# taz.de -- Bundestagsbuch von Roger Willemsen: Einfach nur zuschauen | |
> Ein Jahr lang saß Roger Willemsen als Besucher im Bundestag, hat | |
> beobachtet und protokolliert. Daraus ist ein ernüchterndes Buch | |
> entstanden. | |
Bild: Ganz links im Bild: die Zuschauertribüne des Deutschen Bundestages. | |
Eine gute Idee hat er da gehabt, der Autor Roger Willemsen. Eigentlich eine | |
ganz einfache Idee. Ein Jahr lang hat sich Willemsen im Bundestag auf die | |
Besuchertribüne gesetzt, hat zugehört und beobachtet. Er hat nichts | |
gefragt, nur geschaut und schließlich das Erlebte aufgeschrieben. | |
Eine bescheuerte Idee, denkt sich jeder, der von Berufs wegen aus dem und | |
über den Bundestag berichtet. Es gibt wenig Enervierenderes, als sich | |
stundenlang auf diese grauen Bänke im zweiten Obergeschoss zu setzen und | |
den Abgeordneten zuzuschauen. Hier, man weiß das, wird eh nur Politik | |
markiert, das Konkrete ist längst anderswo ausgehandelt und abgemacht. Für | |
eine Überraschung könnte allenfalls hin und wieder ein Abstimmungsergebnis | |
sorgen. Doch selbst die bleibt zuverlässig aus. Umso dankbarer muss man | |
Roger Willemsen sein, dass er es auf sich genommen hat, ein Jahr lang im | |
parlamentarischen Halbdunkel auszuharren. | |
Der Berichtszeitraum ist klug gewählt. 2013 war das Wahljahr, mithin Ende | |
und Neubeginn einer Legislatur. Tatsächlich würde etwas Unerwartetes | |
eintreten: ein Koalitionswechsel. Schwarz-Gelb verliert, Schwarz-Rot kommt, | |
die Liberalen fallen nach sechseinhalb Jahrzehnten aus dem Parlament. | |
Dazwischen monatelanger Parteienwahlkampf; rhetorische | |
Profilierungsscharmützel, ausgetragen auf Kosten der Realpolitik. | |
Dass wir all dies von Roger Willemsen erzählt bekommen, ist ein Glücksfall. | |
Er verfügt über jene akademisch-ironische Sprache, der man gern folgt und | |
die dem „Hohen Haus“ jenen Respekt zollt, den die Abgeordneten immer wieder | |
vermissen lassen. Anders würde man das beschriebene Einerlei der | |
Sitzungswochen kaum ertragen wollen. | |
## Rühmen und danken | |
Was, fragt Willemsen gleich zu Beginn seines Buchs, was verrät der Zustand | |
des Parlaments über den des Landes? „Die Verfassung meint: Die | |
Entscheidungsgewalt liegt bei der Regierung, das Parlament kontrolliert | |
diese Regierung. Die Wahrheit ist: Regierungsparteien kontrollieren das | |
Kabinett nicht, vielmehr begleiten sie sein Tun repräsentativ, meist | |
rühmend und dankend. Die Opposition sieht ohnmächtig zu und wird angesichts | |
der langen vergeblichen Arbeit unbeherrschter und böser.“ | |
Die Folge sind Pöbeleien und Ignoranz. Allein dass Willemsen einfach mal | |
die üblen Zwischenrufe während der Debatten verschriftlicht, ist ein | |
Gewinn. Selbst Kindern mit ihren starken Gefühlen würde man verbieten, in | |
dieser Weise mit anderen Menschen umzuspringen. | |
## Zoom in die Realität | |
Was fehlt – dies wird der Autor nicht müde zu beklagen – sind echte | |
Auseinandersetzungen. Schon dieses Wort „Parlament“ sage es doch: „Das | |
Parlament ist der Raum, in dem alles spricht“, in dem Handeln durch | |
Sprechen vollzogen werden kann. Parlamente waren von Alters her die erste | |
Adresse für die freie Rede. Doch hier, im deutschen Parlament, seien | |
Debatte, Abwägung, Entscheidung und Handlungsanleitung geronnen zur | |
„Veröffentlichung der Politik“. Echte Erregung fänden die Parlamentarier | |
einzig im brachial vorgetragenen Dissens. Und der bleibt folgenlos. Wollen | |
Politiker tatsächlich etwas Inhaltliches zu Gehör bringen, gehen sie | |
mittlerweile lieber in Talkshows oder geben lange Interviews. Das Parlament | |
und seine Debatten – konstatiert Willemsen besorgt – sind für die | |
Meinungsbildung der Wähler dauerhaft unattraktiv. | |
Nur hin und wieder blitze so etwas wie echtes Interesse an denen auf, die | |
die Parlamentarier vertreten: den Bürgerinnen und Bürgern. Wenn während | |
einer agrarpolitischen Debatte ein Abgeordneter aus seiner Arbeit als | |
Veterinär berichtet oder wenn beim Thema Pflege eine Linke-Politikerin | |
schildert, wie demente Patienten den Putzlappen als Waschlappen gebrauchen. | |
Diese Momente, schreibt Roger Willemsen, „wirken wie Zooms in existenzielle | |
Situationen und sind bisweilen so real, dass sich ein Missverhältnis auftut | |
zwischen dem Anschauungsbericht und der politischen Konsequenz. Es sind die | |
Momente, in denen die Realität die Politik blamiert, weil diese so fern | |
ist.“ | |
„Das Hohe Haus“ ist ein ernüchterndes Buch. Durch seine geschliffene | |
Wortwahl, die klugen Gedankengänge, die Roger Willemsen mit seinen Lesern | |
durchstreift, schaut man tief hinein in das parlamentarische System – also | |
in das, was als solches ausgestellt wird. Besser ist es eben nicht, was | |
dort im Reichstag aufgeführt wird. Aber es könnte, es müsste besser werden. | |
Ein Blick auf diktatorisch geführte Staaten würde schon genügen, um eine | |
gewisse Demut gegenüber den parlamentarischen Möglichkeiten dieses Landes | |
zu empfinden. Doch es steht zu befürchten, dass niemand diesen Blick wagt. | |
Nicht so lange die Mehrheitsverhältnisse so sind wie in dieser gerade erst | |
beginnenden Legislatur. | |
16 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
## TAGS | |
Bundestag | |
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