte zu landen pflegte.
Mit den 2,35 Metern von Bottrop hat er sich auf den sechsten Platz der
ewigen deutschen Bestenliste katapultiert, vor ihm eine illustre Schar aus
den Glanzzeiten des deutschen Hochsprungs. Ein ehemaliger Weltrekordler,
Carlo Thränhardt, zwei Olympiasieger, Gerd Wessig und Dietmar Mögenburg,
ein Weltmeister, Martin Buss, und Gerd Nagel, ein weiterer ehemaliger
Weltklassespringer aus den 80er Jahren. In Bottrop ließ Przybylko 2,38
Meter auflegen, ein Zentimeter über dem deutschen Uralt-Rekord von Carlo
Thränhardt aus dem Jahr 1984. Die aufgelegte Höhe aber blieb mehr ein
Versprechen für die Zukunft, aufgrund einer leichten Muskelverspannung
verzichtete er auf einen Versuch.
Und jetzt kommt die Weltmeisterschaften in London (4. bis 13. August). So
weit ist die Weltspitze nicht weg. Der Gefühlsmensch, der sich selbst so
charakterisiert: „chaotisch, tollpatschig“, er traut seinen Gefühlen wie er
seinen Träumen traut: „Natürlich wäre das ein Traum, eine Medaille zu
gewinnen, aber ich wäre auch mit einem Platz unter den Top 7 zufrieden.“
Für den Sportsoldaten ist London die zweite große internationale
Herausforderung. Er war letztes Jahr in Rio bei den Olympischen Spielen
dabei, scheiterte aber, wieder einmal leicht verletzt, in der
Qualifikation. Er ist etwas anders als die anderen deutschen Hochspringer,
die in die Annalen dieser Disziplin eingegangen sind, kein Monomane des
Flops, ein liebenswürdiger Kerl, „ehrgeizig im Sport“, wie er sagt, der das
Leben manchmal mit den Augen eines Kindes betrachtet, eine ehrliche Haut,
die er nicht zu Markte trägt. Und wie alle Gefühlsmenschen ist er gut für
eine Überraschung, vielleicht schon in London.
4 Aug 2017
## AUTOREN
Paul Frommeyer
## TAGS
Leichtathletik-WM
Leichtathletik-WM
Arminia Bielefeld
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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