| # taz.de -- Der Regisseur Volker Lösch: Chorleiter von Volkes Stimme | |
| > Seine Inszenierung von "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden" | |
| > hat in Hamburg für Aufruhr gesorgt. Denn Volker Lösch lässt die Namen | |
| > dort ansässiger Millionäre verlesen. | |
| Bild: In "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden" am Schauspielhaus Ham… | |
| Er macht gerne Nägel mit Köpfen. Für Volker Lösch, Theaterregisseur und | |
| Kapitalismuskritiker, bleibt die Gesellschaft nicht irgendwie draußen, | |
| außerhalb des Theaters, als Realität. Nein, er ist der Mann, der die Türen | |
| weit öffnet und diejenigen auf die Bühne holt, die sich gemeint fühlen | |
| sollen von den alten Dramen um Gerechtigkeit und Rache. | |
| Deshalb steht in seiner Inszenierung von "Marat, was ist aus unserer | |
| Revolution geworden" am Schauspielhaus Hamburg wieder ein Chor von echten | |
| Arbeitslosen auf der Bühne, deren biografische Erzählungen über | |
| Armutsängste, Scham und Geldnot in den Refrain münden: "Aber wir sind doch | |
| Opfer." Deshalb werden die Namen samt Anschrift und Vermögen von 28 | |
| superreichen Hamburgern verlesen. Eigentlich waren es noch vier Namen mehr, | |
| aber ihre Träger drohten mit einer einstweiligen Verfügung, schon vor der | |
| Premiere. So wird an ihrer Stelle das jeweilige juristische Schreiben | |
| vorgelesen. | |
| Das klingt nach der kalkulierten Wiederholung eines Skandals, den Lösch, | |
| Jahrgang 1963, vor vier Jahren am Staatsschauspiel Dresden mit den | |
| "Dresdner Webern" auslöste. Da sprach ein Chor von sogenannten | |
| Hartz-IV-Empfängern auch seine Wut über Politiker und Fernsehprominenz aus. | |
| Seitdem gilt Volker Lösch als der Mann, der dem Volkszorn eine Stimme gibt. | |
| Lösch arbeitet plakativ, doch das allein macht seinen Erfolg nicht aus. Die | |
| Krisen arbeiten ihm zu, schaufeln soziale Konflikte auf das Mahlwerk seiner | |
| Kunst. "Wut ist eine wichtige Antriebsfeder zum Arbeiten", sagte er, als er | |
| in der Spielzeit 2005/06 als Hausregisseur und Mitglied der künstlerischen | |
| Leitung beim Schauspiel Stuttgart begann, "Wut auf die Dinge, die | |
| tagtäglich unhinterfragt passieren". | |
| Die Texte, die er für seine jeweils vor Ort gecasteten Chöre zusammen mit | |
| Dramaturgen schreibt, beruhen auf Umfragen und Interviews. Damit tragen sie | |
| bei zur Konstruktion eines großen "Wir", das auch als Utopie einer | |
| Gemeinschaft funktioniert, die gegen die Vereinzelung und den Rückzug der | |
| Verlierer zusammenhält. In einem "Woyzeck", den Lösch 2007 in Dresden | |
| inszenierte, war die rechtsextreme Szene der Ort, an dem der Theatermacher | |
| Volkes Stimme lokalisierte. In Stuttgart, in dieser durch die Leistung | |
| ausländischer Arbeitskräfte reich gewordenen Stadt, holte er im gleichen | |
| Jahr 16 Frauen türkischer Herkunft auf die Bühne, die Textpassagen aus der | |
| "Medea" mit der Erfahrung der Migration heute unterfütterten. | |
| Dass er sich mit der Theaterarbeit in den lokalen Kontext einer Stadt | |
| einmischt, wie jetzt wieder in Hamburg (nächste Aufführung am 3. November), | |
| macht ihn zu einem Glücksfall für die Staats- und Stadttheater, die sich so | |
| profilieren wollen: mit wachen Augen und offenen Ohren den Problemen ihrer | |
| Bürger zugewandt. Dafür nimmt man in Kauf, ein wenig belächelt zu werden | |
| für dieses vorsätzliche Vergröbern, dieses plakative Bebildern der | |
| herrschenden Verhältnisse. KATRIN BETTINA MÜLLER | |
| 2 Nov 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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