# taz.de -- Ausstellung zu Polizei und NS-Staat: Die Polizei, dein Freund und M… | |
> 66 Jahre nach Kriegsende zeigt das Deutsche Historische Museum die erste | |
> Ausstellung über die viel zu wenig thematisierte Rolle der Polizei im | |
> NS-Staat. | |
Bild: "SA und Schupo vereint" aus dem "Roten Album", erstellt von einem unbekan… | |
"Die gestellten Männer haben zu nennenswerten Klagen keinen Anlass gegeben. | |
Abgesehen davon, dass ich einzelne von ihnen zu schärferem Vorgehen gegen | |
Juden anhalten musste, haben sich alle sehr gut geführt und ihren Dienst | |
einwandfrei versehen." Auf neun Schreibmaschinenseiten resümierte der | |
Hauptmann der Schutzpolizei, Paul Salitter, im Dezember 1941 seine Fahrt | |
von Düsseldorf ins lettische Riga. Für die Reisenden sollte es, abgesehen | |
vom polizeilichen Begleitkommando, eine Fahrt in den Tod werden, denn sie | |
wurden nach ihrer Einweisung in das jüdische Ghetto später fast ausnahmslos | |
ermordet. Für Salitter dagegen war die Reise nach seiner Rückkehr Grund | |
genug, gegenüber dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes, Adolf | |
Eichmann, Verbesserungen für die nächsten Deportationszüge vorzuschlagen. | |
Sechs Jahre später bat der Polizist um seine Wiedereinstellung: Damals habe | |
er "nur seine Pflicht getan", schrieb Salitter. Die dürren bürokratischen | |
Schreiben finden sich an zwei unterschiedlichen Orten einer Ausstellung: | |
"Ordnung und Vernichtung" im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin | |
ist die erste umfassende Schau über die Verstrickung der Polizei in das | |
NS-Regime und den Völkermord. | |
Nun ist es nicht so, dass die Beteiligung der Polizei am Holocaust ein | |
gänzlich neues Kapitel wäre oder gar auf solche Emotionen träfe, wie sie | |
die Wehrmachtsausstellung vor mehr als einem Jahrzehnt ausgelöst hat. | |
Spätestens seit Christopher Brownings 1993 auch auf Deutsch erschienene | |
Studie über die Blutspur des Reservepolizeibataillons 101 im besetzten | |
Polen ist nicht nur in Fachkreisen bekannt, dass die Polizei eine der | |
wichtigsten Stützen bei der praktischen Durchführung des Massenmords an | |
Juden, Roma und Sinti war. | |
## "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten" | |
Und doch macht Klaus Neidhardt von der Hochschule der Polizei in Münster | |
deutlich, dass dieses Wissen deshalb noch lange nicht bei der Polizei | |
selbst angekommen ist. Noch immer werde deren Geschichte in der | |
Polizeiausbildung häufig ausgeblendet oder unterbelichtet. Sie erscheine | |
zwar in den Lehrplänen, werde aber oft nicht unterrichtet. Neidhardt | |
berichtet auch, dass junge, bei Demonstrationen eingesetzte Polizisten oft | |
gar keine Ahnung haben, welchen historischen Hintergrund die Sprechchöre | |
"Deutsche Polizisten schützen die Faschisten" eigentlich haben, die ihnen | |
da entgegenschallen. | |
Wie aber konnte die deutsche Polizei überhaupt zum willigen Werkzeug von | |
Staatsverbrechern werden? Die Ausstellung beginnt konsequenterweise mit der | |
Weimarer Republik. Damals entstand einerseits das Bild vom "guten | |
Polizisten", dem "Freund und Helfer", der das gehbehinderte Mütterchen | |
fürsorglich über die Straße bringt, böse Kriminelle zur Strecke bringt und | |
für Sicherheit im ganzen Reich sorgt. Andererseits war die Polizei schon | |
damals ein stockreaktionärer Apparat, von kriminellen Freikorps durchsetzt | |
und politisch in die Nähe rechtsextremer Organisationen gerückt. Große | |
Teile der antidemokratischen Polizeiführung begrüßten entsprechend die | |
Machtübernahme der Nationalsozialisten - schließlich versprach sie vor | |
allem Ordnung und damit eine Aufwertung des Beamtendaseins. | |
Und so ließ sich die Polizei denn auch gerne für die neuen Herren | |
einspannen, und das betraf keineswegs nur die Gestapo, die überwiegend aus | |
der politischen Polizei entstand. Nein, die Spezialisten der Kripo sorgten | |
fortan dafür, dass kriminelle Rückfalltäter Konzentrationslagern zugeführt | |
wurden: Galt es doch, das höhere Ziel einer "Volksgemeinschaft ohne | |
Verbrecher" zu verwirklichen. Die grün uniformierten Ordnungspolizisten | |
blieben für die Propaganda "Freund und Helfer", hatten aber mit der | |
Festnahme und Verhaftung "Asozialer" wie politischer Gegner gut zu tun. Die | |
Polizei schaffte sich 1939 die "J"-Stempel an, mit der die Pässe deutscher | |
Juden verunziert wurden, und sie gab ab 1942 die besondere Erlaubnis für | |
die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für Juden heraus. Die alten | |
"Stempelkästen für Verkehrsunfallskizzen" blieben ebenso in Nutzung wie die | |
hölzerne "erkennungsdienstliche Fotoanlage" der Kripo, nur dass dort nun | |
auch von politisch oder rassistisch Missliebigen Lichtbilder angefertigt | |
wurden. | |
## In Massengräbern verscharrt | |
Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei in | |
Personalunion, schrieb 1937: "Die nationalsozialistische Polizei leitet | |
ihre Befugnisse nicht aus Einzelgesetzen, sondern aus der Wirklichkeit des | |
nationalsozialistischen Führerstaates ab und aus den ihr von der Führung | |
gestellten Aufgaben her. Ihre Befugnisse dürfen deshalb nicht durch formale | |
Schranken gehemmt werden." | |
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden deutsche Polizisten zu | |
Massenmördern. Zusammengefasst in Polizeibataillone sollten sie auf | |
besetztem Gebiet für "Ordnung sorgen", wie der Illustrierte Beobachter | |
schrieb. Diese Bataillone waren es, die für die Absperrung der jüdischen | |
Ghettos in Polen sorgten, wenn die Spezialisten von SS und | |
Sicherheitspolizei die Menschen in die Züge in Richtung Vernichtungslager | |
trieben. Sie waren es, die selbst mordeten, bisweilen gar ohne höheren | |
Auftrag wie in Bialystok, wo das Polizeibataillon 309 mindestens 800 Juden | |
in einer Synagoge bei lebendigem Leibe verbrannte. Und sie waren es, die | |
wie die Einsatzgruppen nach Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion | |
Millionen Juden und "Bolschewisten" erschossen und anschließend in | |
Massengräbern verscharren ließen. | |
"Bei der Durchführung der Aktion konnte sehr häufig die Feststellung | |
gemacht werden, dass sich Juden in feiger und hinterhältiger Angst in allen | |
nur möglichen Winkeln versteckt hielten, so dass es oftmals sehr schwer | |
war, diese vor Schmutz starrenden Elemente aus ihren Winkeln herauszuholen. | |
Diesem Umstand ist es zuzuschreiben, dass an Ort und Stelle von der 9./III. | |
Pol.-Rgt. Mitte 65 Juden erschossen wurden", heißt es in einem "Bericht | |
über die Judenaktion am 2./3.10.1941" in Mogilew. Und am Ende steht: "Von | |
der 9./III. Pol.-Rgt. Mitte wurden insgesamt 555 Juden beiderlei | |
Geschlechts erschossen." | |
Auf zwei großen Landkarten zeigt die Berliner Ausstellung die Stätten des | |
Massenmords - zahllose rote Punkte in Polen, in Lettland, in Litauen, in | |
der Sowjetunion. Und doch weisen die Ausstellungsmacher darauf hin, dass | |
diese Punkte nur eine kleine Auswahl darstellen. | |
## Ausbildung "komplett ahistorisch" | |
Dankenswerterweise haben die Aussteller ihre Schau nicht mit dem Jahr 1945 | |
beschlossen. Denn es gab für die Polizei keine Stunde null. So wie die | |
grünen Uniformen umstandslos blau eingefärbt wurden, so konnte die Polizei | |
im Westen Deutschlands nahezu bruchlos weiterarbeiten - nun im Dienst der | |
Demokratie. Die Ordnungspolizei wurde bei den Nürnberger Prozessen nicht | |
wie Gestapo oder SS als kriminelle Vereinigung eingestuft. Paul Salitter, | |
der Schutzpolizist aus Düsseldorf, blieb einer der wenigen, die nicht | |
wieder in den Dienst eingestellt wurden. Eine Strafe erhielt er aber nicht. | |
Denjenigen, die an den Morden beteiligt gewesen waren, geschah in aller | |
Regel gar nichts. | |
Erst gegen Ende der 1950er Jahre begann die Justiz, angestoßen durch den | |
Ulmer Einsatzgruppenprozess, wenigstens gegen einen Teil der Täter zu | |
ermitteln. Da kamen merkwürdige Karrieren zutage, wie die von Georg Heuser, | |
früher einmal Kommandeur der Sicherheitspolizei Minsk und mit dem Judenmord | |
betraut, 1959 aber Leiter des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz. Er wurde | |
wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen zu 15 Jahren Zuchthaus | |
verurteilt - eine Ausnahme. Kein einziger Täter des Judenmords in Bialystok | |
beispielsweise erhielt jemals eine Bestrafung. Stattdessen war bei der | |
bundesdeutschen Polizei noch lange die "Kleine Polizei-Geschichte" eines | |
gewissen Paul Riege in Gebrauch, in dessen Werk der Massenmord durch | |
Polizisten überhaupt nicht vorkam - kein Wunder, denn Riege war einst | |
Befehlshaber der Ordnungspolizei im besetzten Polen gewesen. | |
Sechsundsechzig Jahre nach Kriegsende sind die Täter verstorben. Insofern | |
scheint es leichter, sich jetzt endlich - viel zu spät - in einer großen | |
und verdienstvollen Ausstellung mit dem Thema zu beschäftigen. Doch für die | |
Polizei der Bundesrepublik Deutschland ist es nicht zu spät: Detlev Graf | |
von Schwerin, einer der Initiatoren von der Fachhochschule der Polizei des | |
Landes Brandenburg, hält die Polizeiausbildung immer noch für "komplett | |
ahistorisch" und will, dass die Schau zum Nukleus einer veränderten Sicht | |
auf die Geschichte unter den Polizeibeamten wird. Es ist ihm viel Erfolg zu | |
wünschen. | |
4 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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