Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Chatroulette: Penis. Zack. Penis. Zack. Penis.
> Chatroulette würfelt wahllos wildfremde Leute zum Video-Chat zusammen. Da
> kann man auf einen Exhibitionisten treffen – aber auch auf einen
> Plüschhai. Ein Protokoll.
Bild: Mit F9 gehts weiter zur nächsten Überraschung. Zum Beispiel ein Mann, d…
BERLIN taz | Ein alter Mann im BH schaut mich an. Eine Sekunde, zwei, dann
wird es schwarz, und es erscheinen zwei Jungs, verkleidet als Spiderman.
Es ist Freitagabend und ich sitze mit einem Bier vor meinem Computer. Seit
einigen Wochen geistern absonderliche Fotos und Filmchen durchs Netz:
Menschen, die per Videochat miteinander tanzen, sich verkleiden, ihre
Brüste zeigen, sich beschimpfen oder zusammen Gitarre spielen. Es gibt
Gerüchte von inszenierten Selbstmorden, von sprechenden Tieren, es soll
einen Katzenmenschen geben und jemanden, der vor laufender Kamera
Zaubertricks macht.
Die Idee von [1][Chatroulette] ist simpel, so etwas wie eine Mischung aus
Skype und normalen Chatprogrammen: Zwei Bildschirme sieht man auf der
Website, einer für mich, einer für den Partner, mit dem man per Zufall
zusammengewürfelt wird und dann chatten soll. F9 heißt weiter zum nächsten
User, wenn man dem virtuellen Gegenüber nicht gefällt, klickt der einen
einfach weg, es gibt weder eine Zurück- noch eine Holdtaste.
Vor fünf Minuten habe ich Start gedrückt, seitdem sind bestimmt über 40
Menschen durch das obere Fenster gerauscht. Emo-Kid. Zack. Älterer Herr.
Zack. Penis. Zack. Drei Mädchen. Zack. Penis. Zack. Penis. Zack. Penis.
Seit Ende letzten Jahres gibt es Chatroulette, niemand weiß woher es kommt
oder wer es gestartet hat, die IP-Adresse ist in Holland registriert –
anonym. Bis jetzt gab es weder Werbung noch großartige
Medienaufmerksamkeit, trotzdem sind im Schnitt bis zu 20.000 Menschen
gleichzeitig online, die sich unterhalten und durch fremde Wohnzimmer
klicken.
Sonderlich Spaß macht es bis jetzt noch nicht, ein Araber zeigt mir den
Stinkefinger, ein Plüschhai hat einen Zettel in der Schnauze auf dem
„Boobs, plz“ steht. Mit mir reden will niemand, dafür gibt es einen Haufen
Exhibitionisten, die mir ihr bestes Stück zeigen wollen. Statt den
Trenchcoat zu öffnen, müssen sie nur F9 drücken, Flitzen 2.0.
Drei Soldaten, die ein Lied singen. Zack. Gelangweilter Typ. Zack. Leeres
Wohnzimmer. Zack. Chinesin. Immer noch. Immer noch! Mein Puls steigt. Was
soll ich sagen? Hallo? Auf Englisch? Oder einfach Hi? Eine Frage stellen?
Winken?
Sie: Wad up?
Ich: Hi.
Sie: Where ya from?
Ich: Berlin.
Sie: Cooool! Snow?
Ich: A lot.
Sie: COOOL!
Sie drückt F9, das Gespräch ist aus.
Das war schon mal nicht schlecht, das nächste Mal vielleicht nicht übers
Wetter reden. Weiter also, ich werde mutiger, winke manchmal, schreibe
Leute an, chatte mit einem Pariser, der gerade einen Burger isst (sehr
lecker), sehe einem Typen zu, der auf seinen Bauch mit Edding ein Gesicht
gemalt hat und damit Grimassen macht (später will er 40 Pfund von mir, als
Bezahlung) und diskutiere über Bollywood Pop.
Nach einer Stunde ist die Verteilung klar: Es gibt zehnmal mehr Jungs als
Mädchen, und die sind immer mindestens zu zweit. Etwa jeder sechste
Zufalls-Partner ist ein Penis, dafür kann etwa ein Viertel aller Leute
irgendwas besonderes, ist verkleidet, tanzt oder spielt Flöte.
Chatroulette ist deshalb wie ein Haufen verrückter Youtube Videos – der
Unterschied ist, dass man mittendrin ist, denn die Leute reagieren, man
kann sie anfeuern, man kann selber Grimassen schneiden, klatschen, Buh
rufen oder lachen.
Nach einer weiteren Stunde habe ich mit einem Metal-Fan gemosht und mit
einer Londonerin Tee getrunken, ich habe mich mit einem Dortmunder Kiffer
über Marihuana- Handel unterhalten und wurde von einem älteren Herrn
angegraben. Anders als Facebook und andere Social-Network-Seiten ist
Chatroulette nicht dazu da, alte oder neue Freunde zu finden, es gibt keine
Suchfunktion, keine Profile. Es geht um Smalltalk, nicht um Freundschaft,
eine riesige, bizarre Party, und alle, wirklich alle, können kommen.
Mittlerweile ist es halb zehn, seit drei Stunden bin ich bei Chatroulette.
Ich weiß nicht, ob ich im wirklichen Leben schon mal in so kurzer Zeit mit
so vielen Leuten geredet habe. Ich könnte jetzt weggehen, in einen Club, in
eine Bar. Stattdessen hol ich mir noch ein Bier. F9. Zack. Der Nächste,
bitte.
15 Feb 2010
## LINKS
[1] http://chatroulette.com/
## AUTOREN
Christoph Gurk
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.