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# taz.de -- Briefwechsel zwischen Celan und Bachmann: Die sich Entliebenden
> Heute erscheint der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul
> Celan. Dokumente der Liebes- und Fremdheitsbeziehung zweier
> Schriftsteller.
Bild: "Ich liebe Dich und will Dich nicht lieben", schreibt Ingeborg Bachmann a…
Wenn man den Anfang dieser Liebesgeschichte neutral nacherzählt, klingt das
zunächst wie weit unter dem literarischen Niveau der beteiligten
Hauptfiguren. Junge Philosophiestudentin trifft im Wien der Nachkriegszeit
einen Lyriker mit existenzialistisch verschatteten Augen. Es muss sofort
zwischen ihnen gefunkt haben. "Der surrealistische Lyriker Paul Celan […]
hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden
Arbeiterei doch etwas Würze", schreibt die 21-jährige Ingeborg Bachmann im
Mai 1948 an ihre Eltern. Und sie fährt fort: "Mein Zimmer ist momentan ein
Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt."
Schon wenige Wochen später muss der Blumenfreund nach Paris weiterreisen,
aber zu ihrem 22. Geburtstag, am 25. Juni, hat Ingeborg Bachmann noch
einmal Gelegenheit, über die Affäre ihren Eltern wie über eine Trophäe
Bericht zu erstatten: "Von Paul Celan zwei prächtige Bände moderne franz.
Malerei mit den letzten Werken von Matisse und Cézanne, ein Band Chesterton
(ein berühmter engl. Dichter), Blumen, Zigaretten, ein Gedicht, das mir
gehören soll, ein Bild, das ich Euch in den Ferien zeigen kann. (Er fährt
morgen nach Paris). Ich war daher gestern, am Geburtstagvorabend noch sehr
festlich mit ihm aus, Abendessen und ein wenig Wein trinken."
So plappernd, so schmonzettenhaft fängt diese Liebes-, Streit-,
streckenweise dann auch Freundschafts- und immer wieder Fremdheitsbeziehung
an, die diese beiden zentralen Vertreter der deutschsprachigen
Nachkriegsliteratur mit Unterbrechungen ein Leben lang begleiten soll. Man
erfährt von diesen Briefstellen hinten, im Kommentarteil des Bandes, der
nun im Suhrkamp-Verlag erschienen ist und der alle aneinander adressierten
schriftlichen Zeugnisse der beiden Autoren versammelt. Wenn man von da aus
vorne im Band zu lesen beginnt, zuckt einem unwillkürlich das Herz
zusammen.
Denn der Band beginnt mit "In Ägypten", aller Wahrscheinlichkeit nach das
Gedicht, das ihr gehören soll, es trägt die Widmung "Für Ingeborg". Celan
beschwört darin in biblischer Sprache die Erinnerung an weibliche jüdische
Vornamen und bringt sie in ein Verhältnis zu einer "Fremden": "Du sollst zu
Ruth, zu Mirjam und Noemi sagen: Seht, ich schlaf bei ihr! / Du sollst die
Fremde neben dir am schönsten schmücken. / Du sollst sie schmücken mit dem
Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noemi." Man muss als diese Fremde nicht
unbedingt direkt Ingeborg Bachmann einsetzen. Interpretatorisch ist es
durchaus ertragreich, das Gedicht mit der Sprache als der Fremden
durchzuspielen. Immerhin, noch Jahre später wird Paul Celan an Ingeborg
Bachmann schreiben: "Sooft ichs lese, seh ich Dich in dieses Gedicht
treten". Nicht nur mit Mohnblumen, auch mit dem Schmerz um die ermordeten
Juden schmückt er ihr Wiener Studentinnenzimmer. Das ist einer der Momente,
bei denen einem sofort evident wird, warum Adorno nach dem Zweiten
Weltkrieg so sehr den Riss als das Signum der Moderne propagierte und warum
in der ernsten Musik der Zeit Missklänge und Disharmonien so bedeutsam
wurden. Auch, vielleicht gerade auch in die Liebe spielt die Erinnerung an
den Holocaust hinein.
Er, sechs Jahre älter, hatte beide Eltern im KZ verloren und war als Jude
selbst in einem Arbeitslager gewesen. Sie, Tochter eines frühen
österreichischen NSDAP-Mitglieds, flüchtete sich als Jugendliche während
des Kriegs in die Literatur. Ein Jahr nach Wien wird er ihr schreiben, dass
sein "Dunkel" älter sei als das ihre. Sie wird dem ihre eigenen
Dunkelheiten ein Leben lang entgegenhalten. Aber noch in ihrer letzten
Erzählung "Drei Wege zum See" wird sie die Konstellation anhand eines
Mann-Frau-Paares in dem Satz spiegeln, dass "er, ein wirklich Exilierter
und Verlorener, […] sie, eine Abenteurerin", in eine "Exilierte" verwandelt
habe.
Im Nachwort des vorliegenden Bandes machen die Herausgeber, gleich vier an
der Zahl, viel aus diesem Schweren. Als "symptomatische Schriften, deren
Geheimnis im Problem von Schreiben und Autorschaft nach Auschwitz liegt",
werden die Zeugnisse gedeutet. Da ist bestimmt vieles dran. Aber das
zunächst einmal wirklich Berückende an dem sich nach der Wiener Begegnung
anspinnenden Briefwechsel ist, dass auch die Schmonzette und der süße
Kitsch, die wahrscheinlich in jeder realen Liebesbegegnung stecken, in ihm
ihre Plätze haben. Sie schreibt ihm hinterher: "Paul, lieber Paul, ich hab
Sehnsucht nach Dir und unserem Märchen" - in einem Brief, den sie freilich
nicht abschickt. Weiter unten in dem Brief heißt es: "ich […] möchte Dir
die Steine von der Brust schieben […] und Dich singen hören." Und nachdem
er ihr, zu ihrem 23. Geburtstag, eine Karte geschickt hat, in dem von
"Mohn, sehr viel Mohn" die Rede ist, schreibt sie ihm einen wundersüßen
Verknalltheitsbrief: "[…] ich sollte ein Schloss für uns haben und Dich zu
mir holen, damit Du mein verwunschener Herr drin sein kannst, wir werden
viele Teppiche drin haben und Musik, und die Liebe erfinden."
Man kennt diese Muster. Und doch sind es gerade solche banalen Momente, die
man beim Lesen dieser Briefe geradezu beschützen möchte, vor der Schwere
und auch vor den sich allerdings bald durchsetzenden komplizierten
Umständen dieser Liebe. Denn auch ein Ton von Vergeblichkeit ist von Anfang
an in diesen Briefen. "Die Zeit und vieles ist gegen uns, aber sie soll
nicht zerstören dürfen, was wir aus ihr herausretten wollen", schreibt sie
bald.
Interessant ist natürlich dieses "vieles". Gegen die Liebenden ist
jedenfalls nicht nur die Entfernung zwischen Paris und Wien, sondern auch
die nicht nur aufeinander zu fokussierende emotionale Bedürftigkeit der
beiden. Sie schreibt: "Männer sind irgendwie um mich, aber es bedeutet
wenig." Und später zieht sie dieselbe Bewegung von der Beunruhigung zur
Beschwichtigung noch einmal eine Spur deutlicher: "Du wirst Dir ja denken
können, dass die Zeit seit Dir für mich nicht ohne Beziehungen zu Männern
vergangen ist […] Aber nichts ist zur Bindung geworden." Und er lernt unter
anderem Gisèle de Lestrange kennen, die er im Dezember 1952 heiraten wird;
der erste Sohn, der allerdings am Tag nach der Geburt stirbt, könnte vom
Zeitpunkt her in der Hochzeitsnacht gezeugt worden sein. Mitte 1955 wird
der Sohn Eric geboren.
Die Intensität eines Kafkaschen Briefverkehrs erreicht diese Korrespondenz
nie; gerade einmal 196 Dokumente in 20 Jahren verzeichnet der Band, da sind
aber alle Postkarten, Widmungen und Grußtelegramme mitgerechnet. Das liegt
daran, dass inzwischen das Telefon erfunden worden war. Immer wieder
tauschen Bachmann und Celan Nummern aus, um miteinander zu telefonieren. Es
liegt aber auch an der Dramaturgie dieser Beziehung. Schnell geht es nicht
mehr darum, die Möglichkeit der Liebe zu feiern oder über die Distanz
aufrechtzuerhalten oder auch nur zu testen. Rückzugsbewegungen nehmen
überhand, Missverständnisse sind da und müssen ausgeräumt werden.
Verabredungen werden verschoben. Wie in Zeitraffer schält sich beim Lesen
dieser Briefe die Bewegung einer Entliebung heraus.
"Ich liebe Dich und will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer",
seufzt sie einmal. Und Ende 1951 schreibt sie: "Lieber Paul, ich weiss,
dass Du mich heute nicht mehr liebst", aber sie hofft da noch auf einem
Neuanfang. Mit einiger Verzögerung antwortet er jedoch im Februar 1952
kühl: "Wir wissen genug voneinander, um uns bewusst zu machen, dass nur die
Freundschaft zwischen uns möglich bleibt. Das Andere ist unrettbar
verloren." Niklas Luhmann weist an einer Stelle seiner Studie "Liebe als
Passion" darauf hin, wie "schmal und gefährlich" die Brücken der
Kommunikation zwischen Liebenden gebaut sind. Zu schmal und zu gefährlich
für Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Mit Freundschaft werden sie es von da
an versuchen, mit wechselndem Erfolg.
Wenn man in dem Band beim Lesen zwischen den Briefen, dem Stellenkommentar,
dem Nachwort und der Zeittafel hin und her springt, kann man die
emotionalen Dramen, die zwischen und manchmal auch hinter den Zeilen
stehen, gut verfolgen. Man muss gedanklich immer wieder Lücken ausfüllen.
Aber die Geschichte, die sich da ereignet, ist nicht so ungewöhnlich, dass
das nicht ginge. Gerade diese emotionale Entliebungsarbeit muss man
allerdings geradezu gegen die Anlage dieses Suhrkamp-Bandes wahrnehmen. Die
Herausgeber zielen vor allem auf das, was aus dieser Liebesgeschichte
Literatur geworden ist. In dem Nachwort erfährt man viel darüber, wie vor
allem Ingeborg Bachmann diese nur einige Wochen lang glückliche Liebe in
ihrem schriftstellerischen Werk gespiegelt, verarbeitet, sublimiert hat.
Das wohl bekannteste Beispiel ist das Kapitel "Die Geheimnisse der
Prinzessin von Kagran", das Bachmann nach Celans Tod in ihren Roman
"Malina" einfügte. Literaturwissenschaftlich einschlägige Arbeiten liegen
längst vor.
Aber so gut wie gar nichts erfährt man über das Fleisch und das Blut dieser
Liebe. Ein Kapitel über Bachmann und die Männer wäre im Nachwort genauso
hilfreich gewesen wie ein Kapitel über Celan und die Frauen. Dann werden
viele reale Details aus den Briefen im Stellenkommentar gar nicht erst
aufzuklären versucht. Nur ein Beispiel: Im September 1951 schreibt Ingeborg
Bachmann einen dann allerdings nicht abgesandten Brief, in dem sie Paul
Celan ankündigt, den Ring, den er ihr offenbar im Jahr zuvor gegeben hatte,
offenbar ein Familienerbstück, zurückzugeben. Wörter wie Bitterkeit,
Verzweiflung, Enttäuschung, Stolz fallen. Sie ist zutiefst gekränkt. Was
hat es mit diesem Ring auf sich? Rechercheergebnisse über solche Realien
der Liebesbeziehungen hätten dem Band unbedingt gutgetan.
Es ist keineswegs banausisch, solche Dinge wissen zu wollen. Einem Ende
August erscheinenden Buch über Ingeborg Bachmann von Frauke Meyer-Gosau
kann man etwa entnehmen, dass die Schriftstellerin eine Sehstärke von minus
13 Dioptrien hatte, zugleich aber zu eitel war, eine Brille zu tragen. Wenn
man so etwas weiß, liest man zeitgenössische Beschreibungen über ihren
majestätisch schreitenden Gang ganz anders. Sie musste sich langsam
bewegen, weil sie die Welt um sie herum durch einen Schleier wahrnahm.
Genauso gern hätte man gewusst, wie die Einstellung ihrer Eltern zu Ehe und
Familie war, wie die anderen Liebesbeziehungen der Bachmann verliefen und
natürlich auch, wie die Ehe Paul Celans konkret aussah.
Im Herbst 1957 entbrennt ihre Leidenschaft noch einmal neu. Sie begegnen
sich auf einer Tagung über Literaturkritik in Wuppertal und treffen sich
dann in einem Hotel in Köln. Noch einmal muss es gefunkt haben. In der
Korrespondenz fängt nun er an zu plappern, auf seine Weise. Er schickt
Gedichte, auch das im Zusammenhang mit der Kölner Begegnung entstandene
Gedicht "Köln, Am Hof", aus dem der Titel "Herzzeit" des Suhrkamp-Bandes
stammt ("Herzzeit, es stehn / die Geträumten für / die
Mitternachtsziffer"), Am Hof lautete die Adresse des Kölner Hotels. Und er
drängt, bittet um Antwort, umschmeichelt sie, schreibt federleichte
Verliebtheitsbriefe.
Doch nun gibt sie sich im Briefwechsel zurückhaltender. Auf ihren Satz "Du
darfst sie und Euer Kind nicht verlassen" plant er beherzt ein Arrangement
zu dritt: "Gisèle weiß, daß ich zu Dir fahren will, sie ist so tapfer." Er
kommt dann auch wirklich ein paarmal, jeweils für ein paar Tage nach
München, wo sie zwischenzeitlich wohnt. Aber auf Dauer stellen können sie
auch diese zweite Liebesepisode nicht. Bald zeigen sich im Briefwechsel
wieder deutliche Spuren von Entliebungsarbeit. Im Sommer 1958 lernt sie
dann Max Frisch kennen, mit dem sie dann für vier Jahre das große Star- und
Königspaar der deutschsprachigen Literatur abgeben wird, das sie mit Paul
Celan nicht werden konnte.
Danach ringen sie wieder um Freundschaft, wieder klappt das phasenweise
besser, phasenweise schlechter. Es entstehen auch Briefe zwischen Ingeborg
Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange sowie zwischen Paul Celan und Max
Frisch, auch sie sind in diesem Band abgedruckt.
Dann ereignet sich die Freundschaftskatastrophe. Eine von ihm als zutiefst
antisemitisch empfundene Besprechung seines Gedichtbandes "Sprachgitter"
von Günter Blöcker, die ihn ins Herz seiner Existenz trifft (ein wie die
bald darauf von Claire Goll losgetretene sogenannte Plagiats-Affäre
zentrales Thema in der Celan-Forschung), schickt er im Oktober 1959 mit
einem einzigen Begleitsatz zu ihr: "Liebe Ingeborg, die beiliegende
Besprechung kam heute früh - bitte lies sie und sag mir, was Du denkst.
Paul." Als ihre Reaktion nicht exakt so ausfällt, wie er es sich erwünscht
hatte, kündigt er ihre Freundschaft mit großer Geste auf. Wie daraufhin
alle Beteiligten, auch Max Frisch ist involviert, zu kitten versuchen, was
noch zu kitten ist, liest sich hochdramatisch. Aber wirklich erholen wird
sich die Freundschaft nicht mehr. Sie tippt noch zwei Jahre später einen
eingehenden Analysebrief in die Schreibmaschine, aber an ihn abschicken
wird sie ihn nicht.
Nur noch ein einziges Mal blitzt so etwas wie Leichtigkeit und Zärtlichkeit
in diesem Briefwechsel auf, aber das ist eine Leichtigkeit in der
Verzweiflung. Im vorletzten Brief dieser Korrespondenz schreibt Paul Celan
im September 1963 an Ingeborg Bachmann: "Laß mich doch bitte wissen, wie es
Dir geht. Ich habe ein paar nicht ganz erfreuliche Jahre hinter mir". Das
ist eine gewaltige Untertreibung. Einige Monate zuvor war er in einer
Psychiatrie stationär behandelt worden (1967 wird er dann seine Frau
umzubringen versuchen, und am 20. April 1970 wird er Selbstmord begehen).
Und auch sie hatte nach der Trennung von Max Frisch schwere psychische
Probleme gehabt, inklusive Klinikaufenthalten in Zürich und Berlin.
Ein Antwortbrief von ihr ist nicht überliefert. Sie haben sich nicht mehr
helfen können. Der letzte Brief in dem Band ist 1967 ein recht
unverbindlicher Gruß von ihm.
15 Aug 2008
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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