| # taz.de -- Chilenische Film "La Nana - Die Perle": Verengte Welt | |
| > Ohne Klischees erzählt der chilenische Film "La Nana - Die Perle" von | |
| > einem Hausmädchen. Ganz auf das "Innere" eines fremden Hauses | |
| > konzentriert, hat es nie gelernt, sich selbst zu erforschen. | |
| Bild: Dass sie mit ihrer Situation unzufrieden sein könnte, kommt der Protagon… | |
| Ein Titel wie "La Nana - Die Perle" hat es in sich, weil er nicht nur die | |
| Hauptperson, sondern mit ihrer Rolle auch eine Konstellation, ein Setting | |
| benennt. Mehr noch: der Titel gibt im Grunde eine Art Vorschau darauf, dass | |
| hier eine ganze Gesellschaft aus einem bestimmten Blickwinkel heraus | |
| interpretiert wird. Die Geschichte eines Hausmädchens - da glaubt man immer | |
| schon zu wissen, um was es geht: um den unversöhnlichen Gegensatz von | |
| privilegiert und ausgebeutet, um Macht und Ohnmacht, um Sehen und | |
| Übersehenwerden. | |
| Doch diese vermeintliche Vorhersehbarkeit durchbricht der chilenische | |
| Regisseur Sebastián Silva gleich zu Anfang seines Films, indem er seine | |
| Geschichte mit einer Verkehrung der Verhältnisse beginnt: Weil "La Nana", | |
| das Hausmädchen Raquel (Catalina Saavedra), Geburtstag hat, darf sie sich | |
| heute an den bereits gedeckten Tisch setzen und sich bedienen und | |
| beschenken lassen. Es ist eine Umstellung, die dem Hausmädchen schwerer | |
| fällt als ihrer "Herrschaft". Sie sei doch längst ein Familienmitglied, | |
| heißt es in der lebhaften Runde, doch gleichzeitig wird das Gegenteil ganz | |
| offenkundig. | |
| Unter den aufgeweckten, zum Teil fast erwachsenen Kindern agiert Raquel | |
| unsicher, zur Konversation am Tisch hat sie nichts beizutragen. Auch zwei | |
| Jahrzehnte engstes Zusammenleben können das Sozial- und Bildungsgefälle | |
| zwischen ihr und ihren Arbeitgebern nicht ausgleichen. Was im Übrigen von | |
| allen Seiten hingenommen wird. So groß ist die gegenseitige Vertrautheit, | |
| dass man sich selbst an die Momente von Steifheit, Unbehaglichkeit und | |
| Peinlichkeit im Umgang miteinander gewöhnt hat. | |
| Mit natürlichem Licht und häufigem Einsatz der Handkamera gefilmt, bleibt | |
| Regisseur Silva stets nah an seiner Protagonistin. Ihr einziger | |
| Rückzugspunkt ist eine sparsam möblierte Kammer, in der ein Fernseher, ein | |
| schmales, mit Stofftieren dekoriertes Bett und ein Nachttisch stehen. Von | |
| hier aus beginnt sie ihr eintöniges Tagewerk: sie weckt die Kinder, macht | |
| ihnen Frühstück, bringt dem Patron den Kaffee ans Bett, macht sauber, wenn | |
| alle ausgeflogen sind. Nur zur Gartenarbeit verlässt sie und mit ihr die | |
| Kamera das Haus. | |
| Es braucht keine Klischees über Dienstbotenausbeutung, weder keifende | |
| Herrinnen noch sexuell anzügliche Herren, um zu merken, dass die Krux schon | |
| in dieser Begrenzung liegt. Raquel, die als junges Mädchen diesen Job | |
| antrat, ist nun eine Frau Anfang 40, ungebildet, kinderlos, ohne Partner. | |
| Ganz auf das "Innere" eines fremden Hauses konzentriert, hat sie nie | |
| gelernt, ihr eigenes Innen zu erforschen. | |
| Dass sie mit ihrer Situation unzufrieden sein könnte, kommt ihr gar nicht | |
| in den Sinn. Weshalb sie sich auch gegen die immer häufiger werdenden | |
| Kopfschmerzen und Ohnmachtsanfälle keinen Rat weiß. Als man eine zweite | |
| Bedienstete einstellt, um sie zu entlasten, reagiert sie auf den ersten | |
| Blick völlig unverständlich. Sie will keine Arbeit abgeben, sabotiert und | |
| schikaniert die "andere" in jeder Hinsicht. Mit einigem Erfolg: bevor | |
| irgendjemand begreift, was mit ihr los ist, versucht schon das dritte | |
| Mädchen, es neben ihr auszuhalten. Die Situation scheint sich weiter | |
| zuzuspitzen, der Haushalt wird zum Schauplatz eines immer gefährlicheren | |
| Duells. | |
| Was diesen kleinen Film nun so bemerkenswert und anders als die üblichen | |
| "Hausmädchen"-Filme macht, ist Regisseur Silvas Abkehr von der üblichen | |
| Dramaturgie der Eskalation. Ohne den allgemeinen gesellschaftlichen | |
| Hintergrund für den sich aufbauenden Konflikt aus den Augen zu verlieren, | |
| legt er die individuelle psychologische Seite daran offen. Damit erst wird | |
| aus Raquel - von Catalina Saavedra mit faszinierend verschlossener | |
| Eindringlichkeit gespielt - nicht nur eine "Type", eine Chiffre der | |
| ungerechten Wohlstandsverteilung, sondern eine Person. Und als solche | |
| bleibt Raquel selbst in ihrer bitteren Selbstversteinerung erreichbar. | |
| Manchmal, so legt Silvas Film unspektakulär, aber erfahrungsgesättigt nahe, | |
| reichen wenige menschliche Gesten, ein kleines Entgegenkommen, und nicht | |
| alles wird anders - aber manches wird besser. BARBARA SCHWEIZERHOF | |
| 16 Jun 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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| Spielfilm | |
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