# taz.de -- Debatte Iran: Persiens historisches Jahr | |
> Historiker sehen in der iranischen Protestbewegung bereits Parallelen zur | |
> konstitutionellen Revolution von 1909. Eine voreilige Hoffnung? | |
Bild: Ein schlechter Witz über Schah Mohammed Reza Pahlewi und seine Frau Fara… | |
Das Jahr 2009 ist für den Iran von historischer Bedeutung. Nicht nur, weil | |
der Widerstand in der iranischen Gesellschaft pünktlich zum 30. Geburtstag | |
der islamischen Revolution offen ausgebrochen ist, sondern auch noch genau | |
100 Jahre nach der konstitutionellen Revolution. Iranische Historiker | |
bezeichnen die gegenwärtige Freiheitsbewegung deshalb auch bereits als die | |
zweite konstitutionelle Revolution. | |
So beispielsweise Mohammad Amini, iranischer Historiker in den USA. Er legt | |
in seinem Essay "Die zweite konstitutionelle Revolution" dar, dass es eine | |
unverkennbare historische Parallele der aktuellen Bewegung zu den | |
Ereignissen am Beginn des 20. Jahrhunderts gibt. Sein gewichtigstes | |
Argument dabei ist der Brief, den Haschemi Rafsandschani im Juni an | |
Ajatollah Chamenei schrieb, nachdem die iranische Bevölkerung ihre | |
Unzufriedenheit mit dem Status quo mehr als deutlich gezeigt hatte. Darin | |
forderte Rafsandschani Chamenei auf, nicht weiter auf Konfrontation zur | |
eigenen Bevölkerung zu gehen, da die Islamische Republik nur noch durch | |
einen Kompromiss zu erhalten sei. Die Antwort Chameneis hat die Welt mit | |
eigenen Augen verfolgen können: Er erklärte dem iranischen Volk den Krieg. | |
Ähnlich unklug hatte sich 100 Jahre zuvor der herrschende Schah der | |
Kadscharen-Dynastie verhalten. Ihm hatte der Premierminister Amin-o-Doleh | |
aus Anlass der 1905 beginnenden Proteste einen Brief geschrieben: "König | |
aller Könige, verschließt Eure Augen nicht vor den Veränderungen, die | |
geschehen." Doch die Kadscharen hielten die Augen verschlossen. Einzig | |
Ministerpräsident Amir Kabir hatte es Mitte des 19. Jahrhunderts versucht, | |
das Land in die Moderne und das Zeitalter der Industrialisierung zu führen. | |
König Nasser Din Schah aber ließ Amir ermorden. Der spätere | |
Ministerpräsident Mossadegh war es, der die Ideen Amirs wieder aufgriff und | |
den Einfluss des Schahs weitgehend zurückdrängte. Am morgigen 19. August | |
gedenken die Iraner des Sturzes von Mossadegh, der 1953 in der von | |
Amerikanern und Briten gestützten "Operation Ajax" entmachtet wurde. Der | |
Schah kam zurück und die Iraner haben seitdem ein kollektives Trauma in | |
ihrem Streben nach demokratischen Veränderungen. | |
Die Ursachen für die Proteste, die 1909 zur konstitutionellen Revolution | |
führten, liegen in der Wirtschaftspolitik der Kadscharen-Dynastie. Nasser | |
Din Schah hatte den Briten die Tabakindustrie Persiens quasi gänzlich | |
überlassen. Nicht nur die Geistlichkeit, auch andere Bevölkerungsgruppen | |
protestierten gegen diesen "Ausverkauf" der persischen Reichtümer. Die | |
Protestbewegung, angeführt von Intellektuellen, Kaufleuten und einigen | |
wenigen Geistlichen, forderte die Abschaffung der absolutistischen | |
Monarchie und die Begründung eines konstitutionellen Rechtssystems mit | |
einer Verfassung und einem Parlament. Die Rolle der Geistlichkeit sollte | |
dabei eingeschränkt und säkulare Elemente sollten etabliert werden. Die | |
Macht des Wächterrates, der schon damals existierte und Gesetzesmaßnahmen | |
auf islamische Regeln überprüfte, sollte beschnitten werden. | |
Die Proteste waren erfolgreich. Bis 1979 Chomeini seinen rückständigen | |
Gottesstaat errichtete und den Wächterrat wieder zu einem Machtzentrum | |
etablierte. Auch hier zeigt sich eine historische Parallele zum heutigen | |
Konflikt: Die Iraner wünschen sich erneut eine Trennung zwischen Religion | |
und Politik und ein Teil der Geistlichkeit plädiert ebenso dafür. | |
Vor allem die Frauen spielten in der konstitutionellen Revolution eine | |
maßgebliche Rolle. Sie organisierten sich im Untergrund und hielten | |
Versammlungen ab. Mehrere Jahre vor der Abschaffung der | |
Zwangsverschleierung durch die Pahlewi-Dynastie waren es die Frauen der | |
konstitutionellen Revolution, die ihre Schleier abnahmen und selbstbestimmt | |
unverschleiert sein wollten. Die Pahlewi-Dynastie, seit 1925 an der Macht, | |
unterstützte zwar zunächst die Bestrebungen der Frauen, verbot aber aus | |
Angst vor dem Erstarken ihres Widerstands ihre eigenständige Organisierung. | |
So wie der Widerstand in Persien zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Frauen | |
geprägt war, so ist es auch der Widerstand im Iran zu Beginn des 21. | |
Jahrhunderts. Es sind in besonderem Maße Frauen, die die Fesseln der | |
Diktatur zu spüren bekommen und deshalb auch den größten Widerstand zeigen. | |
In der Geschichte Irans waren es also vor allem Frauen, die die Dynamik für | |
progressive Veränderungen in Gang gesetzt haben. | |
Ebenso wie die Wirtschaftspolitik der Kadscharen-Dynastie verfehlt war und | |
ihren Untergang beschleunigt hat, ist es in der heutigen Zeit die | |
Wirtschaftspolitik der Islamischen Republik, die sich unter Ahmadinedschad | |
zu einem besonders großes Desaster entwickelte. Populistische Geldgeschenke | |
haben die Staatskassen des Landes geleert und die Inflationsrate enorm | |
angeheizt. Dass ein Land mit den zweit- und drittgrößten Öl- und | |
Gasreserven dieser Welt eine Armutsquote von mindestens 60 Prozent hat, | |
verdeutlicht den katastrophalen Zustand der iranischen Volkswirtschaft. | |
Den Ausweg aus dieser perspektivlosen Misere hat die iranische Gesellschaft | |
Mitte Juni begonnen: eine Freiheitsbewegung, die für einen echten Wandel | |
eintritt. Ist es nun zu voreilig, schon jetzt von einer zweiten | |
konstitutionellen Revolution zu sprechen? Keineswegs. Auch wenn Amini in | |
seinem Essay nicht auf die historischen Parallelen im Hinblick auf die | |
Wirtschaft und die Rolle der Frauen eingeht, so ist sein Beitrag | |
bemerkenswert visionär. Seine These, dass die zweite konstitutionelle | |
Revolution im Sommer 2009 begonnen hat und nun die Ideale der Revolution | |
aus dem Sommer 1909 vollenden will, ist eine durchaus vertretbare Analyse | |
der gegenwärtigen Protestbewegung. | |
Die aus dem historischen Vergleich gewonnene Einschätzung, dass sich die | |
Islamische Republik aus ihrer größten Legitimationskrise mit großer | |
Wahrscheinlichkeit nicht mehr erholen kann, bedeutet jedoch nicht | |
zwangsläufig, dass sich auch der zunächst positive Ausgang und Erfolg der | |
Proteste von 1909 einstellen wird. Denn Geschichte wiederholt sich nicht. | |
Der Vergleich zeigt aber, dass, wer den Iran verstehen will, nicht an | |
seiner Geschichte vorbeikommt. | |
18 Aug 2009 | |
## AUTOREN | |
Saba Farazan | |
## TAGS | |
Jan Böhmermann | |
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