# taz.de -- Behshid Najafi: „Auch ich weine manchmal” | |
> Flüchtlingsfrauen brauchen besondere Hilfe. Behshid Najafi weiß das aus | |
> langjähriger Erfahrung. | |
Bild: Behshid Najafi in Köln, wo sie sich seit 22 Jahren für die Rechte und I… | |
„Bitte keinem Mann die Tür öffnen”, steht eilig geschrieben auf einem rot… | |
Zettel, den jemand an die Innenseite der Türe geklebt hat. Die Frauen, die | |
in den Büros von Behshid Najafi und dem agisra e. V. Rat suchen, sehen den | |
wichtigen Hinweis erst beim Hinausgehen. Tatsächlich stehe selten ein Mann | |
vor der Tür, lacht Behshid Najafi, stellvertretende Geschäftsführerin | |
dieses eingetragenen Vereins, der sich seit mehr als 20 Jahren für die | |
Menschenrechte von Migrantinnen einsetzt. | |
„Wir unterstützen ausschließlich Frauen, denn wenn Frauen stärker werden, | |
dann geht es der gesamten Gesellschaft besser”, erklärt Najafi. Sie ist | |
selbst Ende der achtziger Jahre als Dreißigjährige aus dem Iran über | |
Aserbaidschan nach Deutschland gekommen – allerdings fließend Englisch | |
sprechend und mit einem Bachelor in Politikwissenschaften sowie einem | |
Master in Pädagogik. Anders als eine analphabetische Flüchtlingsfrau mit | |
drei Kindern wusste sie sich schnell selbst zu helfen. | |
Die Stelle bei agisra e. V. nahm sie ohne Zögern an. | |
Die überzeugte Feministin, die sich im Iran in einer linken | |
Untergrundorganisation für soziale Gerechtigkeit engagierte, weiß: | |
„Migrantinnen sind besonders benachteiligt.” Und: Die Benachteiligungen | |
sind immer komplex, weil jeweils Sexismus, Rassismus oder auch | |
wirtschaftliche Unterdrückung in unterschiedlichen Teilen mitwirken. | |
Natürlich sagte sie sofort zu, als sie damals angefragt wurde, mit drei | |
Kolleginnen agisra e. V. in Köln zu gründen und aufzubauen. | |
Die Teilzeitstelle war für die studierte Pädagogin und Politologin nach | |
vielen Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit in einem iranischen Frauenverein die | |
erste bezahlte Arbeit in Deutschland. Und anders als im Iran musste sie | |
hier ihr Engagement nicht verstecken, sondern konnte ein offizielles Schild | |
vor die Türe hängen. Noch heute strahlt sie, zurückhaltend zwar, aber doch | |
erkennbar, wenn sie von diesem Anfang erzählt. | |
Begonnen hatten sie und ihre damaligen Mitstreiterinnen 1993 in einem | |
kleinen Zimmer mit knapp zehn Quadratmetern. Unterdessen sind sie dreimal | |
umgezogen und belegen eine ganze Etage unweit des Kölner Doms. Sieben | |
hauptamtlich angestellte Frauen unterstützen hier Frauen in ihrem Anspruch | |
auf Schutz, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, ihrer Religion oder | |
Sprache. | |
„Bei Kriseninterventionen wird sofort gehandelt” Manche Frauen wurden | |
zwangsverheiratet oder müssen sich prostituieren, andere erleben häusliche | |
Gewalt oder verfügen schlicht über keine Papiere. In den kleinen | |
Beratungszimmern stehen viele Stühle und jeweils niedrige Tischchen, | |
manchmal auch eine Pflanze, manchmal hängt ein buntes Bild. An jeder | |
Türklinke baumelt ein Schild, an diesem frühen Abend ist ein | |
Beratungszimmer immer noch besetzt: Bitte nicht stören. | |
Während der Beratungstermine wird geklärt, wobei agisra helfen und was | |
gemeinsam mit der Frau erreicht werden kann. Man unterstützt die Frauen bei | |
Behördengängen, der Besorgung von Bescheinigungen oder der Organisation | |
eines Deutschkurses. Die Rat suchenden Frauen verabreden sich in der Regel | |
während der Sprechzeiten telefonisch zu einem Beratungstermin. Es sei denn, | |
eine Frau steht vor der Tür, weil sie von ihrem Mann geschlagen wurde. | |
„Dann ist das Krisenintervention, dann handeln wir sofort”, sagt Behshid | |
Najafi in einem der vier Beratungszimmer. | |
Für die Arbeit braucht es Kopf und Herz | |
Sie hat extra für den Besuch die Packung mit ihren Lieblingskeksen mit | |
getrockneten Datteln geöffnet, die sie für ihre Kolleginnen aus dem Iran | |
mitgebracht hat. Die Kekse stecken bei vielen der Geschichten, die Najafi | |
beispielhaft aufzählt, schwer im Hals. | |
„Natürlich, die Beratungen sind oft schwierig, auch ich weine manchmal”, | |
sagt sie und streicht sich ihr volles, widerspenstiges Haar aus der Stirn. | |
„Aber für unsere Arbeit brauchen wir Kopf und Herz. Wenn eines fehlt, dann | |
können wir nicht arbeiten. Wir müssen die Frauen verstehen, aber wir müssen | |
auch die Gesetze kennen. Sonst können wir nicht helfen.” | |
Umso wichtiger sei es, sich dabei selber zu schützen, sonst gelinge einem | |
diese Arbeit höchstens ein paar Jahre, aber bestimmt nicht 22. „Trotz | |
allem: Die Arbeit muss Spaß machen”, sagt Najafi resolut und erzählt | |
lebhaft von den Mittagessen, den Ausflügen und den gemeinsamen Gesprächen | |
über das Gehörte. | |
Die Behörden kennen ihre Arbeit nach all den Jahren Jede der Beraterinnen | |
macht ungefähr drei Beratungen pro Tag, an vier Tagen die Woche. Die Rat | |
suchenden Frauen sind in den letzten Jahren mehr geworden. „Wir sind | |
bekannter geworden, die Behörden kennen uns nach all den Jahren und | |
vermitteln an Ratsuchende”, erklärt Najafi und fügt an: „Und die Frauen | |
wehren sich mehr, weil sie mehr über ihre Rechte wissen.” Darüber freut sie | |
sich besonders. Denn die Selbstorganisation von Migrantinnen ist erklärtes | |
Ziel von agisra. | |
Allen Frauen, die sie berate, empfehle sie besonders, Deutsch und Sport zu | |
lernen. Denn wenn die Frauen nicht die Sprache ihrer neuen Heimat lernten, | |
könnten sie ihre Rechte nicht verteidigen. Und Sport belebe bekanntlich den | |
Geist – bringe die Frauen aber vor allem in Kontakt mit anderen Menschen. | |
Gerade habe die Gymnastikgruppe, die sich regelmäßig im Aufenthaltsraum zum | |
Yoga trifft, beschlossen, sich sommers lieber auf einer Wiese zu treffen. | |
„Es ist wichtig, die Gesellschaft und die Gesetze zu verändern” „Sie | |
organisieren sich selbst, gehen raus, machen was anderes. Das ist, was wir | |
wollen!” Die neuen Kontakte seien wichtig, betont Behshid Najafi, damit die | |
Frauen nicht in neue Abhängigkeit trudelten – und etwa von ihnen abhängig | |
würden. Die schnellen und unbürokratischen Beratungen sind wichtig. Doch | |
sie genügten nicht, sagt Behshid Najafi. Agisra setzt deshalb auf | |
Vernetzung: „Es ist wichtig, die Gesellschaft und die Gesetze zu verändern | |
– auch für die Frauen, die den Weg zu uns nicht finden.” | |
Sie und ihre Kolleginnen sitzen deshalb auch ehrenamtlich in vielen | |
kommunalen, landes- und bundesweiten Arbeitskreisen. Gerade war sie zum | |
Beispiel für agisra in Brüssel, um bei einem europäischen Zusammenschluss | |
für papierlose Migrantinnen mitzudiskutieren. Und im vorigen Sommer hat | |
agisra gemeinsam mit anderen Migrationsvereinen den [1][Dachverband | |
DaMigra] gegründet. | |
Auch wenn sie zu ihrer Arbeit durch ihre eigenen Erfahrungen als | |
Flüchtlingsfrau gekommen ist, wirft sie immer wieder einen distanzierten, | |
politologischen Blick darauf und betont die Komplexität des großen Ganzen. | |
Mit einfachen Erklärungen ist man bei ihr an der falschen Adresse, und bei | |
Vorurteilen wird sie streng. | |
Träge Ämter machen es den Migrantinnen schwer | |
In den zwei Jahrzehnten Migrationsarbeit habe sich viel verändert. Zum | |
einen spürten sie bei agisra, wie das Verwaltungssystem in den letzten | |
Jahren träger geworden sei, die bürokratischen Hürden für Migrantinnen | |
zugenommen hätten. Oft stünden Frauen ohne Geld und Wohnung da, obwohl ihr | |
Antrag beim Jobcenter seit zwei Monaten anhängig sei – und obwohl sie von | |
ihrem Mann geschlagen und vor die Tür gesetzt worden seien. | |
Andererseits erinnert sich Najafi noch gut an die Ausländer-raus-Stimmung | |
der neunziger Jahre: wie sie sich damals persönlich bedroht fühlte und | |
überlegte, mit ihrer Familie weiter zu flüchten. „Die Willkommenskultur in | |
Deutschland ist viel positiver geworden”, betont sie. Nicht zuletzt seit | |
sich Deutschland 2005 offiziell zum Einwanderungsland erklärt hat. Das | |
Recht auf Integration, konkret in Form von Sprachkursen etwa, habe viel | |
verändert. | |
Früher hätte sie große Mühe gehabt, überhaupt einen preisgünstigen | |
Deutschkurs zu finden – oder sogar einen, der auch Kinderbetreuung hat: | |
„Das gab es nicht. Jetzt gibt es das.” Auch wenn sie die Entwicklung | |
wesentlich mitgeprägt hat: Als Herz von agisra möchte Behshid Najafi | |
keinesfalls beschrieben werden. Der gemeinnützige Verein ist mit möglichst | |
wenig Hierarchie organisiert und lebt davon, dass hier viele Frauen über | |
ihre bezahlten Engagements hinaus aktiv mithelfen. | |
GINA BUCHER, lebt und arbeitet in Zürich und Berlin und ist seit 2009 | |
Autorin der taz. | |
6 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.damigra.de/ | |
## AUTOREN | |
Gina Bucher | |
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