| # taz.de -- Countrylegende George Jones: Schuld und Sühne | |
| > Der US-amerikanische Sänger George Jones ist einer der größten Halunken | |
| > im Showbusiness und erfreut sich allen Skandalen zum Trotz bester | |
| > Gesundheit. | |
| Bild: Ist der meistgespielte Künstler bei Bob Dylans Internetradio "Theme Time… | |
| Ich will nicht, dass meine Frau Dreck anfasst, deshalb kann ich nicht nach | |
| Hause gehen." - Der Song "I Cant Go Home" von 1967 gehört nicht zu den | |
| großen Hits von George Jones. Aber, kaum je wurde das zu verzweifeltem | |
| Selbsthass gesteigerte Schuldbewusstsein des vergnügungssüchtigen | |
| Herumtreibers drastischer und radikaler in einen Vers gepackt. | |
| Mit Schuld, Reue und Selbstanklagen kennt sich der mittlerweile 77-jährige | |
| US-Countrysänger George Jones aus. Niemand hat dieses Feld so glaubwürdig | |
| und andauernd beackert wie er. Zwei Albumsammlungen des Bremer | |
| Bear-Family-Labels geben nun Gelegenheit, sich mit George Jones, seinem | |
| Leben und seinem Werk auseinanderzusetzen: "Walk Through This World With | |
| Me" (fünf CDs) und "A Good Year For The Roses" (vier CDs). | |
| Bear Family steht seit Jahren für eine neue Editionspraxis, die der | |
| gewachsenen musikhistorischen Bedeutung der Popmusik Rechnung trägt. Hier | |
| werden in Multi-CD-Boxen Gesamtwerke präsentiert, chronologisch geordnet. | |
| Hinzu kommen aus den Archiven der Plattenfirmen zutage geförderte | |
| Aufnahmen, begleitet von Büchern im LP-Format, die mit historischen Fotos | |
| und Original-Albumcovern aufwarten können. Auch penible Besetzungslisten | |
| gehören dazu - aus denen man etwa entnehmen kann, dass der legendäre | |
| Nashville-Drummer Buddy Harman in Wirklichkeit Murrey mit Vornamen hieß. | |
| Man spürt, hier ist Gründlichkeit am Werk, muss aber auch konstatieren, | |
| dass so die Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten gelegt wird. | |
| Eine solche Behandlung, die sonst eher das Werk von Großliteraten erfährt, | |
| wird so nun den Aufnahmen des polytoxikomanen Quadratschädels George Jones | |
| zuteil, die er zwischen 1965 und 1971 für das Label Musicor einspielte. Das | |
| Leben von George Jones ist ja eine schmuddelige, unmoralische | |
| Schelmenfantasie, die sich auch Nabokov oder John Irving nicht grotesker | |
| und unrealistischer hätten ausdenken können. | |
| Eine wichtige Rolle kommt dabei den Sidekicks zu, wie etwa Pappy Daily - | |
| schon der Name kann eigentlich nur ausgedacht sein. Aber nein: Harold | |
| Daily, wie er eigentlich hieß, war ein typischer Vertreter jener etwas | |
| windigen Kleingewerbetreibenden, die es vor allem in den Fünfziger- und | |
| Sechzigerjahren im Musikgeschäft der USA in großer Zahl gab. Er arbeitete | |
| in den Diensten von United Artists, beteiligte sich aber mit privatem Geld | |
| am UA-Sublabel Musicor. Er schaffte es, den bei UA unter Vertrag stehenden, | |
| nur leidlich erfolgreichen, aber perspektivreichen Nachwuchssänger Jones zu | |
| Musicor hinüberzubugsieren, und ließ ihn fast ausschließlich Songs | |
| aufnehmen, die er in seinem Musikverlag verlegte. | |
| Auch die Produktion übernahm er selbst - allerdings nur auf dem Papier: | |
| "Die meisten Leute denken, Pappy sei der Produzent gewesen, aber das war er | |
| nicht", wird Jones im Booklet von "Walk Through This World" zitiert. "Er | |
| buchte das Studio und füllte die Formulare aus. Die Arrangements haben die | |
| Musiker und ich im Studio ausgetüftelt." | |
| Viel Zeit blieb ihnen dafür nicht, denn Nashville war schon damals ein | |
| großer musikalischer Industriebetrieb und Pappy Daily einer seiner | |
| schärfsten Schinder: "Heutzutage arbeiten Künstler zwei oder drei Tage an | |
| der Aufnahme eines Songs", so Jones. "Als ich bei Musicor war, nahm ich ein | |
| ganzes Album in drei Stunden auf, auch wenn das gegen die Vorschriften der | |
| Musikergewerkschaft verstieß. Wir hatten einen Take pro Song, Pappy Daily | |
| hörte sich einmal alles an und dann brüllte er: ,Abschicken!' Am nächsten | |
| Tag waren die Aufnahmen im Presswerk." | |
| Rund 280 Aufnahmen kamen so für Musicor zustande, sie finden sich in diesen | |
| beiden Boxen (und einer weiteren, die die Duette enthält, die Jones mit | |
| Gene Pitney, dem seinerzeit größten Musicor-Star, aufnehmen durfte). Sie | |
| zeigen Jones als Rohdiamanten, dem nicht immer alles gelingt, was er | |
| anpackt, und der nicht immer mit erstligareifem Songmaterial ausgestattet | |
| wird. Die Möglichkeiten, die er und die Musiker mit diesen Kompositionen | |
| haben, bewegen sich innerhalb der Grenzen jenes Sounds für die Jukeboxes | |
| der Truck Stops und Honky Tonks, der die ländlichen Gebiete der USA in den | |
| Sechzigerjahren definiert - der Sound des "Okie From Muskogee" oder auch | |
| jener Rednecks, die den Bikern etwa in dem Film "Easy Rider" den Garaus | |
| machen. | |
| Auf der anderen Seite ist den Textern dieses Genres nichts Menschliches | |
| fremd. So erkennt man auch die Höhepunkte der beiden George-Jones-Boxen, | |
| wie oft im Country-Genre, am Titel: "Hangin On To One (And Hangin Round The | |
| Other)", "Tell Me My Lying Eyes Are Wrong", "There Aint No Grave Deep | |
| Enough", "Divorce Or Destroy". Hier künden sich jene existenziellen | |
| Schuld-und-Sühne-Dramen an, bei deren Aufführung es Jones scheinbar immer | |
| nur unter größter Anstrengung vermeidet, in Tränen auszubrechen. | |
| In Wahrheit neigt sich die Balance in seinem Leben wohl eher in Richtung | |
| Schuld. Vor allem Frauen bekamen es dicke, wenn Jones in Alkohol- und | |
| Kokainwahn die Sicherungen durchbrannten. Ehefrauen, Geliebte, | |
| Zufallsbekanntschaften wurden geschlagen, gewürgt und mit Waffen bedroht, | |
| wie Randall Rieses Genre-Skandalbuch "Nashville Babylon" zu berichten weiß, | |
| das Jones ein eigenes Kapitel widmet. | |
| Aber auch sein langjähriger Saufkumpan Earl "Peanut" Montgomery, der Bruder | |
| von Jones langjähriger Duett-Partnerin Melba Montgomery, der als Songwriter | |
| einige der Highlights in Jones Repertoire verantwortete, wurde nicht | |
| verschont. Als er eines Tages zu Gott fand und dem sündigen Treiben | |
| abschwor, schoss Jones auf ihn mit den Worten: "Wir wollen doch mal sehen, | |
| ob dein Gott dich auch hiervor beschützen kann." Und sehet: Gott beschützte | |
| Peanut und ließ die Kugel einige Zentimeter neben ihm einschlagen - und | |
| verhinderte so auch ein unrühmliches Ende der Jonesschen Sangeskarriere, | |
| vielleicht eingedenk der Tatsache, dass der auch mehrere Alben mit | |
| religiösen Besinnungsliedern eingesungen hatte. Die meisten dieser Skandale | |
| ereigneten sich nach der Musicor-Zeit, als Jones seiner Gattin und | |
| bevorzugten Duett-Partnerin Tammy Wynette zu Columbia und zum Produzenten | |
| und Songwriter Billy Sherrill (weltbekannt etwa durch Tammys "Stand By Your | |
| Man") gefolgt war. | |
| Er musste nun nicht mehr selbst arrangieren, stattdessen kreierte Sherrill | |
| am Fließband dramaturgisch feinst durchdachte Minidramen für ihn - was | |
| Jones vielleicht zu viel Freizeit verschaffte. Jedenfalls waren die | |
| Siebziger Jones künstlerisch wagemutigstes und erfolgreichstes Jahrzehnt, | |
| aber menschlich wohl sein finsterstes. "Nashville Babylon" listet endlos | |
| Verhaftungen wegen Trunkenheit am Steuer und Waffenbesitz sowie häusliche | |
| Gewalt und vor allem immer wieder ohne Grund abgesagte Konzerte auf, was | |
| ihm den Spitznamen "No Show Jones" einbrachte und ihn aufgrund der damit | |
| verbundenen Vertragsstrafen an den Rand des Bankrotts führte. | |
| Seine Kollegen Johnny Cash und Waylon Jennings, beide selbst dem Rausch | |
| durchaus zugeneigt, halfen ihm finanziell aus der Patsche. Man möchte | |
| meinen, wie die beiden hätte Jones irgendwann für dieses Leben den | |
| bekannten Preis zahlen oder als vom Leben gezeichneter Rentner irgendwo in | |
| Florida der Wiederentdeckung durch Rick Rubin oder Jack White | |
| entgegendämmern müssen. | |
| Aber nein: Heute geht es Jones besser als je zuvor. Er erfreut sich bester | |
| Gesundheit, ist seit über zwei Jahrzehnten mit derselben Frau verheiratet | |
| und absolviert weit über hundert Auftritte im Jahr. Darüber hinaus | |
| vermarktet er Barbecuesoßen und drei Sorten "George Jones Country Sausage" | |
| (natürlich nach eigenem Rezept), mit schillernden Anekdoten aus seinem | |
| Leben auf der Verpackung. Er unterhält in Nashville eine Boutique, im | |
| Städtchen Enterprise (Alabama) ein Diner, dessen Wände voll sind mit | |
| Jones-Memorabilia, den Themenpark "Country Crossings" in Dothan (Alabama) | |
| und das Label Bandit Records, auf dem er neben eigenen Aufnahmen | |
| "einzigartige interessante Projekte von künstlerischer Integrität" | |
| herausbringt, "die sich frei vom Druck der großen Plattenfirmen entfalten" | |
| sollen. Und an der "George Jones University" lernen Nachwuchsmusiker die | |
| Gepflogenheiten im Musikgeschäft. Wie gesagt: ein Schelmenroman. Ohne | |
| Moral. | |
| 19 Sep 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
| ## TAGS | |
| Country | |
| New Orleans | |
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