# taz.de -- Debatte Olympische Spiele: Und es geht immer weiter | |
> Der antiisraelische Terror bei Olympia in München 1972 darf als | |
> Geburtsstunde der modernen Spiele gelten. Doch das IOC möchte die Spiele | |
> nicht mit Politik besudeln. | |
Bild: Ein Mitglied der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer Septemb… | |
Die XX. Olympischen Sommerspiele 1972 in München sind die eigentlichen | |
Vorfahren der heutigen Spiele. Die Bilder von den maskierten, bewaffneten | |
Männern, die sich an die Schlafräume heranpirschten, haben sich in die | |
Erinnerung eines jeden eingegraben, der damals alt genug war, um den ganzen | |
Tag vor dem Fernseher zu verbringen. Dieses Ereignis speist den | |
Sicherheitswahn und die Ausgabenorgien, die Olympia zu dem machen, was es | |
heute ist. | |
Die bittere Ironie der Olympischen Spiele 1972 in München: Sie sollten | |
genau den gegenteiligen Effekt haben; und das wäre ihnen wohl auch | |
gelungen, hätte die Wirklichkeit nicht eingegriffen. München sollte der | |
Welt zeigen, wie sehr sich Deutschland seit dem Ende des Krieges verändert | |
hatte. München sollte das Gegenteil von 1936 werden, als Hakenkreuze die | |
Reichshauptstadt überschwemmten und Adolf Hitler in der ersten Reihe | |
thronte. | |
München sollte die Leichtlebigkeit eines ausgelassenen Karnevals haben. Das | |
grandiose Glasdach des Stadions, eine Art modernes Himmelszelt über dem | |
Olympiastadion, war der Stolz der Stadt. Das millionenschwere D-Mark-Design | |
verströmte Offenheit und gute Laune. München als „Stadt der Lebensfreude“ | |
eben. | |
## Rekorde und Bauruinen | |
Damals, 1972, war es noch etwas Neues, dass olympische Budgets alle Rekorde | |
brachen und der Stadt Einrichtungen aufbürdeten, die sich – wie Kritiker | |
warnten – niemals selbst tragen würden. Das Rennen um die verheerendsten | |
Spiele, was die Kosten und die anschließend übrig bleibenden Bauruinen | |
betrifft, machte dann Athen 2004: 21 von 22 Veranstaltungsorten sind heute | |
ungenutzt, in den fantastischen Stadien blüht das Unkraut und liegt der | |
Müll. Das Londoner Budget von 15 Milliarden Euro ist viermal so hoch wie | |
ursprünglich geschätzt. | |
Von Anfang an hat die Münchner Olympiade gezeigt: Diese Spiele, die so | |
nett, jung, fröhlich und vor allem unpolitisch sein wollten, konnten sich | |
der Politik zu keinem Zeitpunkt entziehen. Nicht nur dass sich die DDR und | |
die osteuropäischen Länder über Westdeutschland als Gastgeber aufregten, | |
auch die afrikanischen Länder drohten mit Boykott, sollte die Mannschaft | |
des Regimes in Rhodesien (heute Simbabwe) antreten, wozu es dann nicht kam. | |
Auch Südafrika durfte nicht teilnehmen. China erklärte, es werde nicht | |
kommen, falls Taiwan mitmachen sollte – und kam dann auch tatsächlich | |
nicht. | |
Bis heute aber beharrt das IOC stur darauf, dass die Spiele unpolitisch | |
wären, obwohl das Gegenteil so offensichtlich ist. Das ist auch der Grund, | |
warum es sich weigert, eine Schweigeminute für die Opfer der Massaker von | |
1972 einzulegen, ungeachtet der intensiven Lobbyarbeit von US-Präsident | |
Obama, dem kanadischen Präsidenten, der Knesset und nahezu der gesamten | |
jüdischen Gemeinde weltweit. Der US-Sender NBC wollte für die Übertragung | |
der Eröffnungszeremonie eine Minute lang das Kommentatorenmikrofon | |
ausschalten. | |
Doch das IOC möchte die Spiele nicht mit der banalen Hässlichkeit der | |
Politik besudeln. Das würde den Spaß verderben. Aus irgendeinem Grund in | |
Ordnung war es für das IOC allerdings gewesen, dass die zerfetzte US-Fahne | |
vom World Trade Center 2002 bei der Eröffnung der Winterspiele von Salt | |
Lake City getragen wurde. Ob das etwas mit der Nationalität der Opfer zu | |
tun hatte? | |
## Deutschland ganz friedlich | |
Die Logik der Verleugnung des Politischen hat 1972 das Massaker erst | |
möglich gemacht. Die laxen Sicherheitsvorkehrungen sollten zeigen, wie | |
friedlich das neue Deutschland ist. Das olympische Dorf wurde damals von | |
einem knapp 2 Meter hohen Maschendrahtzaun eingefasst, Stacheldraht war | |
angesichts der Vergangenheit ein No-Go. Die Sicherheitsleute trugen | |
Freizeitanzüge. Nach der ersten Woche konnte wirklich jeder rein ins Dorf | |
und raus aus dem Dorf. | |
Nach dem Anschlag – bereits existierende Spezialkräfte blieben in den | |
Kasernen, weil man nicht von der Geheimniskrämerei des Kalten Krieges | |
lassen wollte – gab es ernsthafte Überlegungen, die Spiele abzubrechen. Das | |
wäre die angemessene Reaktion gewesen. | |
Aber das olympische Gesicht musste gewahrt und die laufenden Rennen mussten | |
gewonnen werden. Der olympische Geist würde über die Politik triumphieren, | |
egal wie hoch der moralische Preis dafür war. Nur eine Handvoll Athleten | |
bewiesen Charakter und packten ihre Sachen. | |
## Bayern als Opfer | |
Dass sich die Bayern als die eigentlichen Opfer des Terrors sahen, wurde in | |
Schlagzeilen von den wunderbaren, ja den wunderbarsten Spielen überhaupt, | |
die nun kaputt gemacht worden seien, rauf und runter geschrieben. Leute wie | |
Katarina Witt sagen bis heute: „Die Münchner profitieren vom Erbe der | |
Olympischen Spiele 1972 seit vierzig Jahren jeden einzelnen Tag. Von der | |
Infrastruktur über das weltweite Ansehen der Stadt bis hin zur | |
Nachhaltigkeit des Olympiaparks.“ | |
Die hässliche Wolke von München hängt seitdem über allen folgenden Spielen. | |
Die Sicherheitsbudgets sprengen jede Vorstellungskraft. Vier Jahre nach dem | |
Desaster kontrollierten in Montreal 16.000 Polizisten und Soldaten die | |
olympischen Spielstätten. In Barcelona 1992 patrouillierten 50.000 | |
Sicherheitsexperten, und die Hightech-Überwachungstechnologie kostete die | |
Stadt 250 Millionen Euro. | |
In Atlanta 1996 machte der Sicherheitsetat den größten Posten der gesamten | |
Veranstaltung aus. Bei den Vorbereitungen zu den Spielen in Athen | |
inhaftierten die Behörden ortsbekannte Linke und verdächtige Muslime – in | |
München hatte man damit erst nach den Morden begonnen. 2008 in Peking | |
bewachten um die 100.000 Soldaten die olympische Stadt. Und jetzt kommt | |
London. | |
Bis heute ist die Tragödie von München den Funktionären keine Minute ihrer | |
wertvollen Zeit wert. Trotz der unzähligen Dopingskandale, trotz der | |
unvermeidbaren Pleiten der Gastgeberstädte und der nationalistischen | |
Tendenzen, die befeuert und nicht etwa besänftigt werden: Die glorreiche | |
Olympiade, sie muss einfach weitergehen. Und wie auch nicht: Wenn die | |
Ereignisse vom 5. und 6. September 1972 den Spielen nichts anhaben konnten, | |
was sollte dem Spektakel jemals ein Ende setzen? | |
27 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Paul Hockenos | |
## TAGS | |
Olympische Spiele | |
Olympische Spiele | |
Olympische Spiele | |
Olympische Spiele | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anti-Olympia-Demo in London: „Keine Limos, Logos und Raketen“ | |
Grüne und Sozialisten protestieren am Samstag gegen das Olympia der | |
Konzerne. Sie finden, Geld wird woanders dringender gebraucht. | |
Überlebender des Olympia-Attentats 1972: „Ich gab mir selbst die Schuld“ | |
Elf israelische Sportler wurden bei den Olympischen Spielen 1972 von | |
palästinensischen Attentätern getötet. Dan Alon überlebte den Angriff. | |
Doku über Olympische Spiele 1972: Das große deutsche Scheitern | |
40 Jahre nach den blutigen Olympischen Spielen zeigt das ZDF „München 72“ | |
(20.15). Der Film von Regisseur Dror Zahavi nähert sich dem Terroranschlag | |
detailliert. |