# taz.de -- Demokratiebewegung in Hongkong: Mit Bananen gegen Peking | |
> Der Hongkonger Abgeordnete Leung Kwok-hung fordert mit seinem Rücktritt | |
> die Regierung in Peking heraus. Sein Ziel: ein Referendum für mehr | |
> Demokratie. | |
Bild: "Showman" des Hongkonger Legislativrats: Leung Kwok-hung. | |
Die fünf Studierenden kichern verunsichert, als der Abgeordnete Leung | |
Kwok-hung sie in sein Büro bittet. Doch schnell entspannen sie sich. Denn | |
Leungs Büro ist kein Vorhof politischer Macht: zwei Che-Guevara-Fahnen, | |
Wände voller Bücher, eine Bob-Dylan-Biografie und Werke zur politischen | |
Ökonomie. Es wirkt wie eine Studentenbude aus den Siebzigerjahren. | |
Auch Leungs Äußeres erinnert an die Siebziger - doch eher an die des | |
Westens als des Fernen Ostens. Der 53-Jährige trägt sein inzwischen | |
angegrautes Haar als Zopf. Die bis zum Hintern reichende Haarpracht ist für | |
Hongkong absolut untypisch, in den letzten dreißig Jahren wurde sie nur bei | |
kurzen Gefängnisaufenthalten wegen Rowdytums gestutzt. In Chinas autonomer | |
Sonderverwaltungsregion heißt Leung oft einfach "Langhaar". | |
Che Guevara als Ikone | |
Er trägt meist ein T-Shirt mit dem Che-Guevara-Porträt, es gibt in seinem | |
Büro viele weitere Che-Bilder, auch eine Statue, ein Mousepad und eine | |
Tasse mit der Revolutionärsikone. Daneben gibt es das bekannte Bild aus | |
Peking mit dem Demonstranten, der sich 1989 bei der Niederschlagung der | |
Demokratiebewegung Panzern in den Weg stellt. | |
Die Studierenden interviewen Leung, dann posieren sie mit ihm neben einer | |
mannshohen Plastikbanane. Mit Bananen machten Leung und die zwei anderen | |
Abgeordneten seiner Liga für Sozialdemokratie, kurz LSD, Schlagzeilen. 2008 | |
hatte sie im elitären Hongkonger Parlament den pekingfreundlichen | |
Regierungschef Donald Tsang mit Bananen beworfen. "Er lehnte unseren Antrag | |
ab, den Essenssatz der Sozialhilfe für verarmte Rentner von umgerechnet 60 | |
auf 80 Euro zu erhöhen", erzählt Leung. | |
Darauf haben die drei LSD-Abgeordneten Tsang mit vorgehaltenen Bananen | |
gefragt, was diese Früchte im Laden denn kosteten. Als Tsang schwieg, haben | |
sie ihn mit Bananen beworfen und wurden aus einer Sitzung entfernt. Wieder | |
einmal. | |
Neben Che und langen Haaren sind Bananen seitdem Leungs Markenzeichen in | |
einer Metropole, die eher für unauffällige Anzugträger bekannt ist. Leungs | |
LSD wirbt nun auch mit Plastikbananen. Bei Jungwählern kommt das gut an. | |
Sie freuen sich über die Respektlosigkeit, denn sie stehen Hongkongs | |
Politik oft zynisch gegenüber. Der pekingnahe Abgeordnete Lau Kong-wah | |
nennt Leung einen "Showman" und kritisiert: "Er behauptet, er vertritt die | |
Armen. Aber er repräsentiert nicht unsere Kultur." | |
Leung kommt aus armen Verhältnissen. Seine Mutter war Haushaltshilfe bei | |
einer britischen Familie, hatte sich von ihrem Mann getrennt und gab Leung | |
zu Pflegeeltern. Er ging nur bis zur Sekundarstufe in die Schule und schlug | |
sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Vieles brachte er sich selbst bei, | |
später schrieb er Fußballkolumnen. "Ich bin der einzige Abgeordnete, der in | |
einer Sozialwohnung wohnt", sagt Leung. Sein Gegner, der Abgeordnete Lau, | |
räumt bei aller Ablehnung ein: "Parlament ist auch Show, und wer nicht | |
zeigt, dass er anders ist, scheitert." Leung, der auch nach Meinung seiner | |
Freunde außer Show nur wenig erreicht hat, sagt: "In der Politik ist | |
Kommunikation alles." | |
Politisch aktiv wurde er in der "Aktionsgruppe 5. April". Der Name der | |
trotzkistischen Gruppe erinnert an den ersten Protest 1976 in Peking gegen | |
die kulturrevolutionäre Viererbande. Leungs Gruppe, die in Hongkong immer | |
wieder pekingnahe Politiker beschimpfte, fiel mit einem Sarg auf, den sie | |
auf jede Demo schleppte, was meist zu Rangeleien mit der Polizei führte. | |
2004 wurde Leung nach einem Low-Budget-Wahlkampf erstmals in Hongkongs | |
Legislativrat gewählt. "Ich war so überrascht wie alle Beobachter", sagt | |
er. Seine Direktwahl stellte das Parlament, in dem nur die Hälfte von der | |
Bevölkerung gewählt ist, die andere aber von Industrieverbänden und | |
Ständeorganisationen bestimmt wird, vor ein besonderes Problem. Bis dahin | |
galt eine strenge Kleiderordnung. Leung war schon als Aktivist aus dem | |
Gebäude geworfen worden, wenn er als Zuschauer die Politiker als Lakaien | |
Pekings beschimpfte. Doch den frisch Gewählten rauszuwerfen, weil er im | |
Che-Guevara-T-Shirt auftrat, hätte für ein nur halbdemokratisches Parlament | |
dumm ausgesehen. So wurde die Kleiderordnung geändert. | |
Am heutigen Mittwoch will Leung zusammen mit vier anderen Abgeordneten mit | |
einem kollektiven Rücktritt Hongkongs Regierung unter Druck setzten - und | |
damit die dahinter stehende Macht in Peking. Die fünf Volksvertreter, jeder | |
aus einem der fünf Wahlkreise der Stadt, zielen so auf eine stadtweite | |
Nachwahl. Die deuten sie als Referendum über eine schnelle Einführung der | |
Direktwahl aller Abgeordneten und des Regierungschefs. "Unser Kampf bei der | |
Nachwahl hat nur ein Thema: allgemeine Wahlen", sagt Leung. "Es geht uns | |
nicht um einzelne Kandidaten, sondern um einen Volksentscheid über dieses | |
wichtige Thema." | |
Begrenzte Mitsprache | |
Referenden sind in Hongkong so wenig vorgesehen wie eine baldige Direktwahl | |
aller 60 Abgeordneten und des Regierungschefs. China übernahm 1997 für | |
Hongkong das von den Briten praktizierte politische System, das der | |
Bevölkerung nur begrenzte Mitsprache gibt. Die von den Briten ohne | |
Zustimmung Pekings in letzter Minute durchgeführten demokratischen Reformen | |
nahm China zunächst zurück. Doch bekennt sich Peking in Hongkongs | |
Verfassung zur Demokratie als Ziel, lässt aber den Zeitpunkt offen. | |
Hongkongs Regierung hat auf Druck Pekings die in Umfragen gewünschte | |
Einführung allgemeiner Wahlen auf frühestens 2017 für den Regierungschef | |
und frühestens 2020 für das Parlament geschoben. Einziges Zugeständnis: Den | |
Regierungschef sollen bald 1.200 elitäre und pekingnahe Wahlmänner wählen | |
dürfen, statt wie bisher 800. | |
Jetzt ist der Rücktritt Leungs und seiner Freunde ein Aufreger - sowohl in | |
der lokalen Demokratiebewegung als auch im pekingfreundlichen | |
Regierungslager. Zum einen, weil nur eine Minderheit der pekingkritischen | |
Parteien den Plan unterstützt. Zwar kommen diese Parteien bei Wahlen auf | |
fast 60 Prozent der Stimmen, aber wegen des kolonialen Systems nur auf 23 | |
der 60 Sitze. Die größte pekingkritische Partei, die Demokratische Partei, | |
lehnt den Referendumsplan ab, weil er nur schwer zu vermitteln sei. Leung | |
schimpft auf die Partei, die vor allem die Mittelschicht vertritt: "Die | |
Demokraten machen jetzt, was Peking will. Sie sind eine loyale Opposition." | |
Der pekingkritische Gewerkschafter und Parlamentskollege Lee Cheuk-yan | |
kritisiert, dass "Langhaar" oft andere Parteien der Demokratiebewegung | |
angreife und so spalte. Das erschwere die Zusammenarbeit. Doch gebe es auch | |
eine informelle Arbeitsteilung: "Er attackiert den Gegner und macht ein | |
Thema publik. Ich räume dann die Scherben auf und erreiche Fortschritte | |
durch Verhandlungen. Die sind nicht Leungs Sache." Leung habe frischen Wind | |
ins System gebracht, doch inzwischen sei er berechenbar. | |
Der in Festland-China oft mit Einreiseverbot belegte Leung zeigt mit seinen | |
Aktionen, dass Hongkong weiterhin mehr Freiheiten hat als der Rest der | |
Volksrepublik. Peking hält sein Autonomieversprechen weitgehend ein. Doch | |
Leung ist inzwischen die Machtlosigkeit als Abgeordneter in einem nur | |
halbdemokratischen System leid. Den Legislativrat empfindet er als Farce. | |
Zwar ist er stolz, ihn aufgemischt zu haben, er sagt aber auch: "Es ist | |
ziemlich langweilig dort". Ein Geschäftsmann behauptet, Leung würde nicht | |
gewählt, hätte Hongkong echte Demokratie: "Dann wollten die Menschen ihre | |
Stimme doch nicht verschenken." | |
"Politischer Selbstmord" | |
"Leung hat viele Menschen davon überzeugt, dass Hongkongs Legislativrat | |
nutzlos ist", sagt Michael DeGolyer. Der Professor der Hongkonger Baptist | |
University macht regelmäßig Umfragen in der Stadt: "Leung wurde von denen | |
gewählt, die sehr unzufrieden sind." An eine Wiederwahl Leungs glaubt | |
DeGolyer aber nicht. "Bisher reichten zehn Prozent der Stimmen, um einen | |
der sieben Sitze in seinem Wahlkreis zu bekommen. Doch bei der Nachwahl | |
braucht er für den einen Sitz die Mehrheit der Stimmen." Leung könne nur | |
maximal mit einem Drittel der Stimmen rechnen. Der Referendumsplan sei | |
deshalb politischer Selbstmord. Er gefährdet zudem den Einfluss der | |
Peking-Kritiker. Rutschen diese unter ein Drittel der Sitze, kann die | |
Demokratiebewegung keine Verfassungsänderungen mehr verhindern. | |
Doch auch das pekingnahe Lager ist im Dilemma. Erst erklärten Vertreter die | |
bald anstehende Wahl zu einer normalen Nachwahl, sie sei eben kein | |
Referendum. Doch vergangene Woche verurteilte Chinas Regierung die Aktion | |
plötzlich als ein Referendum, das in der Verfassung nicht vorgesehen sei, | |
sowie als Herausforderung ihrer Autorität. Dieser Schwenk ist für Leung und | |
seine Freunde willkommene Werbung, doch tendieren die pekingnahen Parteien | |
jetzt nach dem Wink aus der Hauptstadt zum Wahlboykott. | |
Nachdem Leungs junge Fans das Büro strahlend verlassen haben, gibt er sich | |
trotz Risiken sicher: "Ich zeige den jungen Leuten, dass der Legislativrat | |
nicht heilig ist, sondern eine Bühne für die Menschen auf der Straße sein | |
kann. Meine Unterstützung wächst, gerade unter jungen Menschen." Auf dem | |
Weg zur U-Bahn sagt er: "Heute habe ich drei Studentengruppen getroffen. | |
Das sind wieder fünfzehn neue Wähler." | |
27 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |