Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bühne Chatroulette: Vom Tode gelangweilt
> Ein Künstlerpaar inszeniert einen Selbstmord im Internet-Portal
> Chatroulette. Ihr Video zeigt: Die Zuschauer reagieren schockierend
> gelassen – fingierte Suizide sind sie gewohnt.
Bild: Schnell den Toten fotografieren, sonst glaubt es ja keiner.
BERLIN taz | Was macht man als erstes, wenn man einen Selbstmord sieht?
Fotografieren! Zumindest bei [1][Chatroulette], einer Internet Seite, die
Besucher wahllos zu Videochats zusammenwürfelt. Normalerweise sieht man da
schräge Gestalten, seltsame Kostüme und vor allem viele, viele
Geschlechtsteile. So richtig schockieren kann erfahrene Chatroulette-Nutzer
deshalb fast nichts mehr – eben auch kein Toter, der vor der Kamera mit
einem Strick um den Hals von der Decke baumelt.
Die Reaktionen der Online-Zuschauer auf so einen vermeintlichen Selbstmord
zeigt nun das [2][Video] „No Fun“: Sie reichen von Misstrauen, über
Desinteresse, bis hin zu Belustigung und Anfeuerungsrufen. Ein User
beschimpft den Erhängten sogar noch und schreibt „Ur a a shit, u have to
die“, eine andere packt erstmal ihre Digital-Kamera aus und macht ein Foto
vom Bildschirm, man weiß ja schließlich nie, wofür so ein Bild noch gut
sein kann.
Mit solch abgebrühten Reaktionen hatten die Macher des Videos scheinbar
nicht gerechnet: Eva Mattes, die eine Hälfte des Netz-Künstler Duos
0100101110101101.org sagte, manchmal sei sie schockiert gewesen, was die
Chat-Teilnehmer da auf der anderen Seite des Bildschirms machten – und das
wolle etwas heißen, weil sie sonst nicht leicht zu beeindrucken sei.
Der Selbstmord und das Video dazu sind eine Online-Performance, die Mattes
zusammen mit ihrem Partner Franco Ende April gemacht hat. Nix passiert
also, alle gesund und alles nur ein Kunstwerk, was genau die beiden damit
aber eigentlich bezwecken wollten, bleibt unklar.
Erstmal aber hat es vor allem dazu geführt, dass in verschiedenen Blogs
([3][mercedes-bunz] und [4][spreeblick]) darüber diskutiert wird, was man
selber wohl tun würde, wenn man bei Chatroulette so einen Selbstmord sehen
würde – unwahrscheinlich ist das nämlich ganz und gar nicht.
Denn neben „No Fun“ gibt es bei Youtube dutzende weiterer Videos, die die
Reaktionen von Chatroulette-Nutzern auf [5][Erhängte], übel zugerichtete
[6][Leichen] und [7][Erschießungen] vor dem Bildschirm zeigen. Kunst soll
das nicht sein, wohl eher lustig, denn meistens versuchen irgendwelche
Teenager so die Menschen auf der anderen Seite des Bildschirms zu
erschrecken.
Mittlerweile aber haben die fingierten Selbstmorde in Chatroulette so
inflationär zugenommen, dass sich durch Zufall zwei vermeintliche
Selbstmörder begegnen, die sich dann gegenseitig [8][erschrecken]. Kein
Wunder also, dass die meisten Chat-Teilnehmer auf die Installation von Eva
und Franco Mattes ziemliche gelassen reagierten – Menschen, die vor der
Chatroulette-Kamera von der Decke baumeln, sind sie schon lang gewöhnt.
Es ist klar, dass solche Witzchen in etwas so lustig sind wie im Baggersee
den Ertrinkenden zu markieren. Bleibt also die Frage, ob es dann
tatsächlich noch ein Selbstmord- Video a la „No Fun“ braucht,
Kunstinstallation hin oder her. Die Macher sind in der Kunstwelt keine
Unbekannten, ihre Videos über seltsame Performances in Second Life oder die
Entführung eines Nike-Logos kann man in Ausstellungen auf der ganzen Welt
sehen. Vielleicht wollten sie auch Menschen abseits des Internets vor die
Frage stellen, wie sie wohl in so einer Situation reagiert hätten.
Vielleicht wollten sie aber auch nur anprangern, wie verroht doch die
Jugend heutzutage durch die Medien schon ist.
Dabei darf man nicht vergessen, dass es in der Vergangenheit schon mehrmals
zu tatsächlichen Suiziden im Netz gekommen ist, live, vor der Webcam. 2008
nahm in den USA ein [9][19-Jähriger] auf der Plattform Justin.tv vor einer
Kamera Pillen, bereits ein Jahr zuvor übertrug ein [10][Brite] seinen
Suizid im Internet. In beiden Fällen berichteten die Medien danach, die
Zuschauer hätten die Selbstmörder nicht ernst genommen oder zumindest viel
zu spät reagiert.
Ähnliches könnte nun auch bei Chatroulette passieren, schließlich wissen
die meisten Nutzer schon heute nicht mehr, ob ein Selbstmord echt ist. Die
meisten werden also auch in Zukunft skeptisch reagieren oder gelangweilt,
ist ja wahrscheinlich eh alles nur Spaß - oder eben eine Online-Performance
von irgendwelchen Künstlern.
15 May 2010
## LINKS
[1] http://chatroulette.com/
[2] http://0100101110101101.org/home/nofun/index.html
[3] http://www.mercedes-bunz.de/2010/05/what-happens-if-you-find-a-hanging-man-…
[4] http://www.spreeblick.com/2010/05/12/vor-chatroulette-rumhangen-oder-wie-ha…
[5] http://www.youtube.com/watch?v=bpOe9DxYr9I
[6] http://www.youtube.com/watch?v=TSev2o1zRQQ
[7] http://www.youtube.com/watch?v=w_YH3XBon3o
[8] http://www.youtube.com/watch?v=bUzEYT1_tg4
[9] http://en.wikipedia.org/wiki/Justin.tv
[10] http://en.wikipedia.org/wiki/Kevin_Whitrick
## AUTOREN
Christoph Gurk
## ARTIKEL ZUM THEMA
Chatroulette: Penis. Zack. Penis. Zack. Penis.
Chatroulette würfelt wahllos wildfremde Leute zum Video-Chat zusammen. Da
kann man auf einen Exhibitionisten treffen – aber auch auf einen Plüschhai.
Ein Protokoll.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.