# taz.de -- Auto abschaffen aus Liebe: Verzicht ist sexy! | |
> Neue Kolumne „Stimme meiner Generation“: Elena findet Autos blöd, Aron | |
> findet Elena toll. Weshalb er ab sofort nicht mehr Auto, sondern Fahrrad | |
> fährt. Eine super Entscheidung. | |
Von [1][ARON BOKS] | |
[2][taz FUTURZWEI], 14.04.22 | Es ist Frühling, Ausgehwetter und Zeit, mich | |
der Welt zu zeigen. | |
Die Welt heißt Elena, und wir haben uns bereits einmal getroffen. Ich weiß | |
nicht viel über sie, außer dass ich bereits in sie verliebt bin und sie | |
„Fahrradaktivistin“ ist. Das hatte sie mit einem fünfminütigen Monolog ü… | |
Autos unterstrichen. Entgegen meiner Erwartung findet sie deswegen aber | |
nicht alle Autofahrer:innen per se blöd – dafür aber besonders die, die den | |
ohnehin schon begrenzten Lebensraum in Berlin mit ihren Karren zuparken, | |
ohne sie wirklich zu fahren. | |
„Das sind die Schlimmsten“, hatte ich gesagt und von einem Auto erzählt, | |
dass monatelang ungefahren in meiner Straße geparkt stand und an dessen | |
Scheiben die bunten Visitenkarten von diversen KFZ-Händlern immer flehender | |
wirkten. | |
„Genau das meine ich“, hatte sie gesagt und den Kopf geschüttelt. | |
Dass es sich dabei um mein Auto handelte, habe ich verschwiegen. | |
Schließlich bin ich längst kein Autofahrer mehr. Und nicht nur das – ich | |
habe mich bewusst gegen das Autofahren entschieden – was doch eigentlich | |
noch viel mehr von einer Person in Berlin abverlangt als lediglich den | |
Status Quo einer städtischen Nichtfahrer:in von Geburt an aufrecht zu | |
erhalten. | |
Mir ist einfach klar geworden, dass ich mich im Verzicht üben muss. | |
Außerdem ließ sich das Auto kaum noch durch die Stadt fahren, ohne dabei so | |
ein werkstattverdächtiges und sehr lautes Quietschgeräusch von sich zu | |
geben. Eines, das noch jeder Hundertmeter entfernten Person ein „Achtung, | |
hier kommt ein Arschloch!” entgegenschrie. | |
## So einer bin ich nicht mehr | |
Nein, so einer bin ich nicht mehr. Und es wird Zeit, dass Menschen wie | |
Elena das auch sehen, denke ich und beschließe mir mein erstes Stadtfahrrad | |
zu besorgen. | |
An einem Haus nahe meiner Wohnung steht ein elegantes weiß-schwarzes | |
Rennrad mit einem Schild „Zu verkaufen“ – und einer Telefonnummer, die ich | |
sofort anrufe. Ein paar Minuten später tritt ein bulliger Typ mit | |
Kapuzenpullover und tätowierter Glatze aus einer Wohnungstür. | |
„Hast du angerufen?“, fragt er und stellt sich mit verschränkten Armen vor | |
mich hin. Ich nicke etwas zögerlich. Auf dem linken Bein seiner Sweatpants | |
steht ein verdächtig wirkender Schriftzug. | |
Und Fuck, denke ich. | |
Ich will mein Fahrrad ganz sicher nicht bei einem Neonazi kaufen. Was | |
bringt da jeder Einsatz ein besserer Mensch zu werden, wenn man zeitgleich | |
die Rechten unterstützt? Andererseits ist das ein sehr schönes und, wie | |
sich im Gespräch herausstellt, auch sehr preiswertes Fahrrad. | |
„Mir geht es nicht um die Kohle“, sagt der Typ und während ich vorgebe, | |
mein Budget auf meinem Handy auszurechnen, google ich den Schriftzug auf | |
seiner Hose. Der Online-Artikel „Ist XXX eine Nazimarke??“ gibt erste | |
Entwarnung: keine Nazimarke. Aber man kann ja nie wissen. | |
## Keine Sorge, ich bin Buddhist | |
„Ich habe einen Freund mit einer gleichen Hose“, sage ich gestelzt. „Der | |
hat immer das Pech, dass Leute glauben er wäre ein Nazi … also wegen dieses | |
Schriftzugs.“ | |
Er verdreht die Augen. | |
„Wenn dir die Glatze Angst macht, dann musst du dir keine Sorgen machen – | |
ich bin Buddhist. Willst du jetzt das Fahrrad haben oder nicht?“ | |
Selbstverständlich will ich. | |
Es ist bemerkenswert wie harmonisch mein Kiez in Neukölln wirkt, wenn man | |
nur auf zwei Rädern fährt. Wenn ich früher für einen kurzen Moment die | |
Straße versperrte, um das Auto vor meiner Wohnung zu parken, konnte ich | |
regelmäßig Bilderbuch-Hippie-Eltern zusehen wie sie zu Choleriker:innen | |
wurden. Diekönnen sich gar nicht vorstellen wie viel Stress es bedeutet, | |
zwischen all den neuen Pollern und Radwegen einen Platz für das Auto zu | |
finden. Aber das sollen nicht mehr meine Sorgen sein. Mein Bruder hatte den | |
Wagen repariert und mit zu sich genommen. Schließlich könne er nicht auf | |
das Fahren verzichten. | |
Na ja – wer’s braucht, denke ich und trete in die Pedale meines | |
federleichten, aber – warum auch immer – sehr mühsam zu fahrenden Zweirads. | |
Vermutlich eine Frage der Gewöhnung. Aber dafür bleibt wenig Zeit, | |
schließlich werde ich bereits von Elena erwartet. Wir machen eine | |
Fahrradtour. | |
## Super gelaunt und top gestyled, trotz Verzicht | |
Elena sieht mir kurz in die Augen und mustert mich von meiner aufgesetzten | |
North-Face Cap und der beigen Lacoste-Jacke bis runter zu den Slim-Fit | |
Jeans. Ich sehe zwar eher so aus, als würde ich nicht auf eine Fahrradtour, | |
sondern zu einem Tennisspiel gehen, aber dennoch genauso, wie ich mich | |
fühle: Wie ein ökologisch bewusster Großstädter, der verzichten kann und | |
trotzdem super gelaunt und top gestyled ist. Ich denke an den armen | |
Buddhisten – er macht die Welt mit seinen billigen Fahrrädern sauberer und | |
könnte es doch so viel besser haben, wenn er dann auch mehr wie ein Mönch | |
und weniger wie ein Hooligan aussehen würde. | |
„Du fährst nicht oft, oder?”, sagt Elena. | |
„Wie meinst du das?“ | |
„Du hast kaum Luft im Reifen … und kein Licht.” | |
Noch macht es absolut keinen Spaß, ein besserer Mensch zu sein. | |
Eigentlich wollte ich doch auch gar nicht mit diesem wirklich unbequemen | |
Ding von A nach B fahren, sondern einfach als jemand gesehen werden, der | |
auf sein Auto verzichtet. | |
Ich denke an meinen Bruder, der sich still an seinem Auto erfreut, ohne | |
dafür gleich einen Anti-Fridays for Future Sticker an seine Stoßstange | |
kleben zu müssen und an den Buddhisten, dem es egal ist, wie er aussieht, | |
während ich mich vor Elena mit diesem unaufgepumpten Fahrrad wie ein | |
Trottel fühle. | |
„Beim nächsten Mal bin ich besser ausgerüstet”, nuschele ich. | |
Sie lächelt. „Vielleicht gehen wir dann einfach spazieren”, sagt sie. | |
Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der [3][taz Panter | |
Stiftung] gefördert. | |
14 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Aron-Boks/!a41812/ | |
[2] /!p5099/ | |
[3] /!p4258/ | |
## AUTOREN | |
Aron Boks | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |