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# taz.de -- Das Leben ist ein Warenlager
> AUSSTELLUNG Auf großem Fischfang in der Bilderflut der sozialen Medien:
> C/O Berlin präsentiert die erste deutsche Werkschau von Viktoria
> Binschtok
Bild: Viktoria Binschtok: „Fried Chicken“ und „Red skirt“
von Brigitte Werneburg
Viktoria Binschtoks fotografisches Werk ist bahnbrechender Natur. Wie große
Fotografen und Fotografinnen vor ihr die Straßen der Großstadt erforschten,
so konsequent untersucht sie die visuelle Welt des Internet. Schon 2002
beschäftigte sie sich im Rahmen ihrer Abschlussarbeit in der Klasse Timm
Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig mit der
Kleinanzeige 2.0. Da war eBay gerade mal zwei Jahre alt, und Verkäufer
mussten damals noch nicht einmal ein Foto des Produktes hochladen, das sie
loswerden wollten.
Damals wurde gerade en masse ein altes bildungsbürgerliches Modell der
Welt ausgemustert: der Globus. Viktoria Binschtok ersteigerte die
aufgeständerten, oft von innen erleuchteten blauen Erdkugeln. Nicht alle,
aber viele. Und die stehen nun, noch immer verpackt, wie sie an die
Fotografin versandt wurden, im ersten ihrer Ausstellungsräume bei C/O
Berlin, anlässlich ihrer ersten deutschen Werkschau. Es ging ihr ja vor
allem um die Fotografien, mit denen die Globen im Internetauktionshaus
angepriesen wurden. Analog fotografierte sie die von ihrem
Computerscreenshot ab und vergrößerte sie auf ein einheitliches Format.
## Vermessung der Welt
Jetzt hängen diese Bilder an der Wand und rahmen ihre Raumskulptur, die im
Moment sehr an den Poststreik erinnert. Ihre Serie hat ja auch „Züge einer
Gesellschaftsreportage“ wie Matthias Harder in dem lesenswerten Essayband
zur Ausstellung richtig bemerkt. Denn der Globus ist zwar
Hauptbildgegenstand, doch oft ließ es sich gar nicht vermeiden, dass seine
Umgebung mit ins Bild ragte und damit Auskunft über den Habitus, also
Geschmack und Status seiner Besitzer, gab.
Nach eBay war es die Vermessung der Welt durch Google Street View, die
Binschtoks Interesse erregte. 2009 begann sie die Serie „World of Details“.
Dazu folgte sie zunächst dem Street-View-Fotoautomaten auf seinem Weg durch
New York und griff sich dabei die Bilder heraus, auf denen Passanten in den
Fokus der Maschine geraten waren. Anschließend suchte sie die Orte in der
New Yorker Wirklichkeit auf, um das Bild noch einmal aufzunehmen.
Für ihr eigenes Bild zoomte sie gewissermaßen gerne in das Automatenbild
hinein. Das heißt, sie fotografiert nur die Sterne auf dem Boden des
Sportplatzes, nicht mehr den Platz selbst, sie fokussierte nur den
überbordenden Zeitungsautomaten, nicht mehr das Gebäude und die Straße, wo
er steht. Mit Ausnahme der Autowerkstätte gerät bei ihr so gut wie nie ein
Passant ins Bild.
Viktoria Binschtok präsentiert „World of Details“ als Serie von Diptychen.
Dabei ist die Google-Street-View-Aufnahme ein kleiner, nur DIN A4 großer
schwarz-weißer Tintenstrahldruck, den die Künstlerin auf eine MDF-Platte
aufgezogen hat. Den ihr zugeordneten eigenen analogen C-Print hat sie mit
breitem Kreppband auf der Rückwand eines mehrere Zentimeter tiefen
Glasrahmens befestigt. Fast schaut es so aus, als sei der großformatige
Farbabzug in seinem Glaskasten festgepinnt wie sonst die Käfer in den
Objektkästen der Naturkundemuseen. Die bedachtsame Präsentation legt nahe,
dass die Assoziation der Trophäensammlung erwünscht ist.
Wenn auch ganz anders präsentiert und produziert, auf ihre aktuelle Serie
„Cluster“ trifft der Begriff der Trophäensammlung erst recht zu. Denn
„Cluster“ ist ein großer, im digitalen Zeitalter selbstverständlich
automatisierter Fischfang in der Bilderflut der sozialen Medien. Seitdem es
möglich ist, Bilder mithilfe von Bildern, ohne den Gebrauch von Begriffen
und Namen, zu suchen, speist Viktoria Binschtok eigene Bilder in ein
solches Programm ein. Deren Suchalgorithmus liefert dann ein Sample von
Bildern, die in Farbe, Form und Struktur oft frappante Ähnlichkeiten mit
dem Eingabebild aufweisen, inhaltlich aber in keinerlei Zusammenhang mit
ihm stehen.
Eine Auswahl aus dieser Auswahl stellte die Künstlerin später nach. Das
heißt, die Schürze aus Kalifornien, die die Suchmaschine fand, wurde von
Binschtok nachgeschneidert oder nachbestellt, um dann noch einmal so
fotografiert zu werden, wie sie im Netz auftauchte. Da es so keine
schlechten JPGs vom Mobiltelefon mehr gibt, ist in den von Binschtok
zusammengestellten Diptychen und Triptychen das Ausgangsbild nicht mehr zu
erkennen. Alle Bilder sind gleich. Weil gleich geboren. Und noch immer
erzählen sie die gleiche Geschichte wie die Globen: dass die Bildkultur im
digitalen Zeitalter vor allem eine sehr alltägliche, öde World of Products
ist. Viktoria Binschtoks Erkundung der digitalen Bilderwelt legt dies
ungeniert offen, um uns dann mit ihrer großen fotografischen Kunst doch auf
den obskuren − mal mehr surrealistischen, mal eher bauhäuslerischen −
Charme unseres Lebens als Warenlager aufmerksam zu machen.
Bis 16. August, C/O Berlin, Hardenbergstr. 22–24, täglich11–20 Uhr,
Begleitband (Kehrer Verlag) 24,90 Euro
9 Jul 2015
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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